Männlichkeit

21.08.2020

Männlichkeit

Ich möchte heute über Männlichkeit reden.

Männlichkeit ist ein wichtiges Thema in unserer Gesellschaft, und ich möchte fragen, was Männlichkeit überhaupt ist. Kann ein Mensch ein Mann sein, obwohl er unmännlich ist?

Wir hören diesen Begriff so oft: „Er ist unmännlich!“, ist eine Beleidigung „er ist echt männlich!“, wird als Kompliment benutzt und: „sie ist extrem männlich!“ Ist eine Beleidigung wiederum.

Aber noch mal die Frage: „Was ist eigentlich Männlichkeit?“

Wird Männlichkeit überall gleich interpretiert, egal ob in Deutschland, der Türkei oder in Japan? Können Männer, die gänzlich unterschiedlich sind, trotzdem beide männlich sein? Natürlich können sie das!

Männlichkeit wird von der Gesellschaft gemacht. Während ein französischer Mann sich in der Vergangenheit geschminkt und rasiert hat, war das für einen osmanischen oder einen nordischen Mann undenkbar. Der Bart ist eine Sache, auf die man schwört, um eine Aussage besonders stark zu betonen oder eine Sache, die man beleidigt, um sein Gegenüber besonders hart zu treffen. Würde ein Osmane also den Bart eines französischen Mannes beleidigen, würde der Franzose sagen, ein anständiger Mann rasiert sich. Der Osmane würde antworten, nur ein verweichlichter Mann rasiert sich.

Jetzt ist die Frage: Ist der Franzose ein Mann? Oder ist der Osmane ein Mann? Oder sind doch beide Männer. Eine Prinzessin aus der persischen Kadscharen Dynastie würde zwischen den beiden stehen und sagen:„Ist doch ganz offensichtlich, ihr seid beide Männer!“, und dann würden beide, Franzose und Osmane, sie ganz schockiert angucken und sagen: „Ja, Allah, was bist du denn? Ich habe noch nie eine so männliche Prinzessin gesehen.“ (Kontext: Prinzessinen aus der persischen Kadschar Dynastie waren behaart, im Gesicht und am Körper, da das Schönheitsideal dort anders war.)

Jetzt ist die Frage, ist sie jetzt ein Mann oder ist sie mehr Mann als der Osmane aus französischer Sicht, oder ist der Franzose mehr Mann als sie aus osmanischer Sicht?

Das sind spannende Fragen, finde ich.

Am Ende hören wir oft, dass es im Islam so ist das, wenn der Mann die Frau nachahmt und die Frau den Mann nachahmt, die Apokalypse nah ist. Der Weltuntergang kommt. Aber es ist immer noch die Frage: „Was ist denn männlich?“

Wenn ich Menschen Frage, was männlich ist, kommen oft unter anderem solche Antworten:

1. Der Mann muss für Frau und Kinder sorgen!

2. Der Mann zahlt!

3. Der Mann macht den ersten Schritt beim Flirten!

4. Männer weisen andere Männer in die Schranken zur Not mit Fäusten!

5. Ein Bart ist männlich und Körperbehaarung ist auch männlich!

Und so weiter und so fort ihr kennt all diese Stereotypen, die natürlich in jeder Kultur anders sind, aber das sind Sachen, die ich oft höre.

Wenn ich dann die gleichen Menschen Frage, was ist unmännlich, heißt es:

„Der Mann sorgt nicht alleine für seine Familie“, „er lässt die Frau zahlen beim Essen“

– Es gab da mal einen Fall mit einem Freund von mir, der wirklich sauer wurde, als seine Freundin angeboten hat zu zahlen, weil er da seine Männlichkeit irgendwie beleidigt gesehen hat. –

„Er lässt sich veräppeln, ohne etwas dagegen zu unternehmen.“ „Er ist unbehaart.“ „Er ist schlank.“ Bis hin zu, ganz schlimm, „er ist schwul!“ Oder „er schminkt sich!“ Oder „zieht Röcke an!“

Aber ich frage mich; sind wir mit diesen Sachen, die wir als männlich oder unmännlich definieren, auch wirklich auf die Welt gekommen? Ja, ist der Mann mit Goldmünzen der Hand auf die Welt gekommen, damit er die nächste Frau auf ein Essen oder ein Getränk einladen kann?

Und ist die Frau mit Schminke und Rocken auf die Welt gekommen?

Nein!

