Bildlichkeit von Gott

23.04.2021

Bildlichkeit von Gott

In einer Diskussion erklärte jemand, dass dieser Jemand sich Gott ähnlich so vorstellt, wie der Maler Michelangelo seine Vorstellung von Gott in der Sixtinischen Kapelle in Rom dargestellt hat. Das hat mich veranlasst, über Gottes Bildlichkeit nachzudenken.
Es ist der Wusch des Menschen Gott näher zu kommen, um das, was Er sagt, für sich zu verstehen.
Man sieht Gott als etwas Schönes, Wissendes, Erhabenes, Übermenschliches und man versucht gedanklich sozusagen dieses Etwas ein „Gesicht, eine Gestalt“ zu geben. Und was ist da am geeignetsten? Vielleicht die Darstellung eines überaus gütigen Menschen, der seine Hand in Richtung Mensch ausstreckt, um mit ihm in Dialog zu kommen, ihm sozusagen seine Liebe zu reichen? Kann man sich so Gottes Kommunikation vorstellen, der den Menschen in seine Gemeinschaft einlädt? Aber erhebt solch ein gedankliches und gemaltes Bild den Menschen einerseits und macht andererseits Gott menschlich und verletzlich?
Es ist die Sehnsucht des Menschen, Gott zu verstehen und das kann man nur wirklich, wenn man menschliche Begriffe, Ansichten zu Hilfe nimmt.
Man sucht bei Gott Geborgenheit und das kann man meist nicht, wenn man keine Vorstellung von jemanden oder etwas hat. Und so schafft man sich ein Bild, eine Vorstellung, die alles beinhaltet, was man von sich selber wünscht. Seine Vorstellung wird so zur Begrifflichkeit und Menschlichkeit.
„Du sollst dir kein Bild machen!“- Vielleicht hat man deshalb einen Menschen Gott zur Seite gestellt? So hat man das Göttliche auf den Sohn übertragen, der verletzlich ist wie der Mensch selbst.
So hat man für Gott etwas gefunden, an das man festhalten kann, etwas Begreifbares, Verständlicheres, ihnen ähnlicheres.
Unter Gottesbild oder Gottesbegriff könnte man entweder eine körperliche Darstellung des Göttlichen als ein Bildnis oder ein inneres Bild, welches Gläubige mit dem Begriff Gott verbinden, ein Gemisch von Vorstellungen, Gefühlen, Assoziationen, also eine eigene Konstruktion.
In der alten Welt glaubte man, dass eine Gottheit in einem Abbild für den Menschen erreichbar und zugänglich wäre und von diesem magische Kräfte ausgehen würden, z.B. Fruchtbarkeit, Regen…, also für den Menschen etwas Darstellbares und Verfügbarkeit.
Das war aber mit dem Judentum nicht vereinbar. Ein Bilderverbot sollte verhindern, in kultischen Anwendungen über Gott verfügen zu können. Später meinte man, dass man den unsichtbaren Gott selbst nicht darstellen kann und seiner Verborgenheit widerspricht.
In der jüdisch-christlichen Religion wird einerseits der von Gott geschaffene Mensch selbst als Ebenbild Gottes verstanden. Laut Genesis 1.Kapitel soll der Mensch segensreich tätig sein, indem er als sein Statthalter, also als „Bild Gottes“ Gottes Auftrag erfüllt und seine besondere Stellung auf der Erde in Verantwortung vor Gott wahrnimmt. Andererseits wird in den Zehn Geboten ein Bilderverbot festgelegt. Darin gebührt die Anbetung weder dem von Gott geschaffenen Menschen noch den von Menschen geschaffenen Abbildern, sondern nur Gott allein. Das biblische Bilderverbot zielt in zwei Richtungen. Einerseits ist es gegen jeglichen Götzendienst gerichtet, und andererseits soll keinerlei Abbild von Gott gemacht werden, der rein geistiger Natur ist und sich deshalb nicht abbilden lässt.
