Gedanken zum Klima

Gedanken zum Klima

 

Nikola Jovanovic
Nikola Jovanovic

Ummati Ummati! Allahs Liebe und Vergebung am Jaum AlQiama, dem Tag des jüngsten Gerichts.

Letzten Freitag gab es in Berlin und in vielen anderen Städten der Erde Demonstrationen ohne Gleichen. Die Angst vor der Klimakatastrophe treibt die Menschen zusammen und hinaus auf die Straßen. Millionen von Menschen fürchten, dass wir die Erde so zerstört haben, dass unsere Kinder nicht an den natürlichen Alterungsprozessen sterben werden, sondern auf der Suche nach Nahrung und Wasser verzweifeln werden. Die Erderwärmung um 2 Grad scheint kaum aufhaltbar. Die um sich greifende Dürre in unseren fruchtbaren Gegenden wird, so fürchten wir, in unserem jetzt noch reichen und grünen Land zu genau den Bildern führen, die ich im Alter von sechs Jahren über die Hungersnot in Äthiopien sah. Hungernde Kleinkinder mit aufgequollenen Bäuchen, die apathisch in der Wüste saßen, kraftlos der Pein der Fliegen ausgesetzt, die in ihren Augen krabbelten. Furchtbare Bilder, die mich nie verlassen haben. Meine eigenen Kindern wollen keine Kinder bekommen, weil sie es nicht verantworten können, sie diesem Leid auszusetzen. Der Mensch ist dabei, die Erde zu zerstören. War es vor zweihundert Jahren noch üblich, mit der Pferdekutsche zu reisen und entsprechend nicht sehr weit zu kommen oder sehr lange unterwegs zu sein, werden die Autos sogar im aufgeklärten Deutschland, das sich für moralisch vorbildlich hält, immer noch größer und größer. Statt seltener, oder überhaupt gar nicht mehr mit dem Flugzeug in den Urlaub zu fliegen, halten wir daran fest, denn die Flugpreise sind weiterhin lächerlich billig, trotz der miserablen Ökobilanz oder des schlechten ökologischen Fußabdrucks, den wir Einzelne dadurch hinterlassen. Der Einzelne das sind wir. Der Mensch ist geflissentlich dabei, das Leben zu vernichten und hört nicht einmal jetzt damit auf, im Angesicht der Veränderungen in der Arktis, der Messergebnisse, der neuen Erfahrungen und dem lauten Aufschrei der Wissenschaftler überall in der Welt. Wir leben gut und sind nicht bereit, diese Lebensqualität aufzugeben, wissen auch gar nicht, wie. Wir beschäftigen uns damit, Strohhalme aus Naturstoffen zu nutzen und man suggeriert uns, dass wir auf diese Weise etwas verändern könnten. Zugleich fliegen die Manager und Managerinnen der großen Firmen weiterhin kreuz und quer durch die Atmosphäre, zerstören damit eben diese.  Kreuzfahrten zur Erholung führen von Südamerika bis in die norwegischen Fjorde, wo ich sie gesehen habe, verunreinigen Meere und Flüsse. Statt ein bisschen wandern zu gehen, setzt man sich in so ein Unikum und tut so als gehöre einem die Welt. Die Kleinen, zum Beispiel die Kinder meiner Schule, wollen keine Pappbecher mehr verwenden, während ihre Eltern in der Politik und Wirtschaft Augen und Ohren verschließen, egal wie die Bürger zappeln und schreien. Gleichzeitig gehen auch die Eltern auf Friday for Future Demonstrationen. Es fehlt die kreative Vision. Unsere politische Demokratie hat der wirtschaftlichen Diktatur nichts entgegenzusetzen. Diktaturen lassen sich nur sehr schwer vom Sockel heben. Besonders, wenn man auf ihrer guten Seite steht, hat man wenig Interesse an Veränderung. So ist es auch in diesem Fall. Wir schauen auf andere Länder und deren Diktaturen, wollen bei ihnen demokratische Politiklandschaften etablieren und schrecken hierfür nicht einmal vor Gewalt zurück, dabei schaffen wir es nicht kaum im eigenen Zimmer, die Wirtschaftsdiktatur erfolgreich mit dem Besen hinauszukehren, denn deren Ansichten haben sich in unseren Köpfen fest etabliert, und alles Andere ist mit Furcht verbunden. Furcht vor allen Dinge vor dem Verlust von Eigentum und vor dem Verlust der Meinungs- und Handlungsfreiheit.

