Khutba zum Fest

13.05.2021

Seid sehr herzlich gegrüßt heute, zum ersten Festtag nach Ramadan!
Nun ist er zu Ende, der heilige Monat, in dem manche von uns sich spirituell geläutert haben, andere nur gequält, weil der Durst und der Hunger im Arbeitsalltag nicht immer leicht zu ertragen waren. Der geschätzte Gast namens Ramadan, auf den wir uns alle so gefreut hatten, wurde willkommen geheißen und gebührlich geschätzt. Nun hat er zum Glück seine Sachen gepackt und ist wieder abgereist. Wir können uns nur wieder auf ihn freuen, wenn er zwischendurch eine Weile fort ist. Im nächsten Jahr beginnt dann alles wieder von vorne.

Warum wir uns jedes Jahr so darauf freuen, war mir auch in diesem Jahr an manchen Tagen ein Rätsel. Aber insgesamt war es ein schöner Monat, wie immer. Man hat etwas von sich gegeben und etwas bekommen. Die Selbstdisziplin, die man im Wortsinne an den Tag legen muss, ist, was mich selbst betrifft, schon eine ganz schöne Nummer. Nach dem Abendessen konnte ich nicht einschlafen und wenn ich dann endlich eingeschlafen war, musste ich schon wieder ein kleines Frühstück für die fastende Jugend zubereiten. Von 0:00 Uhr bis 3:00 Uhr waren also drei Stunden Schlaf. Wieder einschlafen konnte ich mit Glück um 4:00. Um 6:30 klingelte der Wecker zum Aufstehen. Wer rechnen kann und Biologieunterricht hatte, der weiß, es waren mit Glück Fünfeinhalb Stunden aber darin sind nicht die Unterbrechungen enthalten, die für das nächtliche Austreten hinzukommen, denn das nächtliche Trinken hat seine natürliche Konsequenz. Viel zu wenig Schlaf also, einen ganzen Monat lang.
Und mein Sohn, der wie viele andere Schüler, während des Ramadans auch noch Frontalunterricht ertragen musste, ohne dabei einzuschlafen, müde und durstig nach der Sportstunde, war schon gar nicht zu beneiden. Jetzt hat er es geschafft. Ein Bravo an alle SchülerInnen und Schüler, die durchgehalten haben. Viel zu müde im Unterricht, aber nachts nach dem Essen dann viel zu wach. Da kann akademisch nicht so viel bei herauskommen wie sonst. Es sei ihnen verziehen. Ein Bravo also an alle Schülerinnen und Schüler, die ihre Bedürfnisse in jedem Moment überwunden haben, auch wenn es vielleicht mal grenzwertig war und vielleicht besser gewesen wäre, innezuhalten. Aber wir wissen alle, dass man machmal über seine Grenzen gehen möchte. Jeder Sportler kennt das besonders gut. Die Vernunft ist nicht immer unser einziger Begleiter.
Ein Bravo genauso an alle Schülerinnen und Schüler, die wussten, wann es besser war, etwas zu essen oder zu trinken und nicht ihre Gesundheit geschädigt haben. Sie haben gute Entscheidungen für sich und andere getroffen. Und ein Bravo an alle, die sich entschieden haben, nicht zu fasten, weil sie es in diesem Jahr für sich so besser fanden, aus welchen Gründen auch immer. Hoffentlich war es für alle ein schöner Monat!
