Juden im Koran (Teil 2)

25.06.2021

Juden im Koran, Teil 2

Es ist nicht leicht, solch ein Thema in einer Predigt anzusprechen, aber es ist ungemein wichtig in dieser angespannten Zeit der Bruderkämpfe darauf hinzuweisen.

   Wenn wir über den Koran sprechen, müssen wir immer davon ausgehen, dass die gesamte Offenbarung nur im Kontext dieser damaligen gesellschaftlichen, politischen und auch wirtschaftlichen Verhältnissen verstanden werden muss.

    Im Zentrum des Korans stehen nicht religiöse Institutionen, sondern Tätigkeiten, Haltungen und Aussagen bestimmter religiöser Gruppen, die in dieser Zeit auf der Arabischen Halbinsel lebten; das waren Juden, Christen, Zoroastrier und Vielgläubige.

   Das Augenmerk der mekkanischen Verse lag dementsprechend auf konkrete Handlungen und Haltungen bestimmter Handelnder und Gruppen wie Noah, Moses, usw. Von den über 6000 Verse beziehen sich ungefähr 700 Verse auf Fragen der jüdischen Lebensweise. Es geht aber dabei nicht um die Juden an sich, sondern konkret um die Angehörigen dieser Glaubensgemeinschaft, die zu jener Zeit im Ḥiǧāz, d.h. im westlichen Teil Arabiens, lebten und um ihre Handlungsstrategien, die durch ihre Lebensverhältnisse -und Gewohnheiten gegenüber bestimmten Stämmen und Clans auf der Arabischen Halbinsel hervorgegangen waren.

     Als die ersten Muslime nach Medina auswanderten, stießen sie auf eine hochentwickelte Kultur, die mit den vergleichsweise primitiven religiösen und kulturellen Verhältnissen in Mekka wenig gemein hatte. Dennoch bildeten die jüdischen Stämme keine Einheit, sondern standen sich rivalisierend gegenüber.    Eins hatten die jüdischen Gruppen gemeinsam, ebenso wie christliche Gruppen: eine privilegierte Identität: Die Sure 2:111 nennt es sehr krass: „Sie sagen: ‚Nur wer Jude oder Christ ist, geht in das Paradies.“

     Sie argumentierten, dass Muhammad und seine Anhänger nur dann einen Platz in ihrer Gesellschaft finden und ins Paradies kommen können, wenn sie sich zur jüdischen Identität bekennen. Gott bestätigt das mit derSure 2:135 so: „Sie sagen: ‚Seid Juden oder Christen, dann werdet ihr geführt.‘ Sag: ‚Aber nein! Ich folge der Glaubensweise Abrahams, eines wahren Gläubigen. Er gehörte nicht zu denen, die Gott Partner beigeben.‘“

     Im Koran wird viel Kritik an jüdische Gruppierungen ausgeübt, er spricht aber auch mit Hochachtung von den jüdischen Gelehrten. Aber trotz des Versuchs, die Juden mit ihren Fähigkeiten für die junge Religion mit verschiedenen Anerkennungsmaßnahmen wie die Erstellung einer Verfassung in seine Gemeinde zu integrieren oder das 24-stündige Fasten am 10.Tag des 7. Monats noch vor der Etablierung des muslimischen Fastenmonats, blieb die erwünschte Zuwendung aus.

    Es ist anzunehmen, dass die Juden in Medina kaum etwas aus dem bisherigen Koran gekannt haben.  In ihren Debatten ging es vielmehr um die Prophetie von Muhammed, darüber, ob er wirklich der Messias war, den sie erwartet hatten, in der Hoffnung zur Wiederbelebung von Gemeinschaft und Nation, als Hoffnung zur Nähe bei Gott.

     Darum stellt der Koran in seiner medinensischen Zeit Abraham verstärkt als Zeugen eines unabhängig von einer bestimmten religiösen Identität verkündeten Monotheismus in den Mittelpunkt. In Sure 3:67 können wir das lesen: „Abraham war weder Jude noch Christ; vielmehr war er lauteren Glaubens, ein Muslim, und keiner von denen, die Allah Gefährten beigesellen.“ Das Wort ‚Muslim‘ wird hier explizit verwendet, um die Gottergebenen zu benennen, die keiner speziellen Religion angehören. Der Koran will damit klar stellen, dass alle Propheten keine bestimmte Identität besaßen, sondern sie taten sich hervor durch ihre Gottergebenheit und nicht in Sinne der Zugehörigkeit zu einer ganz bestimmten religiösen Gemeinschaft. Es geht um die Botschaft des Monotheismus. Gott rückt so durch den Koran Abraham als eine für alle gültige Identitätsfigur in das Zentrum des Monotheismus. Es geht also um die Botschaft des Monotheismus, die angefangen von Abraham über alle Propheten bis hin zu Mohammad vertraten.

