Wer waren die Leute der Gemeinde der Glaubenden?

15.01.20214

In letzter Zeit hat es etliche islamisch motivierte Angriffe auf friedliche Menschen gegeben. Wenn ich zurücksehe, dann vermittelt mich diese Taten einen Eindruck, als wenn sich solche gewaltbereiten Muslime mit ihrem Terror und ihrer Motivation in die Enge, in die Bedrängnis gedrückt fühlen. Ein Hund beißt um sich herum, wenn er in die Enge gedrängt wird. Sie hören nicht mehr auf die Stimme der Vernunft, sondern nur noch auf die der fundamentalistischen Gruppierungen.
Es steht uns nicht gut, mit gleicher Sprache zurückzuschlagen. Aber wir können mit Aufklärung, mit Wissen, mit Nachdenken über den Islam dagegenhalten. Und so werden wir auch unsere Predigten nutzen.
Es kann nicht sein, dass solche Muslime wie Anis Amri ihre schrecklichen Taten mit dem Islam begründen. Der islamische Terror hat seinen Ursprung in einer religiösen Ideologie, die wir nicht vertreten und die auch nicht im Koran begründet ist. Unsere Antwort wird immer ein humanistischer Islam sein, begründet auf der Grundlage des Korans, den Worten eines liebenden und barmherzigen Gottes.
Meine nächsten Khutbas werden sich dementsprechend mit der Scharia beschäftigen. So werde ich noch einmal an die Anfänge des Islam zurückgehen.
So lautet mein heutiges Thema: Wer waren die Leute der Gemeinde der Glaubenden?
Ich habe schon länger darüber nachgedacht, wie aus einer Gemeinde von Gläubigen ein politischer Islam entstehen kann, ein Islam des Friedens und Menschlichkeit und ein Islam des Gehorsams und Gewalt.
Schon oft habe ich betont, um den heutigen Islam zu verstehen, muss man an die Anfangsgründe und -zeit zurückgehen. Diese Predigt ist eigentlich eine Vorbereitung auf die kommende Predigt mit meinen Gedanken: Was ist heute aus dem Islam geworden?
Ich möchte heute als erstes bekannte Verse aus dem Koran rezitieren:
23. Sure Al-Mu’minun, die Glaubenden, Verse 52: „Und wahrlich, diese eure Gemeinschaft ist eine einzige, einheitliche Gemeinschaft und ich bin euer Herr, bleibt euch denn Meiner bewusst. Ich werde mehrmals auf diesen Vers zurückkommen.
Hier wurden eigentlich alle Propheten und die Menschen, die ihnen folgen angesprochen, ihre Botschaft ist eine einzige, ungeachtet der jeweiligen Bedürfnisse ihrer Zeit und Gesellschaft. Das könnte heißen, die einzelnen Gruppen und Völker haben den Namen der Propheten für ihre eigenen Interessen benutzt, ihre eigenen dogmatischen Gefüge und Rituale beschützt. Mit den Worten von Muhammad Assad: ‚Und da diese Worte für die Anhänger aller Propheten gilt, schließt es die späteren Anhänger von Muhammad auch mit ein und stellt somit eine Vorhersage und Verdammung der doktrinären Uneinigkeit dar, die heute in der Welt des Islam vorherrscht.‘
Gehen wir aber noch in der Zeit etwas zurück:
Im 3./4. Jahrhundert begann eine Wanderungswelle der Beduienstämme. Sie ließen sich vor allem in bereits besiedeltes Land neben Oasenbauern nieder. Die Clans des Stammes der Quraish siedelten sich im Kultzentrum Mekka an und gliederten sich in den schon lange bestehenden Karawanenhandel mit ein. Entlang der Karawanenroute siedelten jüdische und christliche Stämme, die Verbindungen zum Sassanidenreich bzw. zu Byzanz pflegten. Eins hatten alle Stämme gemeinsam, sie waren eine Kultur- und keine Staatsnationen. Es herrschte ein Abstammungsdenken, alle Handlungsweisen ordneten sich unter. Gemeinsame Werte wie Tapferkeit im Krieg, bedingungsloses Unterwerfen unter den Stammesregeln, Solidarität innerhalb der Gruppe und Großzügigkeit gegenüber Schwachen verbanden die Menschen miteinander. Jeder besaß den Respekt innerhalb des Clans, solange er sich an die Regeln hielt. Dieser Zusammenhalt war wichtig, da die einzelnen Clans ja ständig untereinander in Streit lagen. Wer die Regel missachtete oder sich dagegen aussprach, wurde aus dem Schutz des Stammes entlassen und für vogelfrei erklärt.