Heute feiern wir ein Fest. Das tun wir nicht allein, sondern in der Gemeinschaft. Zu dieser Gemeinschaft gehören nicht nur diejenigen, die mit uns gefastet haben sondern alle, die feiern möchten. Auch wenn das heute für viele ältere Nicht-Muslime noch nicht selbstverständlich ist – Ich träume von einer Zeit, in der die kleinen Kinder einfach zueinander sagen Eid Mubarak, frohes Zuckerfest, und sich gegenseitig einen Bonbon reichen, ein Stückchen Schokolade, oder ein Geschenk. Das Wort Zuckerfest ist eine tolle Vokabel für das süße Miteinander am Ende des Ramadan. Das hat nichts mit Islamisierung des Abendlandes zu tun, sondern mit der Freude am Anderen. Mit der Freude am Schenken, am Geben, der Freude, zu teilen und zu feiern. Da wird nichts weggenommen, da wird hinzugefügt. Das Feiern des Eid alfitr hat so viele Gründe wie es Menschen gibt. Ich zum Beispiel bin kein Freund vom Feiern, aber ich finde es wunderschön, wenn am frühen Morgen des Festtages die Straßen gefüllt sind mit Menschen, die in die Moscheen strömen und auch auf die Friedhöfe und an die anderen Stellen, an denen sie ihrer Spiritualität und Verbundenheit mit Gott und den Menschen Ausdruck verleihen. So wie ich es an Weihnachten so herrlich schön finde, wenn die Menschen sich beschenken und ein frohes Fest wünschen, wenn aus den Kirchen Posaunenmusik tönt und schöne Lieder und um Mitternacht noch einmal die Glocken läuten.
Ich finde es wunderschön, von fremden Menschen eine Handvoll Süßes zu erhalten und dazu einen guten Wunsch. Wie ein Segen fühlt es sich an. Wie freundlich die Welt einen Moment lang erscheint. Millionen von Menschen, Millionen von Gründen. Manche feiern, weil es endlich vorbei ist, was man sich da selber auferlegt hat. Manche feiern, weil es nun mit dem Ausleben von Intimität wieder besser läuft. Andere, weil das Essen einfach am Tag besser schmeckt und der Morgenkaffee durch nichts zu ersetzen ist. Wieder andere, weil sie mit Hunger und Durst am Arbeitsplatz Fehler gemacht haben, die zum Teil gefährlich waren und vor denen sie nun wieder sicher sind. Ich habe Termine vergessen, zu denen ich unbedingt hätte erscheinen müssen. Was, wenn jemand in der Fabrik vergisst, einen Hebel umzulegen? Wenn der Busfahrer die rote Ampel übersieht? Wieder andere feiern, weil es mit dem Denken jetzt wieder besser klappt, sie sich an die Namen ihrer entfernten Verwandten wieder erinnern oder ihnen bei den Schularbeiten die Englischvokabeln wieder einfallen. Andere feiern, weil sie durch das Essen nun nicht mehr so frieren. Hier feiern so manche aus Dankbarkeit dafür, dass wir das ganze Jahr über in Deutschland genug zu essen und zu trinken haben, die meisten von uns sogar mit einem sicheren Dach über dem Kopf. Wir sind reich gesegnet und wissen es heute wieder einmal aufs Neue.
Immer wieder gibt es Menschen, die mir sagen, sie wüssten doch auch was Armut bedeutet, wenn sie nicht gefastet haben. Ja, so sehr sie Recht haben, so finde ich doch, dass das Fasten diesbezüglich der Erinnerung hilft. Wer fasten kann und will, der tue es gerne.
Aber warum sollen wir mit anderen Menschen feiern? Und vielleicht gar mit den so genannten Ungläubigen!?
Nein, jetzt folgt keine großartige philosophische Auseinandersetzung mit dem Thema Gläubige und Ungläubige. Nicht an dieser Stelle, nicht heute. Warum aber? Nun,