    Der Koran und damit Gott versucht mit der Argumentation, dass Abraham weder Jude noch Christ gewesen sei, sondern nur ein Gottergebener, für den Propheten und seine Gemeinschaft einen ihm gebührenden Platz in der medinensischen Gesellschaft zu schaffen. Zugleich strebt der Koran danach, mit den medinensischen Versen, die Juden durch Mahnungen und Aufrufungen an ihr intellektuelles und religiöses Bewusstsein dazu zu bewegen, auf ethischer Grundlage ein gutes Zusammenleben mit allen religiösen Gemeinschaften zu gewährleisen und im Besonderen sich in ihre religiöse Gemeinschaft einzugliedern. Sure 2:63 besagt: „Wahrlich, die Gläubigen und die Juden und die Christen und die Sabäer – wer auch immer unter diesen wahrhaft an Allah glaubt und an den Jüngsten Tag und gute Werke tut – sie sollen ihren Lohn empfangen von ihrem Herrn, und keine Furcht soll über sie kommen, noch sollen sie trauern.“

     In Mekka sprach Gott über die Kinder Israels, jetzt werden die Juden in Medina nun direkt angesprochen. Zunächst werden die Juden weiterhin an ihre Geschichte erinnert und auf ihre Verantwortung hingewiesen, z. B. in der Sure 4:47: „Ihr, die ihr die Schrift erhalten habt! Glaubt an das, was wir zur Bestätigung dessen, was euch an früheren Offenbarungen vorliegt, als neue Offenbarung hinabgesandt haben.“

     Die Juden werden also aufgefordert, erstens ihre eigene Religion ernst zu nehmen und nach ihren Richtlinien zu leben und zweitens sind die Verse mit der Hoffnung verbunden, durch die Praktizierung ihrer eigenen jüdischen Lehre damit das Prophetentum Muhammads anzuerkennen.  Indem der Koran darauf hinweist, dass es eine Bestätigung ihrer eigenen Schrift gibt, werden sie darauf hingewiesen, wenn sie sie nicht bestätigen, lehnen sie auch gleichzeitig ihre eigene Schrift ab.

    Offenbar zielen solche Verse des Korans darauf auch hin, dass die jüdischen Bewohner enttäuscht waren, dass der Prophet Muhammad kein Interesse an eine politische Zugehörigkeit zu ihnen zeigte. Sie als die Leute der Schrift hatten wohl geglaubt, dass Muhammad sich zu ihrer Religionsgemeinschaft bekennen und ihre Identität annehmen würde. So spricht Gott durch den Koran 2:120 Muhammad an: „Sag: ‘Gottes Führung, das ist die Führung!‘ Wenn du nach dem, was an Wissen zu dir gekommen ist, ihren Gelüsten folgst, hast du gegen Gott keinen Beistand und keinen Helfer.“

    Was folgt sind Ausgrenzungen vonseiten der Leute der Schrift. Der Koran reagiert darauf und beruft Abraham als eine gemeinsame religiöse Figur als einigender Vater und Zeugen des Monotheismus zu berufen. Diese Rückbeziehung auf Abraham als Zeuge des Monotheismus, den der Koran mit Gottergebenheit bezeichnet, soll, verstanden als Antwort auf den Versuch einiger Juden und Christen, aus dem Monotheismus eine politische Identität zur Gründung einer exklusiven Glaubensgemeinschaft zu machen, den Monotheismus von der politischen Sphäre der Identität hin zur spirituellen des Glaubens verlagern.

     Etliche Verse dieser Sure Al-Baqara zielen darauf hin, den Monotheismus als eine kontinuierliche Linie zu sehen, die von Abraham über Jakob, Ismail und Isaak bis zu Muhammad ging, Verse 131-132: „Als sein Herr zu ihm (Abraham) sagte: ‚Sei mir ergeben!‘ sagte er: ‚Ich habe mich dem Herrn der Welten ergeben.‘ Und Abraham befahl es seinen Söhnen an und ebenso Jakob: ‚Meine Söhne, Allah hat für euch die Religion auserwählt, deshalb sterbt nicht anders als Allah ergeben zu sein.‘“

     So ruft der Koran mit Gottes Worten nicht nur den Juden, Christen, sondern auch den Anhängern Muhammads ins Gedächtnis, dass ihr monotheistischer Glaube denselben Kern, dieselbe Aussage und denselben Ursprung hat und dass alle Propheten mit der gleichen Botschaft gesandt wurden und es deshalb auch keine exklusive Religionsgemeinschaft geben kann. Und das gilt auch heute noch. 

