Abraham

Abraham: Khalil – Freund Allahs und von ihm behütet

Assalamu alaikum wa rahmatullah wa barakatuhu.

Heute geht es um Abraham, doch nicht ganz auf direktem Weg; denn schon immer möchte ich über unsere kleine Gebetsteppiche sprechen, die wir jeden Freitag, und natürlich auch sonst, zum Beten auslegen. Über diesen Teppich möchte ich sprechen, da er von besonderer Schönheit ist. In taghellem Beige als Untergrund wird er umrandet von zartem Grün, der Farbe der Hoffnung, in die unsere Tage eingerahmt sind. In diese Hoffnung hineingesetzt sind eine Art goldener Punkte – es sind die teuren Momente des Glücks, verbunden mit goldenen Fäden, denn sie ziehen sich durch unser ganzes Leben, immer wiederkehrend, überraschend, ohne Muster, und doch verlässlich. Ohne diese goldenen Punkte wäre der Teppich auch schön – ruhig, gelassen, und seinen Zweck als Gebetsteppich in angemessener Qualität durchaus erfüllend, doch wäre er zugleich von deutlich geringerer Helligkeit und Freude. Jeder dieser goldenen Punkte symbolisiert für mich ein Lachen des Herzens. Wir wünschten uns mehr von diesen Glücksmomenten, doch dann wäre der gesamte Teppich golden. Das Grün würde verschwinden und das taghelle Beige; und der Untergrund auf dem wir stehen verlöre sein Motiv in Gänze.

Was ist sein Motiv?

In der Mitte des Teppichs befindet sich ein Tor, gleich dem Tor einer Moschee. Tore laden dazu ein, sie zu durchschreiten, um Räume zu betreten. Meist befinden sich darin Menschen, mit denen wir Kontakt aufnehmen. Doch ungleich den anderen Toren, die wir kennengelernt haben, liegt hinter diesem Tor nichts anderes als das Licht. Ein einladendes Licht, oder eine Art freundlichen Nebels, der uns einlädt einzutauchen und Dinge zu erkennen, die dahinter verborgen liegen.

Viele Male bin ich während des Gebets oder einer stillen Meditation durch dieses Tor hindurchgetreten und habe reiche Welten vorgefunden. Einmal war ich dort und fand einen imaginären Dschungel. In diesem Dschungel schwebte ich als Adler, um mich schließlich auf einem kargen Felsen in meinem Horst niederzulassen und zu betrachten, was um mich herum geschah. Ich verwandelte mich in eine Schildkröte, um nun auf dem feuchten, kalten Boden unter schattenspendenden Blättern langsam nichts anderes zu tun als zu sein. Mein Inneres öffnete sich für die Liebe zur eigenen Existenz und füllte mich mit Sehnsucht nach Geborgenheit und Ruhe. Das Paradies ist ein Dschungel. Es wird keine Jungfrauen dort geben und keine seidenen Kissen, sondern einen dunklen feuchten Erdboden unter schattenspendenden Blättern, und ich werde eine Schildkröte sein.

Ein anderes Mal ging ich durch das Tor hindurch und fand mich wieder in den Gemächern der Frauen des Propheten Mohammeds. Es war finstere Nacht, der Innenhof nur ein wenig erleuchtet durch funkelnde Sterne, doch es waren kaum Schatten zu sehen. Ich sah mich im Zimmer von Aisha und fand sie eifersüchtig so tun als ob sie schliefe, um zu beobachten, wohin ihr Ehemann gehen würde, der mitten in der Nacht aufgestanden war, um sich an einen geheimen Ort zu begeben. Ich sah ihn im Dunkel der Nacht verschwinden und wurde gewahr, wie sich Aisha einen Umhang überwarf, um ihm zu folgen. Sie sah ihn zu einem Friedhof gehen und beten. Wie sehr muss sie ihn geliebt haben in diesem Moment und sich selbst geschämt. Als er sich umwandte um nach Hause zurückzukehren, wandte auch sie sich um und lief schnell immer ein paar Meter vor ihm her, hoffend, dass er sie nicht erkennen möge. Sein Schritt wurde schneller, und so musste auch ihrer schneller werden, bis sie rannte, so dass sie schließlich nur einen kurzen Moment vor ihrem Mann zu Hause ankam. Sie warf den Umhang ab und legte sich so hin, wie Mohammed sie verlassen hatte. Vergeblich tat sie nun erneut als ob sie schliefe. Als Mohamed das Zimmer betrat fragte er die herftig atmende, erschöpfte Aisha, ob sie wisse, wer denn wohl die Gestalt gewesen sein mochte, die den ganzen Weg vor ihm her gelaufen war und immer wenn er schneller lief, auch schneller gelaufen sei. Gut dass es dunkel war. So konnte er nicht sehen, wie tief sie errötete. Mohamed hat seine Frau für ihr Verhalten nicht zur Rede gestellt, denn er war ein liebevoller und verständnisvoller Mensch, und sicher wusste er, wie sehr wir solcherlei Vertrauensbeweise in der Partnerschaft immer wieder brauchen. Als ich mir diese Geschichte in der Welt des Gebetsteppichs vorstellte, war ich Aisha, die Eifersüchtige, und ich liebte sie, und liebte den Propheten Mohamed, weil wir Menschen Geschichten lieben, in denen wir uns wiederfinden.