Männlichkeit und Weiblichkeit sieht in jeder Kultur anders aus. Wie gesagt in Frankreich haben sich auch die Männer geschminkt und Röcke hat man in der ganzen Welt getragen. Es ist eine Sache, die wir heute als weiblich sehen, weil wir es dazu gemacht haben, und gerade in Kulturen mit starken patriarchischen Strukturen wird das Schwulsein als unmännlich gesehen, da sie davon ausgehen, dass einer der Männer ja die Rolle der Frau übernehmen muss. Sie können sich das anders nicht vorstellen. Es ist wie das tragen von Scheuklappen. Wenn man Pferden Scheuklappen auf setzt, dann sieht das Pferd nicht, was links und rechts ist. Und genauso ist das oft mit solchen Menschen. Die Antwort auf die Frage „Wer ist Mann?“ Oder „Wer ist Frau?“ Ist ganz einfach – beide Männer, sonst wären sie ja nicht schwul.

Ich meine, machen wir mal den typischen Männlichkeitscheck jetzt an mir:

Ich einen Bart, trage ein ganz normales T-Shirt. Ich trage Shorts – ganz normal. Ich habe einen wirklich behaarten Körper. Man sieht es an meinen Armen.

– Ich war letztens im Späti und habe meine Arme so auf den Tresen gelegt und dann fragt mich ein Typ „Bist du Türke?“ Und ich: „Ja, woher weißt du das?“ Und dann sagte er: „Deine Haare!“ –

Man kann also eigentlich sagen: „Ich bin eine laufende Testosteronbombe“ – also ein Mann!

Oder? Oder doch nicht?

Denn ich bin schwul!

Das heißt, ich bin unmännlich. Manche sagen: „Oh, mein Gott, ekelhaft, das geht gar nicht, unmännlicher geht es nicht.“

Das geht soweit, das mich mal ein ungefähr 16-jähriger Schwulenhasser auf der Straße geschubst und beleidigt hat, weil nach seiner Auffassung ja kein Mann bin. Ich bin ja eine ‚Schwuchtel‘ und mit einer ‚Schwuchtel‘ kann man so umgehen, weil man ja auch mit Frauen umgehen kann.

Das waren wahrscheinlich seine Gedanken. Nach kurzer Zeit hat er gemerkt, dass das ein Fehler war und er doch nicht „Manns genug“ war. – Ironisch, aber ja.

Ich finde die Rechnung auch spannend, ‚Mann + Mann = unmännlich‘

Ich weiß nicht, wie das funktioniert, aber das ist oft die Rechnung. Ich war auch nie besonders gut in Mathe, aber meine Rechnung geht so, es geht eigentlich nicht männlicher als eine Schwule-Ehe oder eine Schwule Beziehung, denn es gibt in einer Schwulenehe einen Mann mehr als in einer Heterosexuellen Ehe. Klingt für mich Männlicher.

Ich stehe hier in einer Hose vor euch, nach klassischen Sinne bin ich männlich, würde ich jetzt aber meine Hose gegen einen Rock austauschen, würde man sagen: „Ah, das ist jetzt weniger männlich!“ Ich habe hier im rechten Ohr einen Ohrring, das hat mich sowieso schon entmannt, und ich habe Freundschaften verloren, weil ich schwul bin. Weil diese Männer, mit denen ich befreundet war, Angst hatten, dass ich sie gleich mit entmannen würde. Ein guter Freund hat nur zu mir gesagt: „Mach dir keinen Kopf um die, wenn sie sich von so kleinen Sachen aus dem Konzept bringen lassen, sind sie schwach und unmännlich, das sind keine echten Männer!“

Ich habe dazu gesagt: „Doch auch das sind Männer, sie haben eine extrem schwache Persönlichkeit, was besorgniserregend ist, aber sie sind Männer, und männlich sind sie dazu.“

Wenn ich mit Frauen Rede ihren Problemen in ihrer Beziehung berichten, mit einem Mann und dort von Beleidigungen, Gewalt und Betrug betroffen sind, sagen sie oft: „Er war kein echter Mann!“ Und „ein wahrer Mann tut so etwas nicht!“ Auch da kann ich eigentlich nur sagen: „Doch! Er ist ein Mann, er war immer ein Mann, und der wird immer ein Mann sein, er ist wahrscheinlich extrem unsympathisch, und bei Gewalt gehört er bestraft, aber er ist und bleibt ein Mann“

Ich glaube, dass erst wenn wir kapieren, dass „Mann sein“, nichts anderes bedeutet, als ein bestimmtes Geschlecht zu haben, eine Geschlechtsidentität können wir das Patriarchat zerbrechen.

„Mann sein“ und „männlich sein“ sollte, am Ende einzig und allein bedeuten, ein Geschlecht zu haben. Ohne gesellschaftliche Pflichten bestimmte ideologische Sachen zu machen.

Sich dem Diskurs an passend möchte ich jetzt vereinfachend über Männer und Frauen reden, nicht über andere Geschlechter und einige Sachen aufzählen, die meiner Meinung nach wichtig sind:

„Wenn eine Person zahlen möchte, soll sie das tun, egal ob Mann oder Frau“.