      Khorchide spricht des Öfteren in seinem Buch von einer von Gott gewollten Einheit in der Vielfalt. – Eine Einheit in Vielfalt – Die Einheit ist der Glaube an den Einen Gott und jede religiöse Bewegung, ja selbst jeder an Gott Glaubende hat seine eigenen Vorstellungen und Riten. Dadurch entsteht eine ungeheuer große Vielfalt. Nichts zwängt uns ein, an Ihn zu denken, nach seinen Vorgaben zu leben.

    So war es auch damals ein guter Schritt, wenn Muhammad mit seinen Getreuen die Gebetsrichtung von Jerusalem nach Mekka richtete. Die Antwort hat Gott gegeben: 2:148: Jeder hat eine Richtung, der er sich zuwendet. So wetteifert um die guten Dinge.“ So hat Gott auch den neuen Muslimen die Pilgerfahrt nach Mekka und das Fasten im Ramadan ans Herz gelegt. Der Wunsch nach Einheit in Vielfalt spricht auch der Vers 64 der gleichen Sure an. Gott spricht zu seinen Propheten: „Sprich: ‚Ihr Leute der Schrift! Kommt her zu einem gemeinsamen Wort zwischen uns und euch! Dass wir keinem dienen außer Gott, dass wir ihm nichts beigesellen und dass wir uns nicht untereinander zu Herren nehmen neben Gott.‘‘“ Das bedeutet: die Gottergebenheit soll eine Haltung sein, zu der alle aufgerufen werden, ohne daraus eine politische Identität herzustellen, kein ‚über andere hinausragen‘. – Ist das heute wirklich auch so schwer, mit dem Nachbarn klarzukommen? –

    So ermahnt auch Gott dann gleich Muhammads Gemeinde auf Versuche der Juden hin, sie von ihrem Glauben abzubringen mit der 3.Sure, das Haus ‚Imran:99: „Ihr, die ihr glaubt! Wenn ihr einer Gruppe der Leute der Schrift gehorcht, so werden sie euch wieder zu Leugnern machen, nachdem ihr doch schon gläubig wart!“Es werden also nicht alle Gruppen in den gleichen Topf geworfen. Unter dem Ausdruck „Leute der Schrift“ ist nur eine politisch ausgerichtete Gruppe zu verstehen, die sich auf eine religiöse Identität beruft, unabhängig von ihrer religiösen Haltung. Auch heute dürfen wir verallgemeinern, da sind religiöse Menschen, die einfach an Gott glauben und danach handeln und andere, die daraus ein Politikum machen, ihre Religion als Vorwand nehmen, um gegen andere zu hetzen und womöglich auch kaum Bezug zu ihrer Religion haben. Gegen diese Leute sind diese Verse gerichtet, egal ob sie Juden, Christen oder Muslime sind.

      So thematisiert bald der Koran in der medinensischen Zeit eine neue Entwicklung: Zwischen Muhammad und ‚Leugnern und der Leute der Schrift‘ zeichnen sich immer mehr Töne von Misstrauen und Krieg ab.  So stellt der Koran klar, dass die Muslime gegen diejenigen von ihnen kämpfen sollen laut 9.Sure: ’Die Reue‘ Vers 29: „… die nicht an Gott glauben und auch nicht an den Jüngsten Tag, die das, was Gott und sein Gesandter verboten haben, nicht verbieten und die nicht der Religion der Wahrheit angehören, bis sie erniedrigt den Tribut aus der Hand entrichten.“

Der Koran stellt damit auch fest, dass nicht jeder Jude, Christ, Sabäer ihr Feind ist.

      Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die koranischen Berichte über Juden, Christen und andere Völker, zu denen Gott Propheten sandte, keineswegs diese Gemeinschaften „verdammen“. Vielmehr sind sie als Warnung zu verstehen.

     Dennoch stehen Gottes Worte ausdrücklich für ein friedliches Zusammenleben im Raum, das noch heute seine volle Wichtigkeit hat.

Die 5.Sure ‚DerTisch‘:69 bestätigt das: „Siehe, die glauben, und die Juden und die Sabäer und die Christen, die an Gott glauben und an den Jüngsten Tag und die rechtschaffen handeln, die werden im Jenseits keine Furcht empfinden und sollen auch nicht traurig sein.“

      Der Koran ist ein Zwiegespräch zwischen Gott und seinen an Ihn Glaubenden. Da wird sozusagen etwas Schöns, Positives, aber auch nicht so Schönes, Negatives auf den Tisch gelegt, um darüber nachzudenken, was kann ich persönlich oder in einer Gruppe besser machen, um die Zufriedenheit Gottes zu erlangen. Aber noch wichtiger ist es, alle Gläubigen auf diesen Weg mitzunehmen, egal welcher Religion.

    Und so wünsche ich mir Gemeinsamkeiten wie z.B. gegenseitige Besuche, gemeinsames Feiern, wenn es wieder möglich wird, eine tolle Gelegenheit wäre unser kommendes Opferfest. Sind wir nicht alle Gottes Gläubige?

Manaar

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