Der Gebetsruf – Adhan

Der Gebetsruf – Adhan

Nouman Younas
Nouman Younas

Assalaamu alaikum wa rahmatullah wa barakatuhu

Liebe Brüder und Schwestern, ich begrüße euch sehr herzlich hier in der Moschee zum Freitagsgebet.

Unsere Moschee ist ein wenig anders eingerichtet als die meisten Moscheen. Es fehlt gewissermaßen an lauten orientalischen Schmuckstücken. Ein paar leicht orientalisch anmutende Kerzenständer sind wohl die einzigen subtilen Anzeichen dafür, dass es sich hier um einen Ort handelt, der in Verbindung mit einem anderen Raum und einer anderen Zeit steht – Zeit und Raum nämlich der Entstehung des Islam als Lebensphilosophie und als Religion. Wir leben einen „Deutschen Islam“, jedoch ist er genauso authentisch wie jeder andere, denn die Betonung liegt nicht auf Deutsch, sondern auf Islam. Manche Dinge finden hier aber immer auf Arabisch statt; eines dieser „Dinge“ ist der Adhan, der Ruf zum Gebet.

Das ich hier zum Gebet rufe, habe ich einem Zufall zu verdanken. Am Tag vor der Eröffnung unserer Moschee war ich auf Facebook unterwegs und sah, dass eine liberale Moschee eröffnet werden sollte. Ich hatte davon zuvor nichts gehört, und da ich keinen Fernseher habe und Nachrichten sehr selektiv schaue, hatte ich auch von Seyran Ates keine Kenntnis. Am nächsten Tag wollte ich mal schauen, was es denn mit dieser Moschee auf sich hatte. Mit meinem roten Kopftuch zog ich also los um kurze Zeit später an einem Ort anzukommen, der sich Moschee nannte, an dem aber kaum eine andere Frau ein Kopftuch trug – mit Abaja und Tuch war ich die am konservativsten gekleidete Frau auf dieser Feier. Das war dann wohl auch der Grund, aus dem ich schließlich gebeten wurde, zum Abendgebet zu rufen. Zunächst lehnte ich dankend ab, da ich das noch nie gemacht hatte und mir nicht einmal der Wortlaut richtig geläufig war. Natürlich hatte ich den Adhan schon tausendmal gehört, in den vielen Städten des Libanon, die ich besucht hatte, aus dem Lautsprecher des Radios meiner Freundin, und in der Moschee. Doch hatte ich nie darüber nachgedacht, in welcher Reihenfolge welche Wörter genau verwendet werden, ganz geschweige von der passenden Melodie. Ich verließ also den Raum in Richtung Garten, um mich draußen weiter zu unterhalten, doch noch bevor ich ganz aus dem Gebäude herausgetreten war, kehrte ich um. Der Gedanke, dass eine andere Person als ich nun zum Gebet rufen würde, erfüllte mich mit einem ganz unangenehmen Gefühl; ich befürchte, es war Eifersucht. Ich ging also zurück und fragte, ob ich denn noch rufen dürfte. Im Eilverfahren ging man mit mir die Wörter durch, die Anzahl der Wiederholungen und ließ mich dann allein. Ich trat nach vorn, in Richtung Mekka, und dachte: „und mit welcher Melodie??!!“ So sang ich den ersten Ton und dann kam meine eigene Melodie ganz von allein. Natürlich nicht ganz unähnlich denen, die ich zuvor gehört hatte, aber dennoch meine eigene. Sie ist seitdem ungefähr dieselbe geblieben. Ich rief also zum Abendgebet, und seit diesem Tag ist mir Gottes Gnade noch viel deutlicher bewusst als zuvor, denn das Rufen erfüllt mich immer wieder mit Freude und Zuversicht, auch wenn es manchmal besser klappt und manchmal weniger.

Es ist etwas ganz Besonderes, den Adhan zu rufen, aber erst nach und nach komme ich dahinter, was diese Besonderheit ausmacht. Nun ist es mir ein Bedürfnis, ein paar Gedanken darüber zu teilen.

Zunächst aber einige Sätze dazu, dass ich eine Muezzinin bin, also offensichtlich kein männlicher Vertreter meiner Spezies. Der eine oder andere Muslim vertritt ja nach wie vor die Meinung, ich als Frau dürfe nicht zum Gebet rufen, denn diese Aufgabe sei allein Männern vorbehalten. Diese prä-emanzipatorische Einstellung beruft sich auf ein Hadith, das ich gleich erzählen werde, beruht aber sicher nicht auf diesem, sondern auf tradierten Vorstellungen der Frau als Verführerin und ihrer Stimme als Instrument dieser Verführung. Aufgewachsen bin ich mit diesen Gedanken nicht. Als ich anfing, hier zum Gebet zu rufen, war mir gar nicht bewusst, dass ich eine Männerdomäne betrete! Ich hatte darüber tatsächlich nie nachgedacht. Irgendwann, nachdem ich schon an einigen Freitagen recht regelmäßig gerufen hatte, fragte mich jemand, ob es mir nicht seltsam vorkäme, als Frau zum Gebet zu rufen. Ich wusste beim besten Willen nicht, warum; doch langsam lernte ich, was die konservative muslimische Welt hierzu zu sagen hatte. Hier also der überlieferte Hadith von Bukhari, auch zu finden bei Muslim, auf den sich die Meinung stützt, dass nur Männer zum Gebet rufen dürfen:

Nach Al Bukhari (604) und Muslim (377) also, erzählt von Ibn Omar, standen die Muslime von Medina Freitags immer vor der Moschee, um auf das Gebet zu warten. Die Ungewissheit über den exakten Beginn des Gebets empfanden sie als unangenehm, suchten daher nach einer Möglichkeit, genauer zu wissen, wann das Gebet beginnen würde. Eines Tages nahm diese Suche konkrete Züge an, und so sagten manche von ihnen: „Lasst uns eine Glocke benutzen, wie es die Christen tun“. Andere sagten: „Nein, wir verwenden ein Horn, wie die Juden“. Omar sagte zum Propheten Mohamed: „Warum schickst du nicht einen Mann, um zum Gebet zu rufen?“ Da sagte der Prophet: „Oh Bilal, steh auf und ruf die Leute zum Gebet.“

Omar hatte also gefragt: „Warum schickst du nicht einen Mann um zum Gebet zu rufen?“ und Mohamed hatte daraufhin einen Mann ausgewählt. Er verwendete in der Tat das Wort Mann – aber stellt dies ein konstituierendes Element dar? Ich gehe davon aus, dass es üblicher war, einen Mann vorzuschlagen, einfach so, ohne große Gedanken darüber, wohin so ein kleines Wort führen könnte. Wir bedenken ja nicht alles, was wir sagen, bezüglich der Zukunftswirkung jedweden Wortes. Es wird eher der Zufall oder patriarchale Grundgedanken des Sprechers gewesen sein, die dazu führten, dass nach einem Mann gefragt wurde.

Ein besonders kluger Kopf schreibt im Internet auf der Seite Quora, dass ja mittlerweilse seit 1400 Jahren immer nur Männer zum Gebet gerufen haben, wodurch bewiesen wäre, dass dies die korrekte Praxis sei. So kann man es natürlich auch sehen.

Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht.

Die schlechte Nachricht ist, dass sich Menschen von derartigen Beweisführungen beeindrucken lassen. Zufallsäußerungen, unlogische Kausalverknüpfungen, Vermischung von kulturellem Zeitgeist und Religion werden nicht von jedem hinterfragt. Die gute Nachricht ist, dass es überhaupt kein Problem darstellt, wenn ich als Frau zum Gebet rufe, denn die Aussage des Hadiths ist meiner Ansicht nach