Mohammed Arkoun’s sachlicher Appell für einen muslimisch-intellektuellen Diskurs

Mohammed Arkoun’s sachlicher Appell für einen muslimisch-intellektuellen Diskurs

Der Philosoph und Islamwissenschaftler Mohammed Arkoun ist vielen Muslimen in der islamischen Welt ein Name, da er mit seinen modernen Thesen hier und da aneckte. Er wurde im Jahre 1928 in Algerien geboren und wuchs in einer Amazighfamilie (bestimmte indigene Ethnie, vor allem in Nordafrika anzutreffen) auf. In der Hauptstadt Algier fing er von 1950 – 1954 sein Studium der arabischen Literatur an, welches er um weitere Fächer wie Philosophie und Jura ergänzte. Arkoun wurde später 1980 an der Sorbonne zum Professor einberufen. Dort bildete das Fach der „Islamischen Ideengeschichte“ einen Schwerpunkt seiner Forschungsarbeiten. Seine akademische Karriere konnte er auch im europäischen Raum weiter ausbauen, weil er als Gastprofessor sehr gefragt war. So führte ihn sein Weg als Gastprofessor auch nach London, wo er am Institute for Ismaili Studies tätig war. Dieses Institut setzt sich mit verschiedenen muslimischen Kulturen in Geschichte und Gegenwart auseinander und zielen auf eine Verständigung mit anderen Gesellschaften und Glaubensrichtungen ab. Mohammed Arkoun war daher mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten bestens im Institut beheimatet. Auch war der Philosoph Herausgeber der Zeitschrift Arabica. Mit seinem Namen konnte er sich auch in den Rang der Preisträger einreihen, die den Ibn Rushd Preis gewannen. Mohammed Arkoun wurde für sein Engagement für Demokratie und Meinungsfreiheit in der islamischen Welt mit diesem Preis ausgezeichnet. Er verstarb mit 82 Jahren im September 2010.

Was war es aber, dass Mohammed Arkoun zu einem progressiven, muslimischen Denker im arabisch-islamischen Raum machte und er sich im Widerspruch zu konservativeren Auslegungen des Islam befand?

Zur Beantwortung dieser Frage genügt der Blick in seinen schriftlichen Werken selbst, die ebenfalls aufschlussreiche Erkenntnisse für den innermuslimischen Dialog bieten. In seinem Buch: „Der Islam. Annäherung an eine Religion“ beleuchtet er verschiedene Gehalte des Islam, die er relativ kompakt abhandelt. Er geht auf den Koran, die Hadithe, die Exegese, die Tradition, auf Dogmen, die Macht des Priestertums, die Menschenrechte und auch auf den Propheten Muhammad ein, um nur mal wenige Stichpunkte aufzuzählen. Bereits in der Einleitung zeichnet sich eine Herangehensweise ab, die den Leser mitnehmen möchte. Arkoun selbst schreibt dazu: „In diesem Buch werden ungewöhnliche Antworten auf gewöhnliche Fragen gegeben. Diese Formulierung bringt mein Bemühen um Problematisierung sämtlicher verbliebener Mittel des islamischen Denkens, wie es sich in Jahrhunderten zum Schutz gegen alle theologische, philosophische, historische oder ganz einfach methodologische Kritik herausgebildet hat, gut zum Ausdruck. Eine solche Problemstellung erfordert die Mitarbeit des Lesers. Diese eigene Bemühung des Lesers ist um so notwendiger, als ich hier die Fachterminologie mehrerer Sozialwissenschaften verwende, mit denen viele muslimische und nichtmuslimische Leser nicht vertraut sein werden. Viele dieser Leser sind nämlich an raschen, „einfachen“, funktionellen Informationen über einen unveränderlichen Islam interessiert als an der Erweiterung ihres Horizonts im Sinne eines Verständnisses des Phänomens der Religion als wesentliche Dimension aller Gesellschaften (der archaischsten wie der modernsten)“ (Vgl. Arkoun 1999: S.12).

Mit anderen Worten, die bei vielen Gelehrten anzutreffende, üblich unreflektierte Hinnahme von Glaubensinhalten wird von Arkoun abgelehnt. Stattdessen richtet sich sein Plädoyer an den Leser mitzudenken und mitzuarbeiten, um den intellektuellen Diskurs fortzuentwickeln und nicht bei der Befolgung banaler Vorschriften und Anweisungen stehen zu bleiben.

Ein kurzer Blick in das Buchkapitel „Die Macht des Priestertums“ genügt, um uns dem Denken Arkouns noch weiter anzunähern. Die ständige Betonung der Abwesenheit eines Klerus im Islam findet Arkoun eher ermüdend. Interessant wäre es doch hingegen zu diskutieren, ob es eine Funktion des Priesteramtes im Islam gebe und wie die Gläubigen in Beziehung zum Göttlichen treten? Der Professor gibt seine Antwort: „Die priesterliche Funktion als Akt der Vermittlung wird im Christentum von den Geistlichen erfüllt. Der Geistliche ist die Person, die berechtigt ist, vor Gott zu erscheinen und ihn ohne Vermittler anzusprechen. Die Opferhandlung ist auf symbolische Verfahren reduziert und als Eucharistie Bestandteil der Messe. Im Islam gibt es kein Priesteramt in diesem Sinne; jeder Gläubige tritt im Gebet, auf der Pilgerreise nach Mekka (hadsch), durch die individuelle Erfüllung der Fastenpflicht und die rechtlich geregelte Almosenabgaben in eine direkte Beziehung zu Gott. Die verschiedenen Opferungen der vorhergehenden Religionen sind abgeschafft, bis auf die eine, in welcher der höchsten religiösen Geste Abrahams gedacht wird, der bereit war, zum Zeichen seines Gehorsams gegenüber Gott seinen Sohn zu opfern. Während der jährlichen Pilgerreise nach Mekka muß jeder Muslim ein Tier opfern, bei es sich im allgemeinen um ein Schaf handelt. Hier finden wir also den Begriff der Vermittlung, der besänftigenden Geste, der Suche nach dem Kontakt mit dem Göttlichen wieder, wobei dies jedoch nicht wie im Christentum Aufgabe der Priester ist. Der Imam, der die einfachen Gläubigen im kollektiven Gebet anführt, hat keinerlei priesterliche Funktion; er hebt sich vom Rest der Gläubigen lediglich dadurch ab, daß er sich in einer mihrab genannten Nische der Moschee aufhält, um die Einheit der betenden Gemeinde zu symbolisieren (ebd. S.130).“

Ein weiterer Aspekt seines Denkens spiegelt sich auf der Methodenebene wider. Statt wie in der Tradition übliche Übernahme herkömmlicher Methoden, erweiterte er das Forschungsgebiet um weitere methodische Herangehensweisen, indem er sich modernen Erkenntnissen aus Sozial – und Geisteswissenschaften aneignete. Daher findet man auch immer wieder Ansätze verschiedener philosophischer Strömungen in seinen Arbeiten und Aufsätzen, wie z.B. den Strukturalismus, die Diskursanalyse oder auch den Postmodernismus. Aber auch hier sind es nur einige wenige Stichworte, die dafür Erwähnung finden. Insbesondere die Philologie gewinnt bei ihm einen wichtigen Stellenwert, wie er es in seiner Dankensrede zum Ibn Rushd Preis äußert: „Eine kritische Betrachtungsweise basiert auf eine philologisch geprägte historische Wissenschaft, jene Philologie, die wir von deutschen Denkern und Wissenschaftlern gelernt haben. Wir hörten von dieser philologischen Methode zum ersten Mal seit Beginn der Epoche, die von uns als Aufklärung bezeichnet wird. Taha Hussein hat Philologie an der Sorbonne studiert und ihre Theorie in der Studie al-Shi’r al-gahili- „Vorislamische Dichtung“ angewandt. Wir haben ja dann gesehen, was mit diesem Buch geschah, es wurde verboten, da die al Azhar-Gelehrten bis dahin noch nie etwas von dieser Methode gehört hatten.“

Mohammed Arkoun machte sich zudem auch über das Verhältnis von Demokratie und dem Islam Gedanken. In seinem Sammelbeitrag „Religion und Demokratie: Das Beispiel Islam“ ruft er zur Differenzierung auf, um ungerechtfertigte Pauschalisierungen abzuwenden: „Um keinen willkürlichen Verallgemeinerungen zu unterliegen, muß jede Gesellschaft als Einzelfall untersucht werden: Fest steht, daß die Türkei völlig andere historische und kulturelle Gegebenheiten aufweist als Pakistan, Iran, der Sudan, Marokko etc.“ (vgl. Arkoun 1998: S143). Er negiert mitnichten Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen islamischen Ländern, jedoch möchte er seinem Vorhaben eines muslimisch-intellektuellen Diskurses Rechnung tragen und das funktioniert eben nicht durch die Vorstellung eines angeblichen islamischen Einheitsbreies.

