Ein Ort für alle: Die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin

Ein Ort für alle: Die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin

Die muslimische Anwältin und Aktivistin Seyran Ateşgründete die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin. Es gab Zuspruch, aber auch Drohungen aus der muslimischen Welt. Wie steht es heute um das Projekt?

In der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin

Christian ist heute besonders aufgeregt vor dem Freitagsgebet, denn er wird erstmals Vorbeter sein. Der 47-Jährige mit dem roten Vollbart trägt ein weißes Gewand und eine Gebetsmütze, mit fester Stimme intoniert er die arabischen Koranverse, zu denen er und fünf weitere Gemeindemitglieder sich Richtung Mekka verbeugen. Danach wird er von seinen Glaubensbrüdern und -schwestern umarmt, er hat feuchte Augen, ein großer Tag für ihn.

Dass ein offen schwuler Mann in einer Berliner Moschee das Gebet leitet, nachdem eine Frau auf Deutsch eine Predigt gehalten hat – das ist in der Tat besonders.

Was macht die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee aus?

Im Juni 2017 wurde, initiiert von der deutsch-türkischen Anwältin Seyran Ates, in einem schlichten, mit hellem Teppich ausgelegten Raum im dritten Stock eines evangelischen Gemeindezentrums in Berlin-Moabit die Ibn-Rushd- Goethe-Moschee eröffnet. Eine Moschee, in der Männer und Frauen auf Deutsch predigen und gemeinsam beten und in der Menschen jedweder Herkunft, sexueller Orientierung und Identität ausdrücklich willkommen sind.

Kritik und Hassmails

Es scheint absurd, dass ein paar Menschen, die sich zum Gebet treffen, eine solche Welle auslösen: Medien aus aller Welt berichteten über die Moscheegründung. Aus islamisch geprägten Ländern kam wütende Kritik: Das ägyptische Fatwa-Amt sprach von einer „Provokation gegen den Islam“, die türkische Religionsbehörde Diyanet bezeichnete die Moschee – ohne Beweis – als ein Projekt der Gülen-Bewegung.

Hunderte Hassmails erreichten die Gemeinde und vor allem ihre prominente Gründerin. Was zu noch mehr Aufmerksamkeit und Berichterstattung führte. Kein einfaches Klima für Menschen, die einen geschützten Ort suchen, um ihren Glauben zu leben.

Seyran Ateş steht unter Polizeischutz

„Diese öffentliche Aufmerksamkeit stellt uns natürlich vor ein Dilemma“, sagt Ates ein halbes Jahr nach dem turbulenten Start. „Einerseits brauchen wir die Öffentlichkeit. Wir wollen uns nicht verstecken und offen sein für alle Fragen. Andererseits ist unsere Gemeinde dadurch sehr exponiert, viele trauen sich nicht, zu uns zu kommen, weil sie Repressionen fürchten. Da ist es nicht hilfreich, wenn ständig ein Kamerateam vor Ort ist.“

Die 54-Jährige steht seit elf Jahren unter Polizeischutz, zu ernst ist die Gefahr durch Islamisten, die ihr wegen ihres Kampfes gegen ein patriarchales Islamverständnis mit dem Tod drohen. Sie kennt wie kaum eine andere die Risiken, sich öffentlich für einen liberalen Islam stark zu machen, und versteht die Ängste vieler Muslime, in ihre Moschee zu kommen.

Viele kommen dann auch lieber zu den weniger öffentlichen Zusammenkünften als zum Freitagsgebet, an dem oft mehr Zuschauer als Gläubige teilnehmen: Schulklassen, Berlin-Touristen, Neugierige. Auch wenn die Gemeinde mit etwa 40 Mitgliedern noch klein ist, ist Ateş mehr als zufrieden:

„Die Gemeinde ist wie eine Familie, man achtet aufeinander und löst Konflikte friedlich und durch Diskussion.“

Bei Sunniten und Schiiten etwa gebe es rituelle Unterschiede im Gebet, da müsse man einen Weg finden, mit dem alle zu ihrem Recht kommen und trotzdem gemeinsam beten können. „So wird bei uns ein globaler innerislamischer Konflikt zu einem kleinen logistischen Problem.“

Trotzdem wächst die Gemeinde der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee

Während die Gemeinde langsam wächst, reißt die Kritik nicht ab. Die konservativen Islamverbände stört, dass die Gemeinde ihren Raum bewusst „Moschee“ nennt, nicht etwa „Gemeindezentrum“, wie es der Liberal-Islamische-Bund tut. „Dabei ist jeder Ort, an dem sich Menschen zum Gebet treffen, eine Moschee“, kontert Ateş. „Wer unserer Moschee das theologische Fundament abspricht, ignoriert die vielen islamischen Gelehrten, die unsere Sicht auf den Islam teilen.“

Ateş will nur eines: Pluralität ermöglichen

Auch viele Politiker meiden allzu engen Kontakt, um die Verbände nicht zu vergrätzen, in denen sie wichtige Ansprechpartner sehen. AfD-Politiker dagegen gerieren sich als Unterstützer und versuchen, ein Projekt zu vereinnahmen, das von den Werten ihrer Partei kaum weiter entfernt sein könnte.

Und auch aus den Reihen liberaler Muslime gibt es einen Vorwurf, der besonders oft Frauen trifft, die laut und unbeirrbar für eine Sache eintreten: dass die Moschee nur die PR-Aktion einer mediensüchtigen Selbstdarstellerin sei. „Ich verstehe diese Miesmacherei nicht“, sagt Ates. „Ich bin, wie ich bin, und ich verstecke mich nicht. Genau das wollen die Radikalen doch, die mir mit Vergewaltigung und Mord drohen: dass ich endlich die Klappe halte. Dabei will ich niemandem etwas wegnehmen, ich will nur Pluralität ermöglichen.“

„So einen Ort habe ich mir immer gewünscht“

Christian, der Gemeindevorsteher, glüht nach dem Freitagsgebet vor Aufbruchsstimmung. „Ich hatte schon immer eine Nähe zum Islam, habe mich aber als schwuler Mann nie wirklich eingeladen gefühlt mitzumachen. Seit der Gründung dieser Moschee bin ich bekennender Muslim, so einen Ort habe ich mir immer gewünscht.“ Es gibt viel zu tun: Diskussionen an Schulen, Kontakte in die Flüchtlingsunterstützerszene knüpfen, irgendwann vielleicht ein eigenes Moschee-Gebäude errichten.

Bis dahin wird die größte Herausforderung für die Gemeinde und ihre prominente Gründerin werden, die Balance zu halten: zwischen laut und leise, zwischen kämpferischem Eintreten für ihre Überzeugungen und dem spirituellen Rückzug, den Menschen in einem Gotteshaus suchen.

Die Gründerin der Moschee

Seyran Ateş, 1963 in Istanbul geboren, wuchs als Kind türkischer Gastarbeiter in Berlin auf. Seit den 1980er-Jahren setzt sich die gläubige Muslimin als Anwältin, Autorin und Aktivistin für die Rechte muslimischer Frauen und einen liberalen Islam ein. Für ihr Engagement wurde sie oft angefeindet, aber auch vielfach ausgezeichnet, etwa mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande.

https://www.brigitte.de/aktuell/gesellschaft/ibn-rushd-goethe-moschee-eine-moschee-fuer-alle-11060478.html

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