Kleine Avantgarde

Kleine Avantgarde

Frauen und Männer beten gemeinsam, Imaminnen predigen, Homosexuelle sind willkommen: Vor einem Jahr gründete die Rechtsanwältin Seyran Ateş in Berlin die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee. Die Zahl der Gegner ist groß, die Zahl der Gemeindemitglieder noch überschaubar.

Was viele Muslime aufbringt gegen die Ibn-Rushd-Goethe Moschee, geschieht gleich zu Beginn des Freitagsgebets: Eine Frau ruft die Gläubigen zusammen – das ist unüblich in den meisten Moscheen. Ebenso unüblich ist, dass eine Frau predigt. In diesem Fall Seyran Ateş. Vor ihr lauschen und beten Männer und Frauen gemeinsam – auch das ein Regelbruch. Der Schönheitsfehler nach einem Jahr Bestehen der liberalen Moschee: Es ist nur eine Handvoll Gemeindemitglieder, die sich vor Ateş auf den Gebetsteppichen niedergelassen hat. Aber Ateş vermeidet den Eindruck, dies sei eine Moschee ohne Gemeinde.

Sie sagt: „Wir haben ein großes Problem, das wisst ihr alle, dass manche Menschen Angst haben herzukommen, und das ist nach wie vor so, sonst wäre es hier vielleicht eher umgekehrt, mehr Betende und weniger Gäste oder gleich verteilt. Das kann ich euch bestätigen, denn unsere Moschee besteht nur aufgrund von Spenden. Und das sind sehr viel mehr Menschen als jetzt hier als Gemeinde zum Gebet da sind, ohne die könnten wir das gar nicht machen.“

Sie sehen die Frauenrechtlerin Seyran Ates in der neuen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee. (dpa-Bildfunk / AP / Michael Sohn)Seyran Ateş in der neuen Moschee in Berlin-Moabit (dpa-Bildfunk / AP / Michael Sohn)

Seyran Ateş wollte eine Gemeinde schaffen, in der Männer und Frauen gleichberechtigt sind, als sie die Ibn-Rushd-Goethe Moschee vor einem Jahr gründete. Ein Kopftuch muss hier niemand tragen. Auch Lesben, Schwule und Transmenschen finden Platz und können sich sogar trauen lassen. Ein aufgeklärter Islam soll hier praktiziert werden. Das brachte ihr viele Anfeindungen von konservativen und radikalen Muslimen ein bis hin zu Anschlags- und Morddrohungen. Die Juristin kann auch in der Moschee und im Gemeinderaum keinen Schritt tun, ohne dass Personenschützer des LKA sie im Blick haben.

„Wir wollen Teil eines größeren Ganzen sein“

Die Ibn-Rushd-Goethe Moschee hat Obdach in einem Nebengebäude der Joahnniskirche Berlin-Moabit gefunden. Ein schmales, schmuckloses Treppenhaus führt hinauf zu dem hellen Gebetsraum. Eine kunstvolle Holzkonstruktion weist Richtung Mekka. Die Einjahresfeier der Moschee fällt mit dem Zuckerfest zusammen, dem Ende des Fastenmonats Ramadan. In ihrer Predigt spricht Ateş über das Bedürfnis von Menschen, mit anderen zusammenzusein. Was sie sagt, klingt so, als sei es auf die Situation ihrer kleinen Gemeinde gemünzt.

Ateş sagt: „Wir wollen sehr gerne Teil eines größeren Ganzen sein. Doch das geht auch, wenn man mit sich im Einklang ist und um einen herum keine anderen Menschen, nicht so viele Menschen sind.“

Es ist allerdings nicht nur Angst, die Muslime abhält, in die Ibn-Rushd-Goethe Moschee zu kommen. Susanne Dawi ist die Frau, die hier fast jeden Freitag zum Gebet ruft. Die Lehrerin, die einst in der Kirche aktiv war, ist mit einem muslimischen Syrer liiert und hat viele muslimische Freunde – von denen bisher aber kaum einer einen Fuß in die Reformmoschee gesetzt hat.