 

Als Reaktion auf die Friday for Future Demonstrationen bekam ich in meiner Schule einen Brief der Schulleitung, wie mit Fehlzeiten der Schülerinnen und Schüler umzugehen sei. Das Fehlen zum Demonstrieren werde nicht entschuldigt, es  müsse ab fünf einzelnen Tagen dem Senat gemeldet werden. Wenn man also fünf mal am Freitag während der Schulzeit demonstriert hat, wird eine Schulversäumnisanzeige gestellt und das Jugendamt eingeschaltet. Möglicherweise sieht der Senat auf Grund der politischen Brisanz von den daran anschließenden Sanktionen ab, doch kann die Schulversäumnis auch mit hohen Bußgeldern geahndet werden. Über die Teilnahme von Kindern an Demonstrationen kann man sich selbstverständlich trefflich streiten – ich persönlich bin kein großer Fan davon – aber nach Deeskalationspolitik und Ernstnehmen durchaus berechtigter Ängste und Forderungen sieht das nicht aus. Besonders für junge Leute der ersten Generation also, die massive persönliche Folgen des Klimawandels befürchten, ist das ein inakzeptables Feedback der Regierung. Wir bekommen hier nicht die Botschaft von Gemeinsamkeit der Generationen zum Durchsetzen lebensnotwendiger, moralisch hochwertiger Ziele; auch nicht die Botschaft von der Anerkennung bürgerlichen Engagements; sondern die Botschaft des Schweigens. Das Schweigen aber gehört zur Systematik der Diktatur. Unsere demokratischen Regierungen schweigen unter dem Diktat der Wirtschaft.

Ich bin keine Politikerin und an dieser Stelle vielleicht angreifbar. Aber ich stehe hier als Imamin und weiß, dass der Islam uns anhält, mit der Schöpfung Allahs ordnungsgemäß umzugehen. Dem Klimawandel jetzt mutig entgegenzutreten um die Erde zu schützen, entspräche diesem Gebot.  Ordnungsgemäß bedeutet, nach der Maxime zu handeln, dass uns diese Schöpfung nicht gehört und dass sie gerecht geteilt werden muss. Nicht nur einmal spricht der Koran über die Waage, das Maß, und erinnert uns, nicht mit zweierlei Maß zu messen. Gerechtigkeit, also auch das gerechte Teilen der Ressourcen, gehören zu den inhärenten Merkmalen des Islam. Doch wir messen mit zweierlei Maß. Seit Jahren laufen Menschen in manchen Bereichen der Erde jährlich weiter und weiter, um Wasser zu holen. Wir messen ihre schweren Schritte mit leichtem Maß. Unseren eigenen Schritten legen wir ein schweres Maß an. Wir versuchen, sie zu vermeiden, indem wir uns anderer Transportmittel bedienen.

„Und er hat das richtige Abwiegen zum Gebot gemacht. Auf das ihr euch in der Waage nicht vergeht. So setzt das Gewicht in gerechter Weise, und betrügt nicht beim Wiegen. Und er hat die Erde für die Geschöpfe bereitet.“ (55)

Diese Geschöpfe sind ja keineswegs nur wir. Jeder Vogel, jedes Insekt gehören dazu. Mohamed sagte, nicht einmal Ameisen darf man töten, jedenfalls keine großen, denn sie verursachen keinen Schaden. Das Töten kleiner Tiere, die uns direkt Schaden verursachen, ist uns erlaubt. Allerdings darf man sie niemals mit Feuer töten. Es geht hier um die Schöpfung Allahs, nicht um unsere freie Verfügbarkeit.

 

Der Prophet der Gnade sprach: Während ein Mann auf seinem Weg war, verspürte er Durst. Er ging zu einem Brunnen, stieg hinab und trank davon. Als er nach oben zurückkehrte, sah er einen Hund, der Schlamm fraß, um seinen außerordentlichen Durst zu stillen. Der Mann sagte sich: „Dieser Hund leidet am selben Leid an dem auch ich gelitten habe“. So kletterte er erneut in den Brunnen hinab, füllte seinen Schuh mit Wasser, klemmte ihn zwischen seine Zähne und brachte das Wasser hinauf, wo er es dem Hund zum Trinken gab. Gott belohnte ihn für diese gute Tat. Die umstehenden Menschen fragten Mohamed, ob es denn lohnenswert sei, den Tieren zu dienen. Mohamed sprach: „Ja, es gibt eine Belohnung für den Dienst an jedem Lebewesen“.

 

Auch diese Geschichte erzählen wir uns:

Eines Tages betrat der Prophet den Garten eines Bewohners von Medina. Ein Kamel sah den Propheten und begann zu weinen. Der Prophet streichelte seinen Kopf und redete freundlich mit dem Kamel. Als Mohamed es zu seinem Besitzer zurück brachte, sprach Mohamed zu ihm: „Fürchtest du nicht Allah in Bezug auf dieses Tier, das dir Allah anvertraut hat? Es sagte mir, dass du es nicht ausreichend ernährst und mit schweren Lasten belädtst, die es ermüden.“

 

Ein weiteres Mal nahm jemand ein Ei aus einem Vogelnest. Die Vogelmutter flog trauernd zu Mohamed. Dieser fand die Person und bat sie, das Ei zurück zu legen, aus Gnade für den Vogel.

 

„Der keine Gnade zeigt, wird keine Gnade erhalten“. Dies ist vielleicht der harscheste Satz, der dem Propheten zugeschrieben wird. Wer keine Gnade zeigt, wird keine Gnade erhalten.

Wer aber Gnade zeigt, der wird auch am Tag des jüngsten Gerichtes Gnade erfahren. Sogar im Moment des Schlachtens sollen wir uns angemessen und nach den Möglichkeiten der Situation barmherzig verhalten. Es gibt ja auch ein Kriegsrecht, das trotz aller Grausamkeiten noch greift, wenn ein schon wahrhaft schreckliches Maß der Gewalt noch überschritten wird. Das Wort Kriegsverbrechen ist zwar eigentlich redundant, da jede Kriegshandlung gewissermaßen ein Verbrechen ist, doch gibt es selbst hier noch Moralgesetze, die wir einhalten sollen, um uns nicht vollkommen an der Schöpfung zu vergehen. Und Zur Gnade beim Schlachten gehört nach unserem heutigen Verständnis, es möglichst selten zu tun, am besten gar nicht. Aber das war zur Zeit von Mohamed kein Thema. Ohne Massentierhaltung und unter den einfachen Lebensbedingungen hatte der Verzehr von Fleisch mit Sicherheit vollkommen andere Dimensionen als heute. Zur Gnade beim Schlachten gehört seit Mohamed die Verwendung eines Messers unübertroffener Schärfe, um dem Tier so wenig Schmerz wie möglich zuzufügen. Darüber hinaus darf das Tier nicht wahrnehmen, wie andere Tiere geschlachtet werden, oder gar dabei zuschauen.

Wir Menschen dürfen Tiere töten, die beispielsweise an Tollwut erkrankt sind, oder deren Krankheiten ihnen großes Leid verursachen. Doch niemals dürfen wir leichtfertig, aus Spiel, Aggression oder um unser Leben billig zu erleichtern der Schöpfung ein Leid zufügen. Keiner Pflanze, keinem Tier, keinem Menschen, und nicht der Erde, die im Koran personifiziert ist und damit als Ganze unter die Fürsorgepflicht des Menschen fällt.

Wir werden am Ende unserer Menschenzeit mit unseren Taten konfrontiert werden.

Von diesem Tag, den wir als Jaum AlQiama bezeichnen, gibt es allegorische Beschreibungen. Auf Deutsch nennt man ihn „den jüngsten Tag“, oder den „Tag des jüngsten Gerichts“, wobei mit „jüngstem“ „das letzte“ gemeint ist. Man bezieht sich dabei auf den finalen Moment der menschlichen Existenz auf der Erde, so wie wir diese Existenz bis heute kennen und erleben.

Ich sage hier nicht, dass der Klimawandel den Untergang der Menschheit einleitet, wenngleich dies natürlich möglich ist. Was ich aber sehr wohl sage ist, dass wir geneigt sind, im Wissen um unsere individuelle Vergänglichkeit sowie um die Vergänglichkeit als Spezies, unsere Handlungen anders zu bewerten als wenn wir so tun, als wären wir unsterblich. Menschen mit Nahtoderfahrungen berichten stets von einem Perspektivwechsel, einem Wertewandel und einem klaren Wissen darüber, was ihnen fortan im Leben wichtig ist. Das Wissen um unser persönliches Ende oder unser Ende als Spezies stellt keine Strafe dar, sondern eine Chance, die uns  befähigt, angesichts der äußersten Vielfalt möglicher Lebensformen diejenigen für uns herauszuarbeiten, oder auszuwählen, die der Erde und ihren Bewohnern dauerhaft gerecht werden. Das Wissen um die Endlichkeit birgt die Chance der Moral. Natürlich könnten wir auch sagen, ich bin nur für mich selbst verantwortlich und nach meinem Tod können die Anderen sehen, wie sie klarkommen. Wir haben ausreichend Beispiele für diese Haltung innerhalb der Menschheit. Doch bezeichnen die meisten Menschen diese Denkweise als unmoralisch. Die göttliche Offenbarung des Koran weist uns den Weg zu moralischem Handeln.

  • Sure al zalzali –

Wenn die Erde ihr Beben erbebt

und ihre Lasten auswirft

und die Menschen fragen, was hat sie?

An diesem Tag wird sie ihre Geschichten erzählen, da ihr Herr es ihr eingegebe hat. An diesem Tag werden die Menschen einzeln hervorkommen, um ihre Werke zu sehen.

Und wer auch nur ein Stäubchen Gutes getan hat, wird es sehen. Und wer auch nur ein Stäubchen Schlechtes getan hat, wird es sehen.

 

Was passiert am Tag des jüngsten Gerichts?

Der Tag wird eingeleitet, indem der Engel Israfil zweimal in sein Horn bläst.

Mohamed erzählt uns, dass an diesem Tag die Menschen zerstreut und verwirrt sein werden, über das, was um sie herum geschieht. Ihnen wird deutlich werden, dass es der letzte Tag ist, und so werden sie zu Adam gehen, und zu ihm sagen: „Leg du Fürbitte für uns ein, bei Gott“, doch er wird antworten: „Ich bin nicht dazu befugt. Geht zu Ibrahim, denn er ist AlKhalil, der enge Freund Gottes“. Die Menschen werden zu Ibrahim gehen und ihn bitten, für sie bei Gott Fürbitte einzulegen. Ibrahim wird ihnen antworten: „Ich bin nicht dazu befugt. Geht zu Moses, denn mit ihm hat Allah direkt gesprochen“. So werden sie zu Moses gehen und ihn bitten, doch auch er wird sagen, dass er ihnen nicht helfen kann. „Geht zu ‚Isa, denn er ist die Seele, geschaffen von Allah und seinem Wort“. Auch Jesus wird ihnen antworten, dass er keine Befugnis dafür habe und sie stattdessen zu Mohamed schicken. Mohamed erzählt: Ich werde sagen: „Ja, ich kann“ und ich werde zu Allah gehen und ihn um Erlaubnis bitten und er wird mir Erlaubnis erteilen. Und er wird mir Worte eingeben, mit denen ich ihn preisen werde. Wörter, die ich jetzt noch nicht kenne. Dann werde ich mich vor ihm niederwerfen. Nach einer gewissen Zeit wird er sagen: „Oh Mohamed, sprich, und deine Bitte wird gewährt“ Und ich werde antworten: „Allah! Ummati Ummati“ Meine Gemeinschaft. Und er wird sagen: „Geh und bring mir jeden, in dessen Herzen Glauben im Gewicht eines Gerstenkorns ist.“ Ich werde das tun, sagt Mohamed. Doch dann werde ich zurückkehren zu Allah und mich erneut vor ihm niederwerfen, ihn preisen und ihn um die Erlaubnis zur Fürsprache bitten. Und Allah wird antworten: „Oh Mohamed, erhebe dein Haupt, sprich, und deine Bitte wird gewährt“. Und ich werde sagen: „Allah! Ummati Ummati!“ Meine Ummah, meine Ummah. – Das Einzige, woran Mohammed denkt, ist die menschliche Gemeinschaft. Und Allah wird antworten, geh und bring diejenigen, deren Glaube so groß ist wie eine kleine Ameise oder ein halbes Senfkorn. Mohamed erzählt: Ich werde gehen und diese Menschen holen. Und wieder werde ich mich vor Allah niederwerfen, denn noch habe ich nicht alle Menschen meiner Gemeinschaft gerettet. Und wieder wird Allah sagen: „Oh Mohamed, erhebe dein Haupt und sprich deine Bitte, denn sie wird erhört. Und wieder wird Mohamed sagen „Ummati Ummati“. Und Gott wird sagen, bring mir jeden, dessen Glaube auch nur so viel wiegt, wie das aller kleinste und leichteste Senfkorn, das man sich vorstellen kann.

 

Der Begriff der Umma ist ein schwieriger Begriff. Er kann uns dazu verleiten, uns als Muslime gegenüber der nicht-muslimischen Welt abzugrenzen. Aber wir sind zugleich die Umma der Muslime und die Umma der Menschheit. Die Schöpfung als Ganze ist eine Umma, zu der wir alle gehören, und für die wir alle gemeinsam verantwortlich sind. Die Menschheit atmet dieselbe Luft, trinkt dasselbe Wasser und unsere Felder werden von demselben Regen bewässert. Deine Kinder sind meine Kinder, meine Eltern, sind deine Eltern.

Allah, Ummati! Ummati!

Die Umma, das sind wir alle.

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