Von einem erkenntnisgeleiteten Standpunkt aus betrachtet, kann man berechtigt die Frage stellen, was einen muslimischen Intellektuellen ausmacht und worin seine Wichtigkeit in den Diskursen um den Islam bestellt ist. Beantwortet wird diese Frage in der sehr lesenswerten Dissertation von der Islamwissenschaftlerin Ursula Günther, die dazu schreibt: „Arkoun versteht unter einem Intellektuellen eine Person, die die Ideologie, innerhalb derer sie ausgebildet wurde, in Frage stellen und dagegen protestieren kann. Freilich ist es nur in einem Klima der freien Meinungsäußerung und Freiheit möglich, alles, auch Kritik, publizieren zu können.“ Obwohl diese Position auf sämtliche Intellektuelle zutrifft, ohne einen muslimischen Hintergrund zu haben, gibt es doch einen eklatanten Unterschied. Ursula Günther dazu weiter: „Die Vorstellung, ein als Muslim geborener Intellektueller könne sich von seiner religiösen Zugehörigkeit nicht ohne weiteres freimachen bzw. befinde sich bei jeder kritischen Auseinandersetzung – und zwar nicht nur mit religionsspezifischen Themen – in einem Loyalitätskonflikt, begegnet Arkoun regelmäßig. Dabei wird unterstellt, dass aufgrund der Zugehörigkeit zum islamischen Kulturkreis eine „objektive“ Auseinandersetzung mit dem Islam nicht möglich sei und diese immer in ein Plädoyer für den Islam münde. Hinzu kommt noch, dass er sich von orthodoxer muslimischer Seite dem Vorwurf der Verwestlichung und dem Verrat am eigenen kulturellen Erbe ausgesetzt sieht. […]. Die Marginalisierung dieser kritischen Köpfe ist sicherlich mit dafür verantwortlich, dass Intellektuelle in der arabisch-muslimischen Welt kaum oder keinen Einfluss auf die öffentliche Meinung haben oder gar TrägerInnen neuer Ideen fungieren können“ (Vgl. Günther 2004: S.36 ff.).

Die Einschränkung der freien Meinungsäußerung durch Islamgelehrte lehnt er daher genauso entschieden ab. Deutliche Kritik übt er an genau diesen Gelehrten und deren Autorität aus, was seine einleitenen Worte im Kapitel „Authority and Power in Islamic Thought“offenbart: „In diesem Kapitel geht es mir in erster Linie darum, die historischen Entwicklungen der verschiedenen Lehrmeinungen zum Begriff der Autorität (hukm, hakimiyya) im islamischen Denken nicht noch einmal zu beschreiben, da dies in mehreren Büchern und Artikeln gemacht wurde. Die neuesten Studien konzentrieren sich jedoch tatsächlich mehr auf die Macht (Sulta, Sultan) in ihrem politischen Ausdruck durch den Staat als auf die Autorität. Die orientalistische Herangehensweise an das Thema bleibt eher erzählerisch und deskriptiv als kritisch, während die muslimische Darstellung immer noch von dem ideologischen, apologetischen Anspruch dominiert wird, das ´authentische Madina‘-Modell im traditionellen Rahmen des gegenwärtig als religiöses Regime vorgetragenen Reformen wiederherzustellen (siyasa shar’iyya) für Sunniten und die höchste juristische Autorität für Schiiten. Aus diesen Gründen ist es dringend geboten, eine kritische Bewertung der Autorität im islamischen Denken in den historischen und anthropologischen Perspektiven einzuleiten, die ich in mehreren Büchern und Artikeln vorgeschlagen habe […].(Vgl. Arkoun 2002: S.204 f.).1

Trotz seines vielschichtigen Denkens und Bekanntheitsgrades als muslimischer Reformdenker schenkte man ihm seitens der Orientalistik und Islamwissenschaften im westlichen Kontext sehr wenig Beachtung. Im Lichte seiner wissenschaftlichen Ergebnisse und die von ihm gestellten kritischen Fragen ist eine Auseinandersetzung mit Mohammed Arkoun unabdingbar.

Quellen:

Arkoun, Mohammed (1999): Der Islam. Annäherung an eine Religion. Aus dem Französischen von Michael Schiffmann. Palmyra Verlag: Heidelberg

Arkoun, Mohammed (1998): Religion und Demokratie: Das Beispiel Islam. In: Erdmute Heller und Hassouna Mosbahi (Hrsg.): Islam Demokratie Moderne. Aktuelle Antworten arabischer Denker. C.H. Beck: München (S.138-153)

Arkoun, Mohammed (2002): The Unthought in Contemporary Islamic Thought.Saqi Books in association with The Institute of Ismaili Studies: London

Günther, Ursula (2004): Mohammed Arkoun. Ein moderner Kritiker der islamischen Vernunft. Ergon-Verlag: Würzburg

https://de.qantara.de/inhalt/nachruf-auf-mohammed-arkoun-pionier-moderner-kritischer-islamwissenschaft

https://www.ibn-rushd.org/typo3/cms/de/awards/2003-mohammed-arkoun/speech-of-the-prize-winner/

1 Diese Zitierstelle wurde von unserer Seite aus übersetzt. Die ursprüngliche englische Textstelle kann man aus dem Buch von Arkoun: „The Unthought in Contemporary Islamic Thought” entnehmen.

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