Heute gehe ich durch dieses Licht des Teppichs und lade euch ein, mit mir zu kommen and diese Schnittstelle zwischen Geschichte und Mythos, zwischen Realität und Fantasie. Wir gehen hinein und finden dort eine Frau mit einem kleinen Kind. Sie ist Sklavin, das Kind der gemeinsame Sohn ihrer und ihres Herrn, gezeugt auf Geheiß der freien Frau des Mannes. Gerade setzt sie sich auf ein sich niederkniendes Kamel. Nun reicht ihr ihr Mann das Kind, einen kleinen Jungen namens Ismael. Dann steigt er selbst dazu. Während der Vater weiß, wohin die Reise gehen soll, haben Mutter und Kind nichts als ihr Vertrauen. Wie fühlte es sich an, nicht zu wissen, wohin man getragen wird? Was las die Frau im Gesicht ihres Herrn, in seinen Gesten? Als Proviant für die Reise, die nicht lang dauern und zugleich die Ewigkeit der Menschheitsgeschichte überdauern würde, hat der Vater einen Wasserschlauch und ein paar Datteln eingepackt. So reitet nun die Famile in die Wüste.

Dort angekommen steigen sie ab, und Abraham bleibt noch einen Moment stehen, wirft dann einen Blick auf Hagar und den kleinen, geliebten Sohn, um sich nun umzuwenden und sie zu verlassen.

Welch abscheulicher Moment des Schicksals. „Wohin gehst du, Abraham?“, fragt Hagar, sich gewahr werdend, was hier mit ihr und ihrem Kind geschieht. Du bist doch nicht gekommen, uns hier allein zu lassen?

Die Geschichte erzählt nichts davon, wie sich ihr Magen zusammenzog und ihr Herz verkrampfte als sie ihren Herrn gehen sah. Wie sie dachte „Großer Gott“ und verzweifelt, in unbeschreiblicher Angst, allein die nächtliche Kälte der Wüste erwartete, und den grausamen Tod durch einen Schakal oder durch Durst. Wer würde zuerst sterben? Sie oder das Kind? Über all das ist uns nichts bekannt, denn wir lesen die Geschichte so, wie wir Geschichtsbücher lesen. In manchen Geschichtsbüchern werden auf hundert Seiten ganze Zivilisationen abgehandelt, die auf- und untergegangen sind. Ich mag Geschichtsbücher nicht. Ich mag Teppiche. In Geschichtsbüchern liest man über Grausamkeiten, als währen sie Kollateralschäden. Wird jemand zur Verantwortung gezogen, so bleibt der Text sachlich und macht damit alles zur Sache, auch die Menschen, um die es darin geht. Ich mag keine Geschichtsbücher – sie handeln von Kriegen und ihren Kriegstreibern, von Patriarchen und Führern und vergessen die Menschen, die dahinter stehen. Teppiche sind mir lieber. Die uns einladen, Verantwortung zu übernehmen, indem wir genau hinschauen. Es ist kein Zufall, dass die Literaturdidaktik der deutschen Nachkriegszeit die Vorstellungskraft als wichtiges Lernziel definiert. Die Vorstellungskraft macht nicht nur das Leseerlebnis reicher, sondern Literaturdidaktik ist immer auch Lebensdidaktik; und ohne Vorstellungskraft und die Fähigkeit, Gelesenes oder Erlebtes mit uns selbst zu verbinden, treffen wir ganz andere Entscheidungen im privaten wie im politischen Bereich. Doch zurück zum Text. Wir sind durchaus fähig, uns vorzustellen, was Hagar in diesem Moment gefühlt hat. Aber was Abraham fühlte, was ihn dazu trieb, sich der Prüfung Gottes zu stellen und das ihm scheinbar Gebotene zu erfüllen, das fällt mir im Moment noch schwer zu verstehen. Diese Geschichte zu würdigen gelingt mir derzeit nur durch einen Perspektivwechsel – indem ich nämlich nicht mit Abraham zurückkehre, sondern bei Hagar in der Wüste bleibe.

Menschen möchten nicht sterben. Und sie übernehmen Verantwortung für ihre Kinder. Daher begann Hagar nach Wasser zu suchen. Zwischen den Bergen Safa und Marwa lief sie sieben mal hin und her, um dort Wasser zu finden. Sie kletterte auf Steine, um Ausschau nach einer Karawane zu halten. Als sie sich umblickte, sah sie eine Gestalt bei Ismael stehen. Es war der Engel Gabriel. Er stampfte mit seiner Verse neben dem Kind auf die Erde, und Wasser begann zu fließen. Nach anderen Überlieferungen war es das Kind selbst, das mit seiner Verse auf die Erde stampfte. Jedenfalls entsprang das Wasser, mit dem nun Hagar ihre Schläuche füllte, durch ein Wunder.

Bald danach zog eine Karawane des Stammes von Jurham nicht weit von Hagar und Ismaels Ort vorbei. Die Karawanenführer sahen Vögel über einer Stelle kreisen, wo sonst keine Vögel zu sehen waren und schlossen daraus, dass es dort Wasser geben würde, obwohl das bisher nicht der Fall gewesen war, weshalb ihre Route eben normalerweise nicht dort entlang geführt hatte. Sie folgten den Vögeln, um die neue Wasserstelle aufzusuchen. So fanden sie Hagar und Ismael und nahmen sie auf.

Abraham indessen war zu Hause bei seiner Frau Sarah und ihrem gemeinsamen Sohn Isaak, in dem Zelt, zu dem die Engel gekommen waren, um dem Kinderlosen im hohen Alter Nachkommen zu prophezeihen.

Abraham ist der Prophet, dessen Name nach Mohamed am häufigsten im Koran erwähnt wird. 69 Mal wird sein Name genannt und jedes einzelne Mal mit Lob bedacht.

Geboren wurde Abraham in Ur, einer Stadt in Chaldäa, ungefähr 200 Meilen von Baghdad entfernt, eine der so genannten ersten menschlichen Hochkulturen in Mesopotamien, also dem heutigen Irak. Man möchte meinen, Abraham wäre bei seiner Geburt mindestens 60 Jahre alt gewesen. Doch auch dieser Mensch war einmal ein Säugling, von einer Mutter gestillt, und sicher auch von einem Vater gemaßregelt, von verwandten Frauen und Männern in den Tugenden unterwiesen, die für seine Zeit galten. In Sure 3, Vers 67 lesen wir: Abraham war weder ein Jude, noch ein Christ, sondern er war einer, der sich von allem abwandte, was falsch ist, da er sich Gott ergeben hatte“. „Sich Gott ergeben“ heißt auf Arabisch „muslim“ sein, doch war er nicht Muslim im Sinne der Religionsbezeichnung sondern im Sinne eines Zustandes – ein Mensch eben, der sich Gott ergeben, oder hingegeben, hatte. Aus dieser Stadt Ur in Chaldäa kam übrigens auch Lot, der Sohn von Abrahams Bruder.

