Islamismus und Instagram

Islamismus und Instagram

 

Bis in die späten Morgenstunden war die Lage in Wien unübersichtlich. Am Abend zuvor hatten islamistische Attentäter in der österreichischen Hauptstadt mit Waffengewalt gemordet. Lange blieb unklar, wieviele Täter beteiligt waren und wieviele Opfer es gegeben hatte. Inzwischen ist von mehreren Attentätern und mindestens fünf Toten die Rede. Schon jetzt ist klar, dass es sich um einen der schwersten Angriffe der letzten Jahrzehnte in Österreich handelt.

Erste Berichte meldeten, einer der islamistischen Mörder habe einen Tag vor der Tat auf Instagram mit Waffen posiert und ein Bekenntnis zum IS veröffentlicht. Das muss Anlass geben, noch intensiver als bislang über die Bedeutung der Social Media – Plattformen für die Islamisten zu sprechen. Nicht nur Hatespeech, wie sie seit Jahren öffentlich debattiert wird, ist das Problem, sondern auch die gezielte Instrumentalisierung zu Zwecken der Propaganda, der Rekrutierung, der Vernetzung. Die Bedeutung des Internets in diesem Zusammenhang ist kein Geheimnis, dennoch stellt sich die Frage: Was heißt das konkret für einzelne Plattformen? Wie beeinflusst der Algorithmus, also ihre Form und Funktionsweise, die Radikalisierung? Welche Netzwerke machen sich auf welche Weise dieses Angebot zu Nutze? Wie lässt sich dagegen besser als bislang vorgehen?

Die Redaktion von correctiv.org veröffentlichte Anfang Oktober eine umfangreiche Recherche zur Bedeutung von Instagram für die Neue Rechte. (https://correctiv.org/top-stories/2020/10/06/kein-filter-fuer-rechts-instagram-rechtsextremismus-frauen-der-rechten-szene/) Die Journalisten zeigen darin auf, wie durch einzelne Profile, die untereinander vernetzt sind, Interessenten angeworben werden – mit auf den ersten Blick harmlosen Inhalten wie Naturfotografien und Heimat-Hashtags. Schließlich, am Ende einer schrittweisen Radikalisierung, werden jedoch freilich andere Inhalte verbreitet, nun öffentlich nicht mehr sichtbar, nur den inzwischen Eingeweihten zugänglich. Die Methode solcher Entgrenzungen kennen, wie wir wissen, auch die Islamverbände konservativer Prägung, die in ihren Reihen längst die Abscheu vor den Apostaten normalisiert haben. Das Format Strg_F hat außerdem gezeigt, wie auch Dealer Instagram inzwischen als Marktplatz zum Verkauf ihrer Drogen benutzen. (https://www.youtube.com/watch?v=VLdN0fpv0rM) Die Beispiele führen vor Augen, dass die Plattform offenbar umfangreiches Potenzial bietet, als Infrastruktur krimineller und extremistischer Banden zu dienen beziehungsweise deren vorhandene zu ergänzen.

Seiten wie „Islam Fakten“ mit über 65.000 Followern beteiligen sich an den genannten Prozessen der Entgrenzung. So rief die Seite im Zusammenhang mit den Anschlägen in Frankreich zum Boykott französischer Produkte auf (27.10.2020) und erntete dafür 6.000 Likes. Einige Tage später wurde der Mord an Samuel Paty relativiert: „Terror, Mord und Selbstjustiz: Lehnen wir verurteilend ab! Aber … Wir werden keine Schweigeminute abhalten für einen Menschen, der unseren Propheten (saws) beleidigt hat!“ (02.11.2020) Nicht nur, dass der Grund für die Ermordung des Lehrers hier als gegeben gerechtfertigt wird, indem die Beleidigung des Propheten zum Delikt wird, das bestraft gehört. Auch die Gleichsetzung des Mordanschlags mit einem Akt der Selbstjustiz insinuiert die Rechtmäßigkeit der Tat, die also vollbracht hat, was die westliche Justiz verweigert: Die Bestrafung der Freiheit der Meinung. Dass diese Profile ein Geschäftsmodell darstellen, ist die eine Seite – profitsicher werden hier auch Produkte zum Kauf angeboten und auf Shops verwiesen. Die andere jedoch ist der Einfluss, den die täglichen Sharepics insbesondere auf junge Menschen nehmen, die in eine Welt gezogen werden, die nichts außer der Gottesverherrlichung kennt. Die Botschaften sind eindeutig: „Die Lösung für all deine Probleme ist das Gebet“ (01.11.2020) oder „ISLAM Mein Weg, Mein Leben, Meine Rettung.“ (10.10.2020).

Schon der Instagram-Algorithmus, von Inhalten noch abgesehen, verstärkt die Prozesse der Radikalisierung, wie ebenfalls die correctiv-Recherche aufzeigte. Wer einem Profil folgt, bekommt von diesem auch die zweite, die dritte und vierte Seite mit ähnlichem Inhalt vorgeschlagen. Der Algorithmus kommt damit den Zielen der Extremisten entgegen: Das Abweichende wird marginalisiert, das Identische fortlaufend verstärkt. Irgendwann ist man in einer virtuellen Blase, in der es nur noch eine Meinung, eine Auffassung gibt, die gleichwohl von vielen Stimmen geteilt wird. So entstehen Parallelwelten, welche den in unseren Gesellschaften vorhandenen auch virtuell zur Seite stehen.

Nicht sofort eine direkte Verstrickung in islamistische Netzwerke sind solchen Seiten vorzuwerfen. Diese wäre zunächst zu untersuchen und aufzudecken. Aber allein Botschaften wie die zitierten bereiten den Boden, auf dem später Menschen mit Gewehren im Anschlag durch westeuropäische Großstädte laufen und auf jeden schießen, der in Bars und Restaurants sich zu vergnügen wagte. Auch das, wie so oft in den letzten Wochen und doch noch nicht laut genug, muss deutlich ausgesprochen werden: An den Morden im Namen Allahs tragen auch die eine Schuld, die vergangene Taten verharmlost, relativiert oder beschwiegen haben. Weit abseits der großen Medienhäuser sind zur Meinungsbildung für große Teile einer jungen Generation längst Social Media-Profile relevanter als Leitartikel. Und diese bewerben nicht nur Lippenstifte, sondern bieten, unter dem Geltungsanspruch einer sich absolut setzenden Weltanschauung, Antworten auf Lebensfragen.

Auch vor der Digitalisierung des Dschihad zielten die Angriffe der Terroristen, die in der Vergangenheit vornehmlich den Vergnügungsstätten der westlichen Demokratien galten, auf die Lust, die sie selbst sich versagen. Für diese steht Instagram wie kaum eine zweite Plattform. Hier vereint sich Konsumwelt und Popkultur und Privates. Es zeigt sich hier wieder einmal, dass die Islamisten, als die man auch die Betreiber von „Islam Fakten“ bezeichnen muss, die Freiheitsrechte westlicher Demokratien einsetzen, um diese damit anzugreifen. Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat schon vor einer Weile die Staaten aufgefordert, gesetzliche Regularien zu schaffen, die dann von den Plattformen umgesetzt werden können. (https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/digitec/mark-zuckerberg-vier-ansaetze-zur-regulierung-des-internets-16115996.html) Instagram ist Teil seines Konzerns. Über solche Forderungen ließe sich noch vieles sagen, eines aber ist absolut richtig: Die staatlichen Behörden müssen auch im Internet stärker aktiv werden. Es braucht endlich mehr Ressourcen zur Erforschung der digitalen Strukturen.

Print Friendly, PDF & Email

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert