Gottes Nähe zu dem Menschen

Beziehung Gott und Mensch oder Gottes Nähe zu dem Menschen

 

victoriano izquierdo
victoriano izquierdo

So wie jeder Gläubige, so denke ich wenigstens, habe ich mir immer wieder Gedanken über meine Beziehung zu Gott gemacht. Nein, ich zweifle nicht an Gott, Aber manchmal zweifle ich an die Beziehung Gott und Mensch, Wenn ich gebrechliche Menschen sehe, dann denke ich im ersten Moment: Gott, warum hilfst du nicht diesen Menschen?  Bei Naturkatastrophen, wenn ich im Fernsehen Menschen und Tiere sterben sehe, ist mein erster Gedanke: O Gott, hilf doch! Es ist für mich schwer begreiflich, dass Gott nicht eingreift. Und oft höre ich die Frage: Gott hat mich so viel erdulden lassen und es hat sich nichts geändert, obwohl ich Ihn darum gebeten habe. Hat Er wirklich nicht geholfen?

    Nein, ich weiß es besser: Gott lässt dieses alles geschehen, denn Er hat uns, die ganze Menschheit, verantwortlich gemacht, die Erde mit ihrer ganzen Natur und all ihren Geschöpfen zu schützen. Und aus dem Grund greift Er nicht ein. Oder doch? Ich denke – nein, ich weiß es, Er lässt uns in unserem Unglück nicht allein. Vielleicht mildert Er das Unglück, vielleicht hätte es uns schlimmer getroffen, oder Er hilft, wenn es angebracht ist durch uns selbst, wir merken es nur nicht.

    Wenn Gott uns ständig behüten würde, wären wir wie Kleinkinder, unselbständig, unmündig, nicht frei. Gott wollte aber freie Menschen als Partner, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, auch mal Fehler machen. Auch wenn wir mal auf hohe Mauern und tiefe Abgründe stoßen, wir müssen sie überwinden. Schon die Neugier, was hinter der hohen Mauer ist, treibt uns voran, ansonsten ist der Mensch kein Mensch und wir würden noch immer auf Bäumen hangeln.

   Ihr kennt die Überlieferung des Propheten Muhammad, als er auf die Frage antwortet über den Zusammenhang von Gottvertrauen und eigenem Handeln: „Soll ich mein Kamel anbinden und vertrauen oder nicht anbinden und vertrauen?“: „Binde es an und vertraue auf Allah.“ Für mich steht außer Frage: Gott wird helfen, vielleicht nicht gleich, aber Er wird.

    In einem Hadith berichtet Abu Huraira: Der Gesandte Allahs – Allah segne ihn und gebe ihm Heil – hat gesagt: „Allah, der Mächtige und Erhabene, wird am Tage der Auferstehung dem Menschen vorhalten: „O Kind Adams! Ich erkrankte, doch Du besuchtest Mich nicht!” Er wird antworten: „O mein Herr! Wie hätte ich Dich besuchen können, wo Du doch der Herr der Welten bist?” Allah wird erklären: „Hast du denn nicht erfahren, dass mein Diener Soundso krank war, und du ihn nicht besuchtest? Hast du denn nicht gewusst, wenn du ihn besucht hättest, hättest du Mich bei ihm gefunden! O Kind Adams! Ich bat Dich um etwas zu essen, doch Mir gabst du nichts zu essen!” Er wird antworten: „O mein Herr! Wie hätte ich Dir etwas zu essen geben können. wo Du doch der Herr der Welten bist?” Allah wird erklären: „Hast du etwa nicht gewusst, dass Mein Diener Soundso dich um etwas zu essen bat? Hast du denn nicht gewusst, wenn du ihm etwas zu essen gegeben hättest, du sicherlich dafür Meine Belohnung erhalten hättest! O Kind Adams! Ich bat dich, Mir (Wasser) zum Trinken zu geben, aber du gabst mir nichts zu trinken!” Er wird sagen: „O mein Herr! Wie hätte ich Dir zu trinken geben können, wo Du doch der Herr der Welten bist?” Allah wird erklären: „Mein Diener Soundso bat dich um Wasser, doch du gabst ihm nichts zu trinken! Hast du denn nicht gewusst, wenn du ihm zu trinken gegeben hättest, du deinen Lohn dafür bei Mir gefunden hättest?” Dies ist überliefert bei Muslim in Riyadhu s-Salihin: Hadith-Nr. 897, Buch 7, Kapitel 144.  Diese Verse bedeuten mehr als nur Seelsorge. Ich fasse das als mehr als eine Pflicht auf, sondern als eine freiwillige Hilfe, die aus dem Herzen kommt. So wie Gott sich um uns kümmert, so sollten wir uns um unsere Mitmenschen kümmern.

     Dieser Hadith steht für ein Lehrer-Schüler-Verhältnis: Gott als Lehrer zeigt uns, wie wir uns zu verhalten haben, Er legt uns diese Verhaltensweise ans Herz, mehr noch, Er macht es uns zu einer Gewissenssache, uns nicht nur um unsere eigenen Bedürfnisse zu kümmern, sonders um die der ganzen Gesellschaft, um die Natur und um alle Geschöpfe.