Jeder Stamm besaß seine hauptverehrte Gottheit neben anderen Göttern. Für die Quraish war dies al-`Uzza. Aber im Mittelpunkt stand der Ka’bakult, in dem Allah eine bedeutende Stellung einnahm. Dieser Allah war der Schöpfer der Welt, der Spender des Regens und Erhalter des Lebens. Daraus ergaben sich wohl die Eigenschaften für den späteren Allah des Islams. Dennoch war für sie das Wenden an einen Gott nicht mehr als an einen käuflichen Nothelfer.
Was wichtig war, sie verbeugten sich nicht vor einem Gott. Beim Gebet sich niederzuwerfen galt als erniedrigender Brauch fremder Völker, es gab keine Duldung über sich. Und sie glaubten nicht an ein Leben nach dem Tod. Vielleicht merkt ihr schon, worauf ich in der nachfolgenden Predigt hinziele.
Man sagt, die ersten Jahrhunderte des Islam liegen im Nebel bzw. es gibt kaum schriftliche Zeugnisse oder Beweise. Kann es darum sein, dass es Teile vom Koran gibt, die fehlen, verändert oder hinzugekommen sind? Für mich ist das Wichtigste, was ich aus dem Koran in der heutigen Ansicht entnehmen kann.
Als Muhammad in Mekka mit Gottes Eingebungen auftauchte, werden die Leute sich anfangs amüsiert haben sie oder lachten ihn aus. Sie wunderten sich sicherlich über ein Leben im Paradies und Hölle und werden einfach ihre Rituale weiter fortgeführt haben. Da der Koran immer wieder Juden und Christen ansprach, müssen sie Muhammads Zuhörer gewesen sein. Denn Muhammad sprach ja über ihre eigene Religion, aber manches war dennoch etwas anders und das machte sie vielleicht neugierig. Auch wenn sie später zum festen Kern dieser neuen Gruppe wurden, werden sie wohl für sich ihre religiösen Riten weitergeführt haben. Sie waren ja Christen oder Juden und darum auch Gläubige. Muhammad hatte ja nicht vor, eine neue Religion zu erschaffen, das war nicht seine Aufgabe. Er sollte nur bessere Verhaltensweisen weitervermitteln.
Aber wenn die Bildung einer neuen Religion nicht angedacht war, was sollte dann das Ergebnis sein? Für mich heißt das: Christen sollten ihr eigenes Verhalten zu Menschen und Glauben an Gott überprüfen, wie auch die Juden. Gott hat durch den Koran die Christen und Juden angesprochen, dass sie in ihrer eigenen Religion mehr Respekt gegenüber anderen aufzubringen haben und ihr Glauben an Gott verstärken sollten. Vielleicht wurde darum Muhammad als Prophet ausgewählt, denn er gehörte weder den Christen noch den Juden an und wahrscheinlich praktizierte er auch nicht mehr die Riten seiner Väter. Vor allem hat Er den damaligen Menschen und ihrer Religionen und uns heute ans Herz gelegt, dass alle Menschen gleichwertig sind und nur ihre Taten zählen.
Die Menschen damals hatten ja eine ganz andere Beziehung zu den Inhalten der einzelnen Verse des Koran. Es war doch ihre eigene Geschichte, die Gott ihnen so verdeutlichte und von der wir oft nur vermuten können.
So hat der Koran für mich einen neuen Sinn bekommen. Es steht nicht eine Religion auf den Prüfstand, sondern der einzelne Mensch. Der Gläubige soll eigenverantwortlich für sein Glauben und seine Handlungen sein, das heißt: Seine Handlungen sind maßgeblich und nicht wie oft er den Koran rezitiert, wie oft er betet oder wie er gekleidet ist. Seine Beziehung und Verhalten zu anderen Menschen und zur Natur ist maßgeblich. Keiner außer Gott steht über ihn und er braucht keinen Vermittler zu Ihm.
Ich betone immer wieder, dass Muhammad als Prophet nur als ein Warner und schönes Beispiel in die Welt gesandt wurde. Er wollte aus Stammesgemeinschaften eine gläubige Gemeinschaft machen, die an den Einen Gott glaubt und die sich als Geschwister im Glauben sieht.