In Ur, in der viele Götter angebetet wurden, hatte Abraham seine erste religiöse Erkenntnis. Dabei ging es um die Praxis der Götzenanbetung. Er muss damals ein junger Mann gewesen sein. Vielleicht liebevoll kümmernd, vielleicht pubertierend aufmüpfig, sprach er zu seinem Vater (6:74-75): „Nimmst du Götzenbilder als Götter? Wahrlich ich sehe, dass du und dein Volk offensichtlich irregegangen sind! Und so gaben wir Abraham seine erste Einsicht in Gottes mächtige Herrschaft über die Himmel und die Erde.“

Abrahams Vater Azar, auch bekannt unter dem Namen Terah, betete in der Tat Götzen an, wie es eben damals üblich war. Er antwortete seinem Sohn, wenn dieser nicht seinerseits von der Kritik am Götzenglaube ablasse und dem Vater gehorche, müsse er ihn steinigen, denn dies war die Strafe für abtrünnige Söhne. Doch statt nachzugeben ging Abraham nun auch noch zu seinen Freunden und bat sie ebenfalls, ihren Glauben zu verändern. Diese wollten jedoch an der Anbetung der Götzen festhalten. Schließlich sei es die Religion der Väter.

Als es nun eines Tages ein Fest gab, an dem alle Menschen in Abrahams Umgebung teilnahmen, entschloss sich Abraham, stattdessen zu den Götzenfiguren seiner Freunde zu gehen und zerstörte sie alle – alle, bis auf den obersten Götzen, den er vollständig stehen ließ.

Als die Freunde zurückkehrten wussten sie sofort, dass Abraham für diese Tat verantwortlich sein musste. Sie stellten ihn zur Rede, doch er verneinte seine Schuld – es müsse der Chefgötze selbst gewesen sein, der dies vollzogen hätte, schlug er vor. Die Freunde sagten: „Wie könnte dieses Gebilde aus Stein, das wir selbst gebaut haben, so etwas vollziehen? Du siehst doch, Abraham, dass sie nur aus Stein sind und nichts erreichen können. Worauf Abraham antwortete: „Wenn euer Gott dies nicht kann, dann kann er euch sicherlich auch nicht helfen, wenn ihr in Not seid und ihn braucht!“ Von Anfang an hatte Abraham also Vertrauen in einen Gott, der den Menschen in der Not beiseite stehen würde. Vielleicht sah er in diesem Licht auch Hagar, als er sie in der Wüste zurück ließ. Denn beim Verlassen sagt er zu ihr: „Ich lasse dich in der Hand Allahs“.

Doch wer war dieser Allah, dieser höchste Gott?, fragte sich Abraham. Eines Nachts ging er daher hinaus und erblickte einen Stern. Er rief aus: „Dies ist mein Erhalter!“ – aber als er unterging, sagte er: „Ich liebe nicht die Dinge, die untergehen“.

Dann, als er den Mond aufgehen sah, sagte er: „Dies ist mein Erhalter!“ Aber als er unterging sagte er: „Fürwahr, wenn mein Erhalter mich nicht rechtleitet, werde ich ganz gewiss einer von den Leuten werden, die irregehen“.

Dann, als er die Sonne aufgehen sah, sagte er: „Dies ist mein Erhalter! Dies ist das Größte von allen!“Aber als auch sie unterging, rief er aus: „Oh mein Volk! Siehe, fern sei es von mir, etwas anderem neben Gott, wie ihr es tut, Göttlichkeit zuzuschreiben!“

Es folgte eine unschöne Zeit für Abraham in der Mitte einer Gesellschaft, die sich nicht von ihm überzeugen ließ, sondern sein Leben bedrohte, so dass er letztlich beschloss, seinen Vater und die Stadt Ur zu verlassen. Er bat Gott um Vergebung und Segen für seinen Vater und zog fort, „denn siehe, Abraham war höchst nachsichtig, höchst weichherzig, wieder und wieder willens, sich Gott zuzuwenden“ (11:75).

Abraham lebte längst mit seiner Frau Sahra zusammen und seiner Sklavin Hagar, als eines Tages drei fremde Männer zu seinem Zelt kamen. Das Gebot der Gastfreundschaft verlangte es vom Gastgeber, eine Mahlzeit zu bringen; von den Gästen verlangte es, diese Speisen anzunehmen. Doch die Gäste rührten das ihnen vorgesetzte Mahl nicht an. Es mussten Boten des Himmels sein, die zu Abraham und Sahra gekommen waren. Dennoch nahm Sahra ihre Botschaft nicht ganz ernst, die hieß, dass sie in ihrem fortgeschrittenen Alter einen Nachkommen Abrahams zeugen solle. Sowohl im Buch Genesis, dem ersten Buch Mose, als auch im Koran, ist überliefert, dass sie lachte. Dann verabschiedeten sich die Boten. Auf dem Weg hinaus schauten sie von einem Berg hinab in die Stadt Sodom, in der auch Lot mit seiner Familie lebte.

29:31 Und so, als Unsere himmlichen Boten zu Abraham mit der frohen Kunde von der Geburt von Isaak kamen, sagten sie auch: „Siehe, wir sind im Begriff, das Vok jenes Landes zu vernichten, denn seine Leute sind wahrhaft Übeltäter“. Und als Abraham ausrief: „Aber Lot lebt dort!“ – antworteten sie: „Wir wissen sehr wohl, wer dort ist. Ganz gewiss werden wir ihn und seinen Haushalt retten – alle bis auf seine Frau: Sie wird fürwahr unter jenen sein, die zurückbleiben“. Im Buch Genesis, dem ersten Buch Moses, lesen wir, was wir im Koran nicht finden, nämlich, dass Abraham bei den Engeln interveniert. „Aber“, sagt er, „wenn nur 50 Menschen in Sodom rechtschaffen sind, wird Gott dann Sodom verschonen?“ Gott – oder die Engel – das wird im Zusammenhang nicht ganz deutlich – sagt „Ja, für 50 gute Menschen wird Sodom verschont“. Durch diese Antwort ermutigt, fragt Abraham nun weiter, wie es denn mit 40 Menschen wäre. Auch für 40 gute Menschen soll die Stadt verschont werden. Abraham fragt bis zur Zahl Zehn. Da endet das Gespräch. Was wäre wohl die Antwort gewesen, wenn Abraham weiter gefragt hätte? Wenn es nur neun, acht, sieben,…einen einzigen guten Menschen in der Stadt geben würde?

Nachdem die Engel das Zelt Abraham und Sahras verlassen hatten, überlegte Sahra, wie es denn sein könne, dass sie einen Nachfolger haben würde. Wir lernen aus der jüdisch-christlichen Tradition, dass sie es war, die daher Abraham vorschlug, ein Kind mit der Sklavin Hagar zu zeugen. Dies war damals nicht unüblich, aber wir Frauen von heute wissen, dass das keine gute Idee für den Hausfrieden war.

Die Geschichte beweist es. Ismael, der Sohn Hagars wird geboren und erfreut sich der Liebe seines Vaters. Doch bald wird auch Sahra schwanger und bekommt Isaak. Die jüdisch-christliche Tradition sagt, dass Sahra aus Eifersucht zu Abraham sagt, er solle Hagar und Ismael in die Wüste schicken. Die Muslimische Tradition spricht von einer Prüfung, vor die Abraham gestellt wird. Eine Prüfung vielleicht, ob er Gott gehorcht, auch wenn es seinen Vorstellungen von Liebe und Gerechtigkeit widerspricht. Abraham möchte Hagar und Ismael nicht verstoßen, und dennoch willigt er schließlich ein. Er bringt sie in die Wüste, wohl wissend, dass dies ihren Tod bedeuten würde. Abraham, der Liebevolle. Abraham der Gütige, der muslim ist und taqua hat – mehr als jeder andere seiner Zeit. Religionspädagogen aus meiner Kindheit deklarierten Abrahams Ergebenheit als Tugend. Abraham war muslim und hatte Iman (Glauben) und Taqua (Gottesbewusstsein) – dass dies fast zu einem Mord geführt hätte, war ihnen einerlei.

Doch nun wird es interessant, denn an dieser Stelle interveniert Gott, offensichtlich um genau das zu verhindern. Denn Abraham war ihm wohl in der Tat lieb und teuer. Offensichtlich wollte er nicht, dass dieser geliebte Abraham eine Schuld auf sich lud, deren Vergebung nicht leicht sein würde. So rettete Gott Hagar und Ismael und rettete zugleich Abraham.

Noch ein weiteres Mal war Abraham so gottesfürchtig, dass er einem Traum nachgab, der vermeintlich von Gott selbst zu ihm gekommen war; dem Traum nämlich, seinen eigenen Sohn zu opfern, ihn wie ein Tier in den Wald zu bringen, zu fesseln und auf einen Stein zu legen, um nun mit einem frisch geschärften Messer seine Kehle zu durchtrennen. Doch auch hier wird Abraham von Gott davor bewahrt, einen Mord zu begehen.

Ja, er war in der Tat ein Mann, den Gott liebte, denn Abraham war in seinem Herzen mildtätig und liebevoll. Und vielleicht bewahrte in Gott deshalb davor, große Sünden zu begehen.

Setzen wir uns einen Moment zu ihm, Abraham, und fragen uns, was wir aus seiner Geschichte lernen sollen. Trinken wir eine Tasse Tee mit unserem uralten Propheten und sagen: Abraham, wir können die Deutungen der alten Patriarchen nicht länger akzeptieren. Deine Bereitschaft, andere Menschen zu töten, um damit Gott zu gehorchen, sehen wir kritisch und wenden uns davon ab. Wir sehen Organisationen wie den IS, die Morde an Menschen durch den Koran rechtfertigen und vielleicht sogar deine Geschichte als Grundlage verwenden. Sie sagen, wir haben göttliche Eingebungen und hören darauf, wenn sie ihre Schwerter schwingen, um Unschuldige zu töten. Wir sehen White Supremacists, die meinen, Christen zu sein, und Eingebungen haben, Muslime zu töten, um Gott zu dienen. Wir sehen Politiker, die Kriege führen, weil sie göttliche Eingebungen zu haben glauben. Wir sehen Muslime, Christen und Juden, die andere töten, weil sie meinen, Gott stünde auf ihrer Seite und gäbe ihnen das Recht dazu. Dies alles auf der Grundlage von Geschichten wie der von Abraham! Wie deuten wir diese Geschichte?

Vielleicht antwortet Abraham: Aus meiner Geschichte lernt ihr, dass auch Propheten Menschen sind. Ihr lernt auch, dass es immer ein Fehler ist, andere zu töten oder auch nur zu verletzen. Gott beweist es in meiner Geschichte, denn als ich Leid zufügen wollte, hat mich Gott daran gehindert. Gott wird nicht jeden daran hindern, anderen leid zuzufügen, aber a meinem Beispiel erkennt man die Unrichtigkeit solcher gefühlten Offenbarungen.

Dann würde Abraham vielleicht noch sagen, aus meiner Geschichte lernt ihr, dass man Lesarten historisch anpassen muss, um religiösen Texten weiterhin Sinn zu entnehmen.

Abraham sagt vielleich: „Ich bin Khalil, der Freund Gottes, und deshalb war ich überglücklich, dass Hagar und Ismael überlebt haben. Es wird von mir gesagt, dass ich sie nach ihrem Überleben in der Wüste noch lange immer wieder besuchte.“

Diejenigen Männer und Frauen, die Unterschiede zwischen Rängen vornehmen oder Hierarchien erfinden, lernen, dass alle Frauen gleichwertig sind, egal ob arm oder reich.

Diejenigen unter den Lesern, die koranische Texte als Mythen lesen, finden in der Verstoßung und der Opferung der eigenen Söhne vielleicht psychologische Deutungsvarianten. Im Dickicht unseres Unterbewusstseins opfern wir vielleicht auf dem Stein, gefesselt und gebunden, unseren Hang zum Diesseits. In die Wüste schicken wir vielleicht nicht die Menschen selbst, sondern unsere Vergötterung der Menschen um uns herum, die wir wertschätzen und lieben, aber nicht anbeten sollen. Es gibt viele Deutungsmöglichkeiten. Je mehr wir unsere Vorstellungskraft aktivieren, desto mehr spricht der Text zu uns selbst und ermöglicht uns fruchtbare individuelle Auseinandersetzungen.

Diejenigen Menschen auf der Welt, die Abrahams oder ähnliche Geschichten als Blaupause für das Quälen ihrer Mitmenschen verwenden wollen, sind jedenfalls im Unrecht. Leid zuzufügen ist niemals unser Recht.

Duaa:

Allah, wir danken dir für die Geschichten, die zu uns herabgesandt wurden; Geschichten, in denen du dich uns offenbarst, und wir uns wiederfinden, damit wir wissen was es heißt, Mensch zu sein und andere wie uns selbst zu verstehen, oder zu würdigen. Wir beten dir zum Dank und bitten dich um Kraft, zu erdulden, zu hoffen, zu lieben und zu lachen.

Und Gott weiß es am besten.

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