Die Welt des Buches

Die Welt des Buches

 

michal-grosicki
michal-grosicki

In meinen Predigten rede ich oft von Lernen, nachdenken, lesen.

Wenn ich unterwegs bin in Straßenbahnen, S- und U-Bahnen freue ich mich immer, wenn ich während der Fahrt lesende Leute sehe. Auch wenn es manchmal nur banale Literatur ist, um die Wartezeit zu überbrücken.  Sie sind das Lesen gewöhnt und greifen dann auch zu Materialien, die zum Nachdenken anregen. Jemand, der nicht gern liest, der weiß nicht, was ihm da eigentlich entgeht. Ich spreche nicht von Comicheften, sie sind zwar interessant und fantasieanregend, aber das war es auch.

     Man kann sich total mit einem Buch entspannen, in eine andere Welt hineinschlüpfen, sich mit den Helden des Buches identifizieren, man wird so in einen Bann gezogen, dass noch lange nach dem Lesen die Gedanken über das Gelesene kreisen, man darüber nachdenkt. Man vergisst die Welt um sich und man wird mit ihnen verändert das geistige Niveau eines Menschen steigert sich enorm, denn es bleibt nicht beim Nur-Lesen, sondern man reflektiert, lernt Neues, denkt darüber nach, sein geistiger Horizont wird erweitert, man beginnt vielleicht zu forschen. Das Buch eröffnet vollkommen neue Dimensionen.

    So muss es auch vor mehr als 1000 Jahre, ungefähr seit Mitte des achten nachchristlichen Jahrhunderts, in den islamischen Ländern gewesen sein. Ich möchte einfach an diese Zeit des Lernens, des Übersetzens, der Wissenserweiterung erinnern. Vor allem, weil die Nachwelt, also auch heute, davon profitiert. Sie ist wichtig, weil dieses Wissens- und Forschungsmaterial auch die Grundlagen für unser heutiges Forschen und Wissen gibt.

      Schon innerhalb eines Jahrhunderts nach der Offenbarung hat sich eine hochentwickelte, bestens organisierte Buchbranche entwickelt. Und das nicht nur in den bedeutenden Zentren des Islam, ich denke, jede größere Stadt hatte ihre Moschee und eine Schule mit Bibliothek.

     Aber für ein gutes Buch braucht man nicht nur ein Manuskript. Mit dem Forschen entwickelte sich gleichzeitig eine regelrechte Buchproduktion. Es musste zuerst kopiert werden, also entstanden viele Schreib- und Kopierstuben, zudem wurden die Bücher oft noch illustriert. Die einzelnen Blätter mussten gebunden werden, sie bekamen kompliziert hergestellte Buchdeckel und schließlich mussten sie publiziert und verkauft werden. Alles zusammen eine mühsame Herstellung. Aber eins fehlt in der ganzen Darstellung: das Papier. Hunderte von Papiermühlen entstanden im 8. Jh. dank einer fernöstlichen Erfindung, die das benötigte Papier aus Lumpen herstellten.

      Dass nicht nur in den bedeutenden Städten Schreibstuben und die nachfolgenden handwerklichen Betriebe vorhanden waren, spricht dafür, dass in afrikanischen Zentren noch heute viele solcher Bücher zu finden sind. Sie sind heute besonders kostbar, denn sie offenbaren die hohe Kultur der damaligen Zeit, eine faszinierende bibliophile Kultur.

Vergleichsweise erst nach der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jh. begann im christlichen Europa allmählich die Buchproduktion und damit auch das Bibliothekswesen eine stärkere Rolle zu spielen. In der muslimischen Welt hingegen gab es damals im 8.Jh. bereits große Bibliotheken, die zum Teil Hunderttausende Bände enthielten. Das spanische Kalifat besaß etwa 70 öffentliche Bibliotheken. Und natürlich gab es auch viele höchst umfangreiche private Sammlungen. So soll ein Arzt von Sultan Salah Ad-Din im 12. Jh.  rund 10.000 Handschriften besessen haben. 