Im Koran teilt Gott den Glaubenden in der 5. Sure, al-Ma’ida, Vers 3 mit, nach Muhammad Asad: „Heute habe ich euer religiöses Gesetz vervollkommnet und euch das volle Maß Meiner Segnungen erteilt und gewollt, dass Selbstergebung in Mich eure Religion sein soll“. In vielen anderen Übersetzungen wird der Satzes so übersetzt: „Heute habe ich euch eure Religion vervollkommnet und meine Gnade an euch vollendet und euch den Islam zur Religion erwählt.“
Mit Vervollkommnung ist vielleicht nur eine höhere Stufe des Glaubens an Ihn gemeint und keine neue Religion, die andere als zweitrangig erkennt. Für die Vielgläubigen der arabischen Stämme wie die Quraish meint Gott vielleicht, dass sie sich nur noch an Ihn wenden, denn sie werden ja schon von Ihm rundherum beschützt.
Was das ‚heute‘ bedeutet, kann man nicht erkennen. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um die Zeit seiner letzten Pilgerfahrt, am Berg Arafat. Es könnte der Höhepunkt von Muhammads Prophetie darstellen, da er bald darauf starb. Aber die Bezeichnung für Islam drückt in der Sprache des Korans die religiöse Lebenshaltung der Muslime aus. Islam bedeutet so viel wie „Gottergebenheit“ aus. Es ist nichts anderes als „Hingabe an den einzigen Gott“. Und das gilt für alle Propheten mit ihren Gemeinden.
Bei seiner Abschiedspredigt am Berg Arafat soll er auch seine Gemeinde an die gesellschaftlichen und religiösen Veränderungen erinnert und vor einem Rückfall in die vorislamische Zeit gewarnt haben. Er soll mit dem Vers der Sure Al-Hudschurat an Gottes Worte, dass Er den Menschen aus einem Männlichen und Weiblichen erschaffen hat, hingewiesen haben und sie zu Völkern und Stämmen gemacht haben. Muhammad hob damit die Gleichheit und Verwandtschaftlichkeit der Menschen hervor. Und gleichzeitig hob er die Stammesprivilegien und -Verpflichtungen und irgendwelche Monopolstellung in Bezug auf Glaubensrichtungen auf mit der Betonung, dass jeder Mensch gleich ist.
Das einzige Maß des gläubigen Menschen ist die Stärke und Intensivität des Glaubensbewusstseins an Gott und seine Moral und Ethik. Gott forderte die Gläubigen auf, am Koran als Richtschnur festzuhalten und hält somit die Solidarität der neuen Gemeinde der Solidarität einzelnen Stämme gegenüber für wichtiger und besser. Alles in allem legte er den Menschen Grundrechte, Menschenwürde und das Recht auf Leben jedem Einzelnen ans Herz – unsere heutigen ethischen Werte!
Zum Abschluss rezitiere ich nochmals den Anfangsvers aus der 23. Sure Al-Mu’minun, die Glaubenden, und füge die Verse 53-56 hinzu: „Und wahrlich, diese eure Gemeinschaft ist eine einzige, einheitliche Gemeinschaft und ich bin euer Herr, bleibt euch denn Meiner bewusst. Aber sie (die behaupten, euch zu folgen) haben ihre Einheit weit auseinandergerissen, Stück für Stück, und jede Gruppe ist nur über das erfreut, was sie selbst an Lehren besitzt. Aber lasse sie allein, in ihrer Unwissenheit verloren, bis zu einer zukünftigen Zeit. Denken sie, dass mit all dem Reichtum und Nachkommenschaft, die Wir ihnen bereiten, Wir sie nur miteinander wetteifern lassen wollen im Tun, dessen, was sie erachten als gute Werke? Nein, aber sie nahmen ihren Irrtum nicht wahr.“ Diese Verse waren an die Propheten gerichtet. Sie alle haben ein und dieselbe Wahrheit ihren Gemeinden dargelegt, aber diese Einheit der Gläubigen ist durch den Egoismus, Gier und Machtstreben der Menschen zerrissen worden.
Es zeigt die damalige Zukunft auf: Vieles sollte sich bald nach dem Tod der Propheten Muhammad wieder verändern. Und damit beende ich diesen Teil.
Mein nächstes Thema wird sein: Machtfaktor Gehorsamkeit als Grundlage zum Entstehen eines politischen Islam.
Manaar

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