„Wenn eine Person einen Rock tragen möchte, soll sie das tun Mann oder Frau“.

„Wenn eine Person sich schminken möchte, kann sie das auch tun“.

„Wenn eine Person auf der Straße Gewalt erlebt, sollte sie nach ihren Möglichkeiten eingreifen und helfen, egal ob sie die Polizei ruft oder sonst was. Egal ob Mann oder Frau.“

Mein bester Freund und ich haben vor Kurzem einen Raub miterlebt. Männer haben drei schlanke Leute ausgeraubt.

Es waren ganz schlanke Leute aus Dänemark, die das erste Mal zum Urlaub machen, in Deutschland waren 17 Jahre alt und sie wurden ausgeraubt. Und Männer, die die drei ausgeraubt hatten, sind kurz danach an uns vorbeigelaufen. Da wussten wir noch nicht, was passiert war, und haben dann am Ende mit den drei Jungs und der Polizei geredet. Aber um uns hatten die Männer einen großen Bogen gemacht, weil dann da plötzlich nicht mehr schlanke Menschen vor ihnen standen, sondern Bären. Es waren ausschließlich Männer anwesend. Ja, diese drei Jungs, die ausgeraubt wurden, sind nicht weniger männlich. Sie haben immer noch das männliche Geschlecht. Das müssen wir einfach kapieren, dass das alles nur körperliche Eigenschaften sind.

Und alles andere Charaktereigenschaften, die eine Persönlichkeit ausmachen, aber nicht die „Männlichkeit“ oder das „Mann sein“:

Ja, viele Männer und auch ich selbst in der Vergangenheit, stoßen sich selbst ins Unglück, weil sie glauben, bestimmte Männlichkeitsideale erfüllen zu müssen. Sie sind unglücklich, um Freunde und Familie nicht zu blamieren. Sie wollen nicht „unmännlich“ wirken.

Dazu kann ich nur sagen, dass sie damit aufhören sollten, um selbst glücklich zu sein, weil es bringt dir nichts, deine Persönlichkeit zu verstellen, nur um bestimmte Ideale von irgendwelchen Menschen zu erreichen. Am Ende sollte jeder Mensch er selbst sein.

Zu spät ist es dafür nie.

All diesen Menschen, die so sind, kann ich nur sagen, dass nur ihr selbst euer Leid beenden könnt und nur ihr selbst euch in dem Punkt glücklich machen könnt und emanzipieren könnt.

Wie jedes Mal möchte ich in meiner Predigt aus „der Prophet“ vorlesen, von Khalil Gibrans, das Kapitel von der Freude und vom Leid, passend zu den letzten Worten.

Von der Freude und vom Leid

Dann sagte eine Frau: Sprich uns von der Freude und vom Leid. Und er antwortete: Eure Freude ist euer Leid ohne Maske. Und derselbe Brunnen, aus dem euer Lachen aufsteigt, war oft von euren Tränen erfüllt. Und wie könnte es anders sein?Je tiefer sich das Leid in euer Sein eingräbt, desto mehr Freude könnt ihr fassen.Ist nicht der Becher, der euren Wein enthält, dasselbe Gefäß, das im Ofen des Töpfers gebrannt wurde? Und ist nicht die Laute, die euren Geist besänftigt, dasselbe Holz, das mit Messern ausgehöhlt wurde? Wenn ihr fröhlich seid, schaut tief in eure Herzen, und ihr werdet finden, daß nur das, was euch Leid bereitet hat, euch auch Freude gibt.

Wenn ihr traurig seid, schaut wieder in eure Herzen, und ihr werdet sehen, daß die Wahrheit um das weint, was euch Vergnügen bereitet hat. Einige von euch sagen: «Freude ist größer als Leid», und andere sagen: «Nein, Leid ist größer.» Aber ich sage euch, sie sind untrennbar. Sie kommen zusammen, und wenn einer allein mit euch am Tisch sitzt, denkt daran, daß der andere auf eurem Bett schläft.Wahrhaftig, wie die Schalen einer Waage hängt ihr zwischen eurem Leid und eurer Freude.Nur wenn ihr leer seid, steht ihr still und im Gleichgewicht.Wenn der Schatzhalter euch hochhebt, um sein Gold und sein Silber zu wiegen, muß entweder eure Freude oder euer Leid steigen oder fallen.

Das Leid, dass sich diese Menschen mit einer toxisch maskulinen Persönlichkeit selbst gegraben haben oder worin die Gesellschaft sie eingegraben hat, kann sie eigentlich nur umso glücklicher machen, wenn Sie diese Ablegen. Denn der Brunnen ist so tief, es passt so viel Glück hinein.

Ich hoffe, dass viele Menschen irgendwann dieses Glück finden, diese toxische Maskulinität abzulegen.

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