    Begonnen hatte alles mit dem „Haus der Weisheit“ in Bagdad, als dort eine Bibliothek eröffnet wurde, in der viele der hervorragendsten Wissenschaftler aus dem ganzen islamischen Reich arbeiteten, egal welcher Religion sie angehörten. Ich habe es schon oft erzählt, dass sie sich Bücher und Manuskripte der alten Griechen, der Inder besorgten, diese übersetzen ließen und sie überarbeiteten mit ihren eigenen neuen Erkenntnissen. Viele dieser Wissenschaftler besaßen selbst Schreibstuben, in denen die neuen Werke kopiert wurden. Diese Kopien wurden dann zu Vorlagen für neue Kopien, um den neu entstandenen Wissensdurst zu stillen.

     In speziellen Ausstellungen kann man heute noch Kalligrafien oder Illustrationen bewundern. Sie zeigen alle Facetten der damaligen Buchkunst. Die Produktion solcher bebilderten Bücher oder Korane konnten sich wegen der hohen Kosten fast nur die herrschaftlichen Manufakturen erlauben. Sie waren oft eine finanzielle Investition, dienten als Statussymbol und wurden als herrschaftliche Geschenke weitergereicht.

     Die Herstellung war sehr vielfältig. Sobald ein Förderer ein bestimmtes Projekt ausgewählt hat, kümmerte sich der Leiter einer Manufaktur für alle Arbeiten bis zum fertigen Produkt. Er entwarf die Seiten, entschied darüber, welche Teile des Textes bebildert wurde und wählte dafür bestimmte Schreiber und Künstler aus. Zuerst wurde ein bestimmtes Papier mit speziellen Zutaten ausgesucht, manches Papier wurde bei seiner Herstellung gleich eingefärbt, andere mit Goldpuder besprenkelt oder marmoriert. Man konnte sogar schon Papier mit Musterung herstellen oder ihre Oberfläche besonders weich und aufnahmefähig für Tinte machen. Die Schreiber bereiteten ihre Tinte und Schreibfedern selbst her und pressten Hilfslinien in das Papier, bevor sie den Text kopierten. Stellen für die Illustrationen ließen sie aus. Oft gab es mehrere Illustratoren an einem Werk. Der eine war für Porträts zuständig, ein anderer lieferte beste Schlachtenszenen, während ein dritter am besten Landschaftsminiaturen malen konnte, oder mehrere arbeiteten zusammen an einer Darstellung. Als Farbe benutzte man mineralische Quellen: Gold, Silber, gemahlene Lapislazuli für das königliche Blau, Malachit für Grün, Rubin für Zinnoberrot. Diese Pigmente wurden mit einem Trägermittel aus Eiklar oder Kleister, was es glänzend machte, nach dem 16. Jh. mit Gummi arabicum, auf das Papier aufgetragen. Nachdem die Bilder fertig waren, kamen Ausschmückungen des Textes hinzu, dazu gehörten Kapitelanfänge, bunte Rahmen oder Linierung. Dann wurde jedes Papier mit einem Stein poliert. Schließlich mussten die einzelnen Seiten vernäht und gebunden werden. Die Deckel wurden mit dem Rücken verbunden. Also ein Haufen Arbeit, bis so ein Buch fertig war, eben eine richtige Kostbarkeit schon damals, die natürlich nicht in eine öffentliche Bibliothek gehörte.

   In der ganzen muslimischen Welt waren öffentlich zugängliche Bibliotheken verbreitet. Es gab wohl keine Moschee oder Madrassa ohne eine Sammlung von Büchern, die den Lesern oder den Studenten zur Verfügung standen. In Bagdad gab es vor dem Mongolen-Einfall 36 öffentliche Bibliotheken und über 100 Buchhändler die meistenteils die Bücher selbst herstellten, indem sie Kopisten beschäftigten, die sie von Hand vervielfältigten. Ich habe noch nicht die öffentlichen Büchereien in Berlin gezählt, aber ich denke, für Bagdad waren das sehr viele.

    Der Kalif von Cordoba ließ durch Agenten im ganzen Orient nach neuen Büchern Ausschau halten. Der fatimitische Kalif Al-Asis in Kairo soll mit seiner Bibliothek die  schönste und umfangreichste von allen besessen haben mit 1 600 000 Bänden, allein davon 6500 mathematische und 18 000 philosophische Schriften. Der Ehrgeiz war natürlich groß, so dass die Hofbeamten nacheiferten, sicher um gut dazustehen.

     Der beste und originalste Nacheiferer war der Kaiser Friedrich II., er ließ sich auf seinen Reisen von seiner beachtlichen Bibliothek begleiten, natürlich stilgerecht auf Kamelrücken.

    Man kann sich gut vorstellen, dass diese umfangreichen Bibliotheken Armeen von Schreibern benötigten. Das heißt: Bildung war großgeschrieben, nicht nur, um die Bücher alle zu lesen, nein, man musste sie ja auch studieren, um dann anschließend darüber zu diskutieren, nachzudenken. Große Diskussionsrunden waren sehr beliebt und fanden öffentlich statt. Und jeder konnte mitreden, es gab keine Religionsschranken.

     Und heute? Alle, die anders denken als vorgegeben, werden kritisiert, ihnen den Mund verboten, schikaniert und mit der Hölle bedroht. Selbst ich als kleines Licht wurde schon in die Hölle gewünscht. Aber ich bin trotzdem noch hier.

    Aber wie erfuhr man, dass jemand wieder ein Manuskript fertig hatte? Es gab ja noch keine Büchermesse wie heute. In der Islamischen Zeitung habe ich gelesen: Der Ort der intellektuellen Aktivitäten war die Moschee so wie auch Vorstellung und Verbreitung neuer Studien. Man traf sich dort, um den Berichten der Wissenschaftler und Autoren zu lauschen, wenn sie die Ergebnisse ihrer Studien vorstellten. Der Autor erstellte zuerst aus seinen Aufzeichnungen ein Originalmanuskript, genannt Asl. Dann wurde das Buch vom Autor in der Moschee vorgetragen und die Kopisten konnten erst dann den Text niederschreiben. So war der übliche Vorgang: erst das Vortragen und dann kopieren. Die Themen waren breit gefächert: Literatur und Poesie, Geschichte, Biographien, Mathematik, Astronomie, Philosophie, Medizin, Reiseberichte.

   In der Kalligrafie setzte sich ab dem 10. Jh. eine neue Strömung durch. Die Kursivschrift wurde zwar schon in Alltagsgebrauch benutzt, nun erhielt sie eine Aufwertung. Von Ibn al-Bawwab ist ein auf das Jahr 1000 datierter Koran erhalten. Eine sorgfältige Kursivschrift wechselte sich harmonisch mitkostbaren Illuminationen ab. Die Krursivschrift erlaubte kleinere Ausführungen der Buchstaben und konnte schneller geschrieben werden. So wurden die Bücher auch kleiner, schneller und billiger und größere Mengen.konnten produziert werden.

     Viele Muslime vermachten nach ihrem Tod ihre ganze Bibliothek ihrer Moschee als Stiftung. So entstand zur Moschee gehörend oft eine riesige Bibliothek, in der dann auch studiert wurde. Große Bibliotheken und Lehranstalten wie die von Cordoba oder Toledo zogen auch viele Christen an, die in diesen Einrichtungen studierten.

     Man konnte sich auch Bücher ausleihen, was wie heute auch ordentlich geregelt war: Sorgsames Umgehen, keine Anmerkungen oder Korrekturen hineinschreiben, eventuelle Schreibfehler dem Bibliothekar melden und zu einem bestimmten Zeitpunkt das geliehene Material zurückgeben.

    Die meisten der islamischen oder in Arabisch geschriebenen Texte wurden leider nach der Eroberung durch die Christen vernichtet oder einfach geraubt. Oder man entfernte einfach den Namen des Autors, so dass man später nicht mehr wusste, wer für das Werk geforscht hatte. So war es auch in Bagdad. Alles Verschriftlichte wurde durch die Mongoleneinfälle vernichtet. Welch ein gro0er Verlust. Umso wertvoller sind die erhalten gebliebenen Dokumente der Bibliothek der Universität von Kairouan in Tunesien. Sie geht bis in die aghlabidische Zeit zurück und verfügt über eine besonders große Zahl sehr früher Dokumente, die auf Pergament geschrieben wurden. Sie ist heute die größte Pergamentsammlung der Welt.

    Aber auch noch heute findet man in den muslimischen Ländern, meistens in afrikanischen Ländern, Stände von Buchhändlern oder Privatpersonen, die über sehr alte Korane oder andere Werke verfügen.

      Ich wollte euch heute mal ein bisschen Einblick in das kulturelle Leben und Wirken vor rund 1000 Jahren geben.

    Eine Buchvorstellung muss sehr interessant gewesen sein. Ich kann mir das lebhaft vorstellen: Der Autor trägt seine Erforschung zum Beispiel in Philosophie vor. Vielleicht sind die Zuhörer zuerst erstaunt oder entrüstet? Fragen werden gestellt, es entsteht eine rege und vielleicht lebhafte Diskussion, ein Hin und Her von Meinungen, ein Streitgespräch. Jeder will zu Wort kommen. Erst wenn seine Arbeit anerkannt wird, kann er hoffen, dass sie auch als Buch angenommen wird.

   Manche Bücher haben bis heute überlebt, die auch in vielen Sprachen Eingang gefunden haben, so auch ins Deutsche. Erinnert euch an mein kurzes Vortragen der Erlebnisse von Ibn Dschubair aus seinem „Tagebuch eines Mekkapilgers“, aus dem 12. Jh., bekannt sind altarabischen Fabeln, das biografische Lexikon von Ibn Challikan, oder  Teile einer Kosmografie von Al-Qazwini: „Die Wunder des Himmels und der Erde“ oder die „Alltagsnotizen eines ägyptischen Bürgers“ von Ibn Iyas, der große ägyptische Ereignisse seiner Zeit und viele Episoden aus dem Alltagsleben in Kairo Anfang des 16. Jh. aufschrieb. Sie alle geben uns Kenntnis vom Leben der damaligen Menschen.

     Ich möchte jetzt einen Sprung in die heutige Zeit machen, nach Malaysia. Im ganzen Land stehen beachtliche, wirkungsmächtige Moscheebauten, ich habe sie wirklich bewundert, ein ganzer Komplex Moschee, Bibliothek, viele Räume für Unterricht und Versammlungen aller Art und Feiern. Leider war meine Gruppe in Kulua Lumpur nicht im Museum für Islamische Kunst. Aber ich habe in der Islamischen Zeitung jetzt darüber gelesen. Dort steht: ‚In zwölf Galerien werden Modelle von weltbekannten Moscheen, wunderschöne antike Koranexemplare, ­Keramiken mit islamischer Kalligrafie, Stoffe, Schmuck und vieles andere ausgestellt. Besonders beeindruckend ist die Sammlung der antiken Koran­exemplare aus verschiedenen Teilen der islamischen Welt, von Spanien, Nord-und Westafrika, über das Persische Reich bis nach China, Malaysia, und Indonesien. Der Besucher ist verwundert über die Schönheit, die Verzierungen und die die Seele berührenden Geheimnisse der beschriebenen Seiten. Einige der Manuskripte sind auf das 7. und 8. Jahrhundert nach Christus datiert. Das bedeutet, es sind einige der ersten Manuskripte mit Versen aus dem Qur’an. Diese Manuskripte zu sehen berührt das Herz enorm, denn es ist ein klarer und greifbarer Beweis für die historischen Wurzeln der islamischen Zivilisation. Die handgeschriebenen und verzierten Seiten stellen eine ganz klare Verbindung zu den Muslimen der früheren Generationen her und ihre Liebe und Hingabe zum Islam dringt zu dem Besucher und umwebt sein Herz.‘

       Mit dem Wissen über das Leben der Muslime vor etlichen Jahrhunderten können wir sie vielleicht besser verstehen, das Geschehen dieser Zeit besser beurteilen. Und sie letztendlich bewundern, weil sie das Fundament einer Kultur geschaffen haben, auf dem wir heute aufbauen.

 

     

    

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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