      Da stellt sich mir die Frage: Was bedeutet eigentlich ein Mensch zu sein? Was erhebt ihn aus der Tierwelt hinaus? Ich denke, Menschsein, das ist vor allem die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Also der Mensch besitzt die Fähigkeit, Mitgefühl und Barmherzigkeit zu zeigen, was uns erst zum Menschen macht, was unser Bewusstsein prägt, unsere Ethik, unser Zusammenleben, Hilfe zu leisten. Ich glaube, diese Fähigkeit entwickelt sich vor allem durch die Kommunikation mit unseren Mitmenschen. Es ist eine Dreiecksverbindung: Beziehung Gott zum einzelnen Menschen, Mensch zur Gemeinschaft, also untereinander und Gottesbeziehung zur Gemeinschaft.

     Die Beziehung zwischen Gott und Mensch ist eigentlich sehr eng, nicht einmal ein Stück Papier passt dazwischen. Gott sagt durch den Koran, dass Er uns näher ist als unsere Schlagader. Wir lesen in Sure 50:16: „Und wahrlich, Wir erschufen den Menschen, und Wir wissen, was er in seinem Innern hegt; und Wir sind ihm näher als (seine) Halsschlagader…“ Diese Worte veranschaulichen die unmittelbare, sehr enge Nähe von Gott und Mensch. Es ist die Nähe Seiner Begleitung, Seines Schutzes, Seiner Registrierung aller Handlungen eines jeden Menschen, Seiner Hilfe und Seiner Nähe zu jedem einzelnen Menschen, ob er es will oder nicht. Deshalb brauchen wir auch keine Zwischenstationen zwischen Ihm und uns, keine Funktionäre oder Instanzen, die für uns sprechen wollen und sich manchmal so verhalten, als wenn sie den Islam für sich gepachtet hätten. Nein! Der Islam ist eigentlich eine sehr intime Religion, sehr privat.

   Denken wir einmal über den Vers 115 in Sure 2, Al-Baqara, nach: „Und Gottes ist der Osten und der Westen; und wohin immer ihr euch wendet, dort ist Gottes Antlitz. Siehe, Gott ist unendlich, allwissend.“  Egal, wohin wir schauen oder gehen, immer ist auch Gott dort zu finden.

     Unsere Religiosität dürfen wir nicht territorial begrenzen und wir als Muslime haben auch nicht das Recht, Religiosität nur für uns zu pachten. Der Osten und der Westen gelten nicht nur für das Abend- und Morgenland, sondern rings um uns, ob Mann oder Frau, ob mit dunkler oder heller Hautfarbe, jeder kann die Nähe zu Gott in sich spüren, wenn er es denn will und sich aufnahmefähig macht. Gott ist allumfassend und allgegenwärtig. Er ist nicht nur für besonders weise oder wissende Personen da, sondern für jede einzelne Person und nicht nur manchmal, wenn es uns gefällt, an Ihn zu denken, sondern immer und ewig.

      Gott hat uns von Anfang an seine Zusicherung gegeben, dass wir in den Genuss Seiner Barmherzigkeit kommen und unter Seiner Gnade leben. Das ist wahrhaftig eine besondere Beziehung zwischen Gott und dem Menschen. Als Gegenleistung verlangt Er von uns Barmherzigkeit unter uns Menschen. Und Barmherzigkeit schließt Hilfe, Akzeptanz, Mitgefühl und Liebe zu den Mitmenschen ein.

   Ich habe schon einmal erzählt: Wenn ich aufwache, ist meine erste Regung an Gott zu denken und ich begrüße Ihn, sage einfach: „Guten Morgen ya Allah!“ Das Erstaunliche ist dann immer für mich, dass ich beginne zu lächeln und ein gutes, manchmal überschwängliches Gefühl stellt sich ein, das mich noch lange begleitet. Es ist zu einem Ritual geworden, welches ich nicht mehr missen möchte. Ich fühle dann die Nähe zu Gott, es gibt mir Ruhe und Geborgenheit. Und wenn mir im Laufe des Tages mal eine Laus über die Leber läuft, dann denke ich an dieses Gefühl und mir geht es gleich besser. Und ich denke, es kann sich jeder irgendwelche guten Punkte oder Momente setzen, an die man sich dann halten kann, um mal durchzuatmen und zu sich zu kommen.

    Diese Nähe zeugt eigentlich von der Liebe Gottes zu den Menschen. Es ist sehr wichtig zu wissen, dass und wie sehr Gott uns liebt und wir müssen uns das immer wieder vor Augen halten. Es besteht immer die Gefahr, dass die Beziehung zwischen dem Menschen und Gott zur Gewohnheit wird. Man kann sich daran gewöhnen, Gott anzubeten. Das Gebet wird einfach nur zur Routine. Darum ist dieses Innehalten, so wie ich es gerade erzählt habe, sehr wichtig. Und ich wünsche jedem von euch, dass er die Nähe und Liebe Gottes spürt, um dann gelassener durch den Tag zu gehen.

    Gott ist wie ein Seil, an dem wir Halt finden, welches uns auch eine Richtung vorgibt, eine Orientierung.    

Und mit dem Vers 2 aus der Sure at-Talaq möchte ich diese Predigt schließen:

     „Und dem, der Allah ehrfürchtig (und aufrichtig) anbetet, verschafft Er einen Ausweg und versorgt ihn in der Art und Weise, mit der er nicht rechnet. Und wer auf Allah vertraut, für den ist Er sein Genüge.“

Manaar

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