Wir möchten unsere Freude teilen.
Wir möchten andere an unserer Freude teilhaben lassen. Da ist es uns doch egal, zu welcher Religion diese anderen gehören.
Wir möchten in einer Gesellschaft leben, in der man sich gegenseitig versteht und schätzt.
Wir möchten unserer Hoffnung Ausdruck verleihen, dass es etwas gibt, was über allem steht, und das wir Menschlichkeit nennen können, oder Mitmenschlichkeit. Nein, das ist keine Abkehr von der Religion als dem obersten Wert. Es ist keine Abkehr von Gott als dem höchsten Wesen. Die Mitmenschlichkeit ist ja gerade Ausdruck dessen. Ist ja Manifestation der Liebe zu Gott und dem Respekt vor Gott und seinen Wünschen.
Der Traum sollte doch sein, dass das muslimische Mädchen und das nicht-muslimische Mädchen den Schokoriegel in der Mitte durchbrechen und lachend zusammen vernaschen. Mit oder ohne Kopftuch, mit Shorts oder langem Rock. Und wenn die Mädchen ihren Lebensweg verändern möchten und gar aus Zeinab Hassan wird, oder aus Mahmoud Diana, dann wäre es wunderbar, wenn Eltern ihre Kinder genauso weiter lieben wie bisher. Der Traum sollte doch sein, dass die beiden Jungs, die jetzt wieder Basketball spielen ohne vor Durst fast umzukippen, lachend ihre Wasserflasche teilen, sich zum Fest umarmen, und dann weiterspielen, unabhängig von der Kippa und dem Korananhänger an der Halskette.
Die anderen Träume, die uns verkauft werden, gehören auf den Schrottplatz der Alpträume. Die Kongruenz von Naziträumen mit Träumen militanter oder erzkonservativer Muslime, wenn sie die Welt in wir versus die anderen teilen ist alles andere als heilig, wir brauchen sie nicht. Was wir brauchen ist Anerkennung und Freude. Wer will die nicht heute mit der ganzen Welt teilen?
In der letzten Woche habe ich an einem Symposium teilgenommen. Einer Konferenz mit dem Thema: Befreit dich deine Religion? An dieser Konferenz nahmen Menschen aus allen Religionen teil. Sikhs, Juden, Muslime, Christen und Heiden, die auch ihre sozusagen religiösen Praktiken ausleben. Bei allem, was gesagt wurde, und das war wirklich viel, blieb mir ein prägender Eindruck, der sich in mein inneres Herz gelegt hat, wie eine schützende Wand. So wie, wenn man am Abend nach dem langen Fastentag ein Glas kalte Milch trinkt und dabei fühlt, wie sie sich sanft um die innere Magenwand legt. So legte sich um die innere Wand meines Herzens ein Gefühl der Wärme und Zuneigung – all derer nämlich, die an der Konferenz teilnahmen und ganz offensichtlich durch ihre Worte darlegten, dass sie alle dasselbe wollten. Frieden unter den Menschen und Güte und Gnade. Rumi sagt es so wunderbar: Meine Religion ist Liebe. Jedes Herz ist mein Tempel. Da braucht man keinen Unterschied heraufzubeschwören, da braucht man nur ins Herz zu schauen.
Jeder, dem die Mitmenschlichkeit ein Anliegen ist, der nicht nur an sich selber denkt, sondern auch den Anderen im Blick hat, und sei es aus dem fernsten Winkel seines Auges, will doch dies. Dass er selbst und seine Kinder, und die anderen und ihre Kinder in Frieden und in der Freiheit von Körper, Geist und Seele essen und trinken, arbeiten und sich lieben können.
Ich wiederhole es gern noch einmal. Jeder und jede, in deren Herz die Mitmenschlichkeit wohnt, wünscht sich dasselbe, dass er selbst und der andere, seine Kinder und die Kinder des anderen, in Frieden und Freiheit essen und trinken können.
Unterschiede ergeben sich selbstverständlich auf der politischen Ebene. Unterschiede und gar Feindschaften ergeben sich in vielerlei Bereichen und Momenten. Doch heute feiern wir ein Fest. Ein beispielhaftes. Ein Fest gemeinsamer Freude und Zuneigung. Ein Fest der Dankbarkeit an Gott und der Freude unter den Menschen, der Mitmenschlichkeit, der Zuneigung und der Gnade. Diese Gefühle sind heilig und gut, wie die Menschen, die sie in sich tragen.
Mögen wir es schaffen, diese heiligen Gefühle bis zum nächsten Ramadan in uns zu bewahren. Bis dahin werden wir beten und bitten, um Vergebung bitten und vergeben, trauern und uns freuen, miteinander in Anmut und Schönheit.
Ich wünsche euch einen wundervollen Festtag. Eid Mubarak, Bayram Mubarak!

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