Positionspapier zum gemischtgeschlechtlichen Freitagsgebet
Die Ibn Rushd-Goethe Moschee vertritt das gemeinschaftliche Beten der Geschlechter auf Basis unserer gesellschaftlichen Erfahrungen, der Verfassung und der historischen Quellen aus der Lebenszeit des Propheten Mohammeds. Im Koran selbst gibt es keinerlei Erwähnung eines Verbots des gemischtgeschlechtlichen Betens.
Unsere europäische Lebenswirklichkeit ist durchgängig so gestaltet, dass Männer und Frauen in allen öffentlichen Bereichen gemeinsam auftreten und wirken. Es gibt außerhalb der Religionsgemeinschaft des Islam, dem Leistungssport und öffentlichen Toiletten keine geschlechtersegregierten Lebensbereiche. Weder Kindergarten, noch Schule, Universität oder Berufsausübung sind geschlechtsspezifisch organisiert. Die in der Deutschen Verfassung garantierte Gleichberechtigung wird so zur gelebten Philosophie, die sich unseres Erachtens nach nicht nur für Frauen bewährt hat, sondern auch für Männer, denn auch für sie ergibt sich dadurch eine erweiterte Rollenvielfalt. Von der Gleichberechtigung profitieren alle Teile der Gesellschaft. Aus der gegenwärtigen gesellschaftlichen Perspektive gibt es keinen Grund, den Gebetsrahmen geschlechtergetrennt zu gestalten.
Religionshistorisch stellen wir fest, dass es zu Lebzeiten des Propheten Mohammeds eine deutlich geringere Ausprägung der Geschlechtersegregation in den Stämmen gab, als allgemein angenommen. Erst mit der Machtübernahme des zweiten Khalifen, Omar Ibn Khattab, begann die Etablierung eines unbezwingbaren Patriarchats innerhalb des Islams, das sich bis heute fortführt.
Bereits zur Zeit der Koranoffenbarungen gab es gemischt-geschlechtliche Gebete. Es etablierten sich damals die ersten sogenannten Hausmoscheen, deren wichtigste zweifelsfrei Mohammeds Hausmoschee war. Mohammed unterwies seine Ehefrauen und Töchter im Koran und in der Verrichtung des Gebets. Aisha und Umm Salama standen während des Freitagsgebets in der ersten Reihe (vgl. Jesper Petersen, „Die Frauen von Medina“, Ibn Rushd-Goethe Verlag, 2018). Auf Grund ihrer Position im Gebet ist davon auszugehen, dass sie zwischen Männern standen.
Das Beten in der ersten Reihe zeigte damals eine politische Macht, die sich definierte über die Nähe zu Mohammed und dem Wissen über die Inhalte der Offenbarungen und der Formen des Gebets. Bezogen auf die Gegenwart bedeutet dies, dass die Frauen im Gebetskontext entmachtet sind, da sie hinter der letzten Männerreihe beten müssen. Indem wir Männer und Frauen gemeinsam beten, lösen wir diese patriarchalischen Machtstrukturen auf, aber schaffen dabei nichts Neues, sondern besinnen uns auf die Lebenszeit des Propheten Mohammed und dessen Wertschätzung und Achtung gegenüber Frauen in allen Rollen.
Auch Frauen hatten Hausmoscheen. Prominentestes Beispiel hierfür ist Umm Waraqa, die eng mit Mohammed in Verbindung stand. Er besuchte sie auch, wenn ihr Mann nicht anwesend war.(vgl. Jesper Petersen, „Die Frauen von Medina“, Ibn Rushd-Goethe Verlag, 2018) Mohammed unterwies sie im Gebet, damit sie ihren Haushalt darin leiten könne. Der entsprechende Hadith rechtfertigt in jedem Falle, dass Frauen Imame für andere Frauen seien dürfen. Die Frage, ob Umm Waraqa auch vor Männern als Imamin gebetet habe, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit bejaht werden, denn sie hatte immerhin zwei Muezzine, die zum Gebet riefen. Ihre Moschee wird daher mehr als ihren eigenen Haushalt umfasst haben, so dass sicherlich auch fremde Männer zu ihr zum Gebet kamen, welches sie leitete, indem sie üblicherweise vor ihnen stand.
Als Begründung, warum Frauen im hinteren Bereich der Moschee, oder gar in einem anderen Raum, beten müssen, wird gegenwärtig meist der sexuelle Reiz der Frau angeführt, insbesondere beim Niederwerfen, wo sie sich dem Mann von hinten zeige und somit seine sexuelle Lust erwecke. Wir wehren uns gegen diese Sexualisierung des Gebets, denn wir sind erstens der Meinung, der Gebetskontext ist ein gender-freier Raum, in dem wir als Menschen zusammenstehen, nicht als Männer und Frauen. Und zweitens sind wir der Meinung, dass Männer durchaus in der Lage sind, ihre Lust zu zügeln. Die von Mohammeds Nachfolgern initiierte und im Anschluss tradierte Geschlechtertrennung im Gebet wird von uns somit nicht vertreten.
Das Berühren des anderen Geschlechts nach der rituellen Gebetswaschung führt nach traditioneller Ansicht zu deren Ungültigkeit. Hier halten wir es für sinnvoll, zwischen einer regulären Berührung und einer Berührung auf Grund sexuell geleiteter Wünsche zu unterscheiden. Jede und Jeder muss für sich selbst entscheiden, welcher Art die Berührung ist, die in der Moschee während des Betens stattfindet. Man kann im Allgemeinen davon ausgehen, dass sie normaler zwischenmenschlicher Natur ist und nichts mit dem Wunsch nach Sexualität zu tun hat, auch nicht diesen nährt. Berührungen während des Gebets sind außerdem minimal und meist unbeabsichtigt.
Abschließend sei bemerkt, dass auch in Mekka Männer und Frauen seit Jahrhunderten gemeinsam beten, da die Hajj offensichtlich als geschlechtsfreie Zeit- und Örtlichkeit interpretiert wird. Wir wünschen, dass alle Gebetskontexte entsexualisiert werden und in allen Gebetskontexten der Aspekt der Gleichheit aller Menschen vor Allah respektiert wird, so dass eine gegenseitige Wertschätzung der Geschlechter auch in diesem Rahmen Realität wird.