Mutig, cool und unverschleiert

Mutig, cool und unverschleiert

Frauen gründen eine liberale Moschee

Mit der Gründung der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee geht 2017 ihr Traum in Erfüllung. Doch die Realität holt die beiden Frauen schnell ein: Morddrohungen und Personenschutz durch das LKA gehören bald zu ihrem Alltag. Wie hoch ist der Preis, den sie für ihren Traum zahlen?

„Gleichberechtigung und Islam – das geht zusammen!“

Seyran Ates und Marlene Löhr
Weggefährtinnen: Seyran Ates und Marlene Löhr
Quelle: ZDF

„Der halbe Himmel gehört uns Frauen!“ Das zumindest sagt Marlene Löhr, die vor drei Jahren zum Islam konvertierte und irgendwann feststellen musste, dass tradierte Wertvorstellungen eines konservativen Islam-Verständnisses nicht zu ihrem Leben passen. Sie ist überzeugt: Gleichberechtigung und Islam – das geht zusammen. Heute ist sie die Pressesprecherin der ersten liberalen Moschee in Berlin, in der Männer und Frauen nebeneinander beten und in der Frauen die Predigten leiten. Sie sei schon lange eine Suchende gewesen, so beschreibt sie sich selbst – zunächst christlich. Dann liest sie den Koran und konvertiert. Doch die Besuche in den gängigen Moscheen sind für die 33-Jährige oft frustrierend. Frauen würden dort meist behandelt wie Menschen zweiter Klasse, sagt sie.

Marlene entdeckt in der Presse Berichte über die Ibn-Rushd-Goethe Moschee, eine liberale Gemeinde, die von der prominenten Menschenrechtsaktivistin und Anwältin Seyran Ates eröffnet werden soll. Die Kamera ist dabei, als die Frauen sich zum ersten Mal begegnen und begleitet die beiden ein ganzes Jahr lang auf ihrem beschwerlichen Weg, eine Moschee zu etablieren, die so ganz anders sein will als alle anderen. Denn hier dürfen auch gleichgeschlechtliche und religionsübergreifende Ehen geschlossen werden, Frauen können auch unverschleiert beten. Manche der Besucher finden das „cool“, für die allermeisten muslimischen Organisationen in Deutschland aber ist es ein Affront. Sie reagieren mit heftiger Kritik. Anfeindungen und Morddrohungen gehören mittlerweile zum Alltag von Marlene und Seyran.

Leben unter Polizeischutz

Auch innerhalb der Gemeinde kommt es zu Problemen. Ein Imam ist bis heute nicht gefunden, denn solch ein liberales Islam-Verständnis ist für alle Beteiligten gefährlich. Seyran Ates lebt seit Längerem unter Polizeischutz, und auch Marlene ahnt, dass ihre Tage in Freiheit gezählt sind. Die Moschee-Gründerin Seyran Ates wird rund um die Uhr von mehreren Personenschützern bewacht. Doch es gehe ihr um die innere Freiheit, nicht die äußere, betont sie kämpferisch.

Nicht alle Gemeindemitglieder sind so mutig. Einige der einstigen Mitstreiter sind inzwischen abgesprungen. Nicht selten sind diese Austritte aus der Gemeinde auch mit persönlichen Enttäuschungen für die beiden Frauen verbunden. Trotzdem oder gerade deshalb wollen beide weitermachen. „Ich merke, dass wir hier etwas ganz Einzigartiges, Großes machen. Es ist historisch, und dafür bin ich auch bereit, die Gefahr auf mich zu nehmen“, sagt Marlene, die sich für ein Kopftuchverbot von Lehrerinnen starkmacht, keine Freizeit außerhalb der Moschee mehr hat und nicht selten bis in die Nacht an ihrem Traumprojekt arbeitet. Das Ziel der beiden Frauen sind weitere Moscheen in ganz Europa. Nach einem Jahr hartem Kampf ist klar: In Wien wird die nächste liberale Moschee entstehen.

„Wer an einer Reform des Islam arbeitet, lebt gefährlich“

Gedanken der Filmautorin Güner Balci:

Die Dreharbeiten mit Seyran Ates und Marlene Löhr über die Ibn-Rushd Goethe Moschee gingen fast zwei Jahre lang. Wir waren immer wieder mit großen Schwierigkeiten konfrontiert: Es gab Mitstreiter und Unterstützer, die zunächst bereitwillig vor die Kamera traten, um dann nach Wochen oder Monaten fest zu stellen, dass ihnen der öffentliche Auftritt zu gefährlich war. Seit der Eröffnung der Moschee wird Seyran Ates intensiv vom LKA beschützt, rund um die Uhr. Auch dieser Umstand erschwerte die Dreharbeiten, alles musste nach engen Absprachen mit dem LKA organisiert werden.

Wer an einer Reform des Islam arbeitet, macht sich viele Feinde und lebt gefährlich. Auch Besucher der Moschee wollten oft nicht gefilmt werden. Es war uns zum Beispiel nicht möglich, eine Hochzeits-Zeremonie zu drehen, ohne die Teilnehmer verdeckt zu zeigen. Viele liberale Muslime, die die Angebote der neuen Gemeinde nutzen, haben Angst vor Diskriminierung oder gar Verfolgung, weil sie einen modernen Islam praktizieren, der vielen konservativen nicht passt. Die soziale Kontrolle in den muslimischen Communities ist groß.

Umso wichtiger ist es, die liberalen Stimmen des Islam zu hören. Menschen, die persönlich keine Muslime kennen oder nur Vorurteile haben, einen Einblick zu geben. Menschen zu zeigen, die sich Ihr Recht auf ihre Religion nicht nehmen lassen wollen und die gleichzeitig viel opfern, um für eine Freiheit zu kämpfen, die auch unsere ist.

https://www.zdf.de/dokumentation/37-grad/37-mutig-cool-und-unverschleiert-100.html

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