Dawi erklärt: „Sie haben Vorbehalte, dass Männer und Frauen beten, das geht für die meisten gar nicht. Das ist eigentlich das Wesentliche. Dann dass ich als Frau auch vorbete, auch vor Männern, geht auch gar nicht, und dass ich zum Gebet rufe, kommt eigentlich auch nicht infrage.“

Die Kirche St. Johannes, aufgenommen am 12.05.2017 in Berlin. (Soeren Stache/dpa)Die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee nutzt den ehemaligen Gemeindesaal der Kirche St. Johannes in Berlin (Soeren Stache/dpa)

Zur Jubiläumsfeier hat sich eine bunte Gruppe an Menschen eingefunden: Einige Politprominenz ist da, Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau spricht ein paar Worte, christliche und jüdische Gemeindevertreter beten gemeinsam mit einem Mitglied der Ibn-Rushd-Goethe-Gemeinde.

Kinder spielen Fangen um Sicherheitsbeamte herum

Familie, Freunde und politische Unterstützer der Anwältin und ihrer Gemeindemitglieder lauschen der Musik im Gemeinderaum oder unterhalten sich im Garten. Kinder umrunden beim Fangenspielen die Beine von Sicherheitsbeamten. Das Fortbestehen der Moschee in Moabit ist zunächst gesichert. Seyran Ateş hat gerade den Vertrag für zwei weitere Jahre unterschrieben. Rund 35 feste Mitglieder hielten die Moscheegemeinde momentan am Laufen, berichtet Seyran Ateş:

„Das sind Menschen aus Marokko bis Indonesien, aus den verschiedensten Ländern, es sind Konvertierte dabei, Westdeutsche, Ostdeutsche. Und es sind Menschen dabei, die verschiedene Sprachen sprechen.“

Einer von ihnen ist Haroun Mehdi. Er bereitet in der Küche mit einigen anderen Melonen, Börek und andere Spezialitäten fürs Büffet vor. Der Student ist vor zehn Jahren aus Pakistan nach Deutschland gekommen und betet seit einiger Zeit in Seyran Ates‘ Moschee.

Mehdi erzählt: „Ich komme jeden Freitag hier her. Ich bin schon seit fünf Monaten hier und ich finde diese neue Idee sehr gut. Ich helfe manchmal bei der Organisation.“

Er habe zuvor auch in klassischen türkischen und arabischen Moscheen gebetet, berichtet Mehdi. Er wolle so viel wie möglich über seine Religion lernen und dazu gehörten auch die Ideen von liberalen Muslimen. Er sei es von seinen Eltern gewohnt, Dinge zu hinterfragen. Deswegen bringe er auch gern Freunde mit, um ihnen die Moschee zu zeigen. Die jüngere Generation sei offener für neue Strömungen. Allerdings treffe er auch auf viel Unverständnis.

Zehn Jahre Geduld

Dazu Haroun Mehdi: „Die meisten Leute verstehen nicht ganz genau, was die Idee dieser Moschee ist. Und wenn ich den Leuten erzähle, dass sie eigentlich etwas Anderes ist, als sie gehört haben, dann haben sie eine andere Meinung.“

Unter den Gästen ist auch Ludovic-Mohamed Zahed, der als schwuler Imam bekannt wurde und in Paris bereits 2012 eine Moschee eröffnet hat, die sich ausdrücklich auch an Schwule, Lesben und Transsexuelle richtet. Er betrachtet die noch bescheidene Größe von Ates‘ Gemeinde gelassen und sagt:

„In the end it will be a bit bigger, inshallah, but you don’t need thousands to build a movement.“

Sie werde noch ein wenig wachsen, allerdings brauche Ateş gar nicht Tausende Anhänger, um eine erfolgreiche Bewegung zu gründen. Ihre Moschee sei heute schon eine der größten und stabilsten liberalen muslimischen Gemeinden weltweit. Für Zahed geht es nicht darum, wie groß der Zuspruch unter Muslimen in Berlin ist. Er sieht die Moschee als Teil einer kleinen weltweiten Avantgarde. Ateş sagt, sie habe allein acht Jahre gebraucht, um die Idee ihrer Moschee zu entwickeln:

„Davon ausgehend nehme ich mal an, dass es etwa zehn Jahre dauert, bis es eine Entspanntheit gibt.“

Vor allem müssten bis dahin viele andere Moscheen in Europa entstehen, die es Liberalen wie  ihr und Ludovic-Mohamed Zahed gleichtun.

https://www.deutschlandfunk.de/liberale-ibn-rushd-goethe-moschee-kleine-avantgarde.886.de.html?dram:article_id=420509

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