Das Bilderverbot ist gemeint als Verbot, ein künstlerisches Abbild zum Zweck der kultischen Verehrung z.B. als Götzenbild zu machen und gilt überhaupt als unangemessene Gottesvorstellungen.
Maimonides, ein bedeutender jüdischer Gelehrte des Mittelalters, für Jahrzehnte als geistiges Haupt der orientalischen Juden bezeichnet, meinte, dass der Begriff ‚Abbild, Ebenbild‘ immer auf eine geistige Qualität, eine Essenz hinweist. Deshalb sei das Ebenbild Gottes im Menschen die menschliche Essenz, das bedeutet nicht das Körperliche, sondern die menschliche Vernunft, sein Geist.
Im Koran weist nichts auf ein Bilderverbot hin. In einigen Koranversen wird sogar Gott als der größte Bildner und Schöpfer dargestellt. In Sure 59:24 wird Er als der Schöpfer, der Erschaffende und Gestaltende gepriesen. In der Koranexegese wird diese und ähnliche Koranstellen nicht mit einem Bilderverbot in Zusammenhang gebracht. Es geht um göttliche Eigenschaften und die allmächtige Schöpferkraft. Es geht offensichtlich nicht gegen Bilder an sich als vielmehr gegen ihre Verehrung.
Dennoch gilt die Einhaltung des islamischen Bilderverbots bis in die Gegenwart, leitet sich jedoch eher aus den Traditionssammlungen als aus dem Koran ab. Der Beginn der Diskussion um ein Bilderverbot setzte nach der Meinung von etlichen Gelehrten erst in der späten zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts ein, als die Regeln der Scharia entstanden.
Einem Bericht zufolge gab es um die Zeit der ersten islamischen Eroberungen noch gar kein Bilderverbot. Denn nicht einmal die Überlieferer dieses Berichtes scheinen daran Anstoß genommen zu haben, dass ihre Vorfahren aus einem Ort mit bildlichen Darstellungen (wie z.B. der verlassene Palast des sassanidischen Herrschers) eine islamische Gebetsstätte geschaffen haben.
Da aber weder der Koran noch die Hadith-Literatur eindeutige Belege für ein Bilderverbot im Islam lieferten, musste die islamische Rechtswissenschaft herhalten, um rechtsverbindliche Regelungen in dieser Frage zu treffen, d.h. die Darstellung Gottes ist selbstverständlich tabu; die Darstellung von Gegenständen, die „Schatten werfen“, also Skulpturen, ist verboten; die Darstellung von Lebewesen, Mensch und Tier, ist in jeder Hinsicht verboten. Meine Bilder auf dem Papier oder Leinwand werfen zum Glück keinen Schatten.
Viele heutige Wissenschaftler gehen davon aus, dass Gott, da er unabhängig von Raum und Zeit ist, weder mit den Sinnen wahrgenommen noch von der Vorstellungskraft des Verstandes erfasst werden kann. Die Sure 6, Vers 103 dokumentiert das so: „Kein Blick erfasst Ihn. Er aber erfasst alle Blicke. Und er ist der Unfassbare (Gütige), der Kundige.“ Das heißt: Er hat uns alle im Blick, wir jedoch vermögen es nicht, unsere Vorstellung kann Ihn nicht erfassen. Es geht nicht darum, dass wir keine Vorstellungen oder Gedanken über sein Aussehen haben dürfen, sondern wir vermögen es einfach nicht, ihn uns wirklich vorzustellen.
Wir sind mit Gott durch unsere Seele verbunden, mit Seinem Geist. Ich glaube, fast jeder Gläubige hat dennoch eine Vorstellung von Gott, die einen in einem Bild, die anderen nur eine Vorstellung, eine Idee, ohne etwas Greifbares. Man braucht einfach etwas zum Festhalten, wie ein Seil, so wie auch der Koran erklärt.
Wenn man sich etwas vorstellt, gibt man dieser Vorstellung oder Idee einen Namen und eventuell auch eine bildliche Vorstellung, um sich durch diesen Namen an diese Vorstellung zu erinnern. Und ich finde nichts Schreckliches darin, sich Gott irgendwie vorzustellen, es ist allzu menschlich, da Er um und in uns ist, und wir tragen Seinen Atem in uns.
Ich möchte nicht behaupten, dass meine Gedanken Anspruch auf Richtigkeit haben, jeder hat so seine eigenen Gedanken. Ich möchte sie nur hier vorstellen.
Wir haben doch alles, was wir über Gott wissen müssen im Koran stehen. Er manifestiert sich so, wie es in der drittletzten Sure steht:
„Sprich: Gott ist Einer, ein ewig Beständiger, hat nicht gezeugt und ihn gezeugt hat keiner und nicht ihm gleich ist einer.“ Das heißt für mich: Er war schon immer da, noch vor der Entstehung des Universums. Er ist nicht in unserer Zeit, also zeitlos, aber immer um und in uns und gleichzeitig überall.
Ich denke, Gott gibt uns hin und wieder Zeichen von Seiner Anwesenheit, mal durch einen Widder für Abraham oder durch einen Stab, der zu einer Schlange wurde, mal ein brennender Busch, der mit Moses sprach. Und sicher gibt es andere Zeichen, die wir als Wunder verstehen, die wir Menschen nur nicht erkannt haben.
Wenn ich an Gott denke oder von Ihm spreche, habe ich keine direkte Vorstellung von Ihm. Dennoch, in meinen Gedanken und Gesprächen füllt Er alles aus, Er ist immer da und keine Vorstellungen gibt es, die annähernd zutreffend wäre. Wenn ich mit ihm spreche, dann gilt das Gesagte wohl mehr für mich, denn Er weiß es ja schon.
Ich habe kein spezielles Bild von Gott, aber ein Gefühl, was ich nicht zu beschreiben vermag. Ich weiß nur, wenn ich mit ihm spreche, dann befinden wir uns auf einer gemeinsamen Ebene. Er ist dann mein Zuhörer, mein Lehrer, mein Tröster, mein Mitfühlender, mein Richter. Wenn ich Gott um etwas bitte, versuche ich in dem Moment ja schon, daran zu arbeiten, das Gewünschte zu erledigen, es in Ordnung zu bringen. Der Gedanke an Gott, an meine Vorstellung von ihm hat ja schon etwas in mir bewirkt.
Wenn ich versuche, Gott mir bildlich vorzustellen, dann sehe ich Gott als mein Licht, Helligkeit, das Wärmende, Gute, Gerechte, Wegweisende, Beschützende, Barmherzige, Energie. Das Licht weist mir meine Richtung, mein Weg zu ihm.
Ohne Licht gibt es keine Natur, keine Wärme, die unendlichen Druck entstehen lässt, die ganze Universen entstehen und explodieren lässt, um neue wieder aufzubauen. Ich stelle mir vor, wie Gott zu mir sagt: Siehe, mein Licht (in Form der elektromagnetischen Strahlung) findest du überall, wohin du blickst, zu deiner Kerze oder bis zum Anfang von Allem und es wird scheinen bis zum Ende Allem.
Ich könnte mir Gott auch als etwas Unerklärliches, eine Art ‚besondere Materie‘ und ‚Energie‘ vorstellen. Sie hält scheinbar den ganzen Kosmos zusammen und zieht ihn auseinander, wie es in der Sure 51:47 heißt: „Den Himmel haben Wir aufgebaut und verstärkt. In Wahrheit breiten Wir ihn aus.“ Bezieht sich das Wort sama‘ Himmel nicht genau auf die Welt um die Erde, um das Geschehen im ganzen Kosmos – und im Kleinen?
Zum Abschluss möchte ich noch einmal auf das Bild von Michelangelo zurückkommen: Gott reicht uns immer die Hand, ob wir es wollen oder nicht.
Manaar

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