Was gehört zum Glaubensbekenntnis? Überlegungen zur Rolle des Propheten Mohamed
Autorin: Susanne Dawi
Kürzlich bekam ich eine interessante Email, die ich zum Ausgangspunkt meines heutigen Textes machen möchte. Ich danke dem Schreiber für seine Anregungen!
Ein Bruder schrieb, man solle das Glaubensbekenntnis, also die Schahada, eigentlich auf den ersten Teil beschränken, also ausschließlich bezeugen, dass es nur einen einzigen Gott gibt. Auf den zweiten Teil „und Mohamed ist sein Prophet“ solle man lieber verzichten, da Gott mehrmals offenbart habe, dass Mohamed nur ein Verkünder sei, nicht also jemand, den man anbeten solle. Auch Mohamed selbst hat sich so geäußert. Er ist auch kein Vermittler zwischen dem Individuum und Gott, sondern lediglich das Mittel, durch das der Inhalt des Qurans an die Menschheit geleitet wurde.
Der Ansatz gefällt mir, auch wenn ich ihn nicht vollständig teile. In der Tat neigt der eine oder andere Zeitgenosse zu einem gewissen Personenkult um Mohamed (bzw. zum Teil auch um Ali Ibn Abu Talib), was dem Koran durchaus widerspricht und von Mohamed nie erwartet wurde. Im Gegenteil!
Gefallen hat mir auch das Verständnis des Email-Autors darüber, dass alle Menschen gleichermaßen belohnt werden, wenn sie gute Werke tun und sich Gott hingeben, also muslim sind. Wobei sich der Autor durchaus darüber bewusst war, dass es nicht nur um die Belohnung geht. Christen, Juden und Muslime können alle muslim sein, d.h. sich Gott hingeben. So ist also der erste Satz der Schahada für alle Gläubigen gleichermaßen relevant und richtig. „Es gibt keinen Gott außer Gott“.
Wenn man es beim ersten Satz des Glaubensbekenntnisses belässt, bleibt man allerdings unspezifisch, was die philosophischen Grundlagen des Lebens betrifft. Man muss sich überlegen, ob man das will. Um es platt zu sagen: Es kann ja jeder und jede daran glauben, dass es nur einen Gott gibt. Aber nach welchen Grundsätzen will er/sie leben? Auch Rechtsradikale können Monotheisten sein; ebenso Kriegstreiber oder andere Verbrecher. Es fehlt meines Erachtens nach der Hinweis auf den Inhalt der Religion oder die anzustrebende innere Haltung.
Man möchte also nicht nur bezeugen, dass es nur einen Gott gibt, sondern darüber hinaus bestimmte Grundsätze als anerkennenswert hervorheben . Diese Grundsätze wurden in der historischen Situation ihrer Entstehung verkörpert durch Mohamed, weil es damals noch keinen Koran in Form eines Buches gab. Mohamed war der Verkünder, aber seine Botschaft war noch nicht vollständig. Wer also meinte, seine Verkündung sei göttlicher Herkunft (nicht er selbst!), der folgte ihm und äußerte sinngemäß: „Mohamed ist der Prophet, dem ich folge, denn was er sagt, kommt von Gott.“ Diejenigen sagten nicht, wir glauben an Mohamed oder wir verehren Mohamed, sondern sie bestätigten seine „Prophetschaft“. Das was heute der Quran ist, war damals Mohameds gesprochenes Wort. Die Druckbuchstaben die wir heute lesen, waren die Laute seiner Stimme. Wenn wir also heute sagen: „…und Mohamed ist sein Prophet“, dann bedeutet das eigentlich: „und der Quran ist die göttliche Offenbarung“. Genauer gesagt, die hinter den Worten liegende Wahrheit ist die göttliche Offenbarung.
Nimmt man von einem übertriebenen Personenkult abstand, so darf Mohamed durchaus als Beispiel dessen gelten, was wir anstreben. Er wird von seinen Mitmenschen als ein extrem gutherziger und verzeihender Mensch gepriesen. Manch ein Feind, dem er verzieh, schloss sich der Bewegung Mohameds an, denn so viel Edelmut und Gnade war schätzenswert. Es war offensichtlich, dass sich die Gesellschaft verbesserte, wo die Regeln und inneren Haltungen gelebt wurden, die Mohamed von Gott an die Menschheit weitergab und ihr vorlebte.
Als Mohamed auf Grund der Verfolgung mit seiner Familie und einigen Gläubigen nach Abessinien floh, beschrieb Jaafar Ibn Abu Talib dem Abessinischen König, wer sie waren:
„Oh König“, sprach er. „Wir waren ein Volk der Jahiliya, der Unwissenheit, beteten Götzen an, aßen Kadaver, begingen Freveltaten, behandelten die Nachbarn schlecht, und die Starken unter uns nutzten die Schwachen aus. Auf diese Weise lebten wir, bis Allah uns von uns selber einen Propheten schickte. Wir kennen seine Abstammung, seine Ehrlichkeit, Vertrauenswürdigkeit und Keuschheit. Er lehrte uns, die Einzigartigkeit Allahs anzuerkennen, Allah alleine zu dienen und nicht Steinen und Götzen. Er lehrte uns, stets die Wahrheit zu sprechen, Treue zu wahren, Versprechen zu halten, die Rechte der Familie und Nachbarn zu achten und kein Blut zu vergießen. Er verbot uns, falsche Zeugenaussagen zu machen oder den Besitz der Waisen zu veruntreuen und unschuldige Frauen zu verleumden. Er befahl uns, nur Allah anzubeten und Ihm keine Götter beizugesellen, den Armen Almosen zu geben und zu fasten. Wir glauben ihm und der Offenbarung, mit der er von Allah kam. Wir beten Allah alleine an, ohne ihm Partner beizugesellen. Was Allah uns verboten hat, betrachen wir als verboten, und was Er uns erlaubt hat, betrachten wir als erlaubt….“
Als der König fragte, ob Jaafar etwas von seiner Offenbarung bei sich trüge, zitierte er aus der Sure Maryam über die Mutter des Propheten Isa (Jesus). Der König weinte und gab den Geflüchteten gerne Asyl in seinem Land.
Auch in diesem Text besteht die Gefahr, ihn zu lesen, als habe Mohamed die neue Haltung selbst erfunden. Doch wissen wir, dass es sich um eine Offenbarung handelt. Diese konnte jedoch nur so wirksam werden, weil sie einen realen Vertreter hatte, der den Menschen beispielhaft vorlebte, wie sich diese neue Haltung im Alltag manifestieren sollte. Als Muslime lieben wir daher den Propheten Mohamed und verehren ihn als Menschen, doch erkennen zugleich sein Menschsein an.
In Sure AlFatiha, der Eröffnungssure des Qurans, die wir täglich aussprechen, sagen wir „dir allein dienen wir und dich allein bitten wir um Hilfe“ – womit wir natürlich Gott meinen, nicht Mohamed.
Ich bezeuge es gibt keinen Gott außer Gott und ich bezeuge, dass es einen Inhalt gibt, nach dem zu leben sinnvoll ist, um der Schöpfung gerecht zu werden. Dieser Inhalt wurde von Mohamed verkündet und beispielhaft vorgelebt. Heute steht er in Form von Wörtern im Quran.
Noch einmal herzlichen Dank für die anregende Email; und die herzlichsten Grüße an alle Leser. Allah ma3kun.
Sehr geehrte Frau Dawi,
wie verträgt sich der von Ihnen geschilderte Mohamed mit den im Koran beschriebenen Untaten, die er auch begangen haben soll?
Freundliche Grüße,
J. Bergemann
Lieber Kommentator,
sicherlich denken Sie inzwischen, dass Sie keine Antwort mehr auf ihren Kommentar erhalten werden. Sie meinen vielleicht, dass Sie Recht haben – dass der Mohamed von dem ich in meinen Blogtexten und Predigten erzähle, nicht vereinbar ist mit dem Kriegsherren, der das Kämpfen in den Dienst der Ausbreitung seiner Religion zu stellen schien, der Frauen erbeutete und sich dreist zu Ehefrauen nahm. Sie liegen nicht ganz verkehrt. Ich habe mich an vielen Stellen umgesehen und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass eine ehrliche Antwort ein Studium der Geschichtswissenschaften und der Islamwissenschaften voraussetzen würde, das ich nicht abgelegt habe. Es tut mir leid, Ihnen keine bessere Antwort geben zu können. Eine Buchempfehlung hilft vielleicht weiter: „Ist der Islam noch zu retten?“ von Hamed Abdel-Samad und Mouhanad Korchide. Die beiden Islamwisschenschaftler führen darin ein Streitgespräch, in dem auch Ihre Frage erörtert wird. Das Bild des liebenden, vergebenden Propheten Mohamed entsteht übrigens durch die Berichte seiner Frauen, insbesondere Aisha, die ihn wie Khadija sehr liebte. Beide hatten eine besonders innige, liebevolle, aber auch intellektuell anspruchsvolle Beziehung zu ihrem Ehemann und insbesondere Aisha hat sein Gedenken immer wieder gegen Hadithe durchzusetzen versucht, die auf Mutmaßungen, Fehlinterpretationen und teils kompletten Erfindungen beruhten. Insbesondere gegen das, was Abu Huraira verbreitete, hat sie sich immer wieder gewehrt. Möglicherweise wäre die weibliche Geschichtsschreibung über die Kriege eine vollkommen andere, als die der Männer, deren Ansichten in den Jahrhunderten nach Mohameds Tod unsinniger Weise größere Glaubwürdigkeit beigemessen wurde, wenngleich seine Frauen durchaus deutliche Worte sprachen. Gut liest sich in diesem Zusammenhang auch Fatima Mernissi, die den Kriegen allerdings ungewöhnlich positiv gegenüber zu stehen scheint, wenn ich sie richtig verstehe. (Fatima Mernissi, „Der Politische Harem“, 1989 u.a.)
Mit vielen freundlichen Grüßen,
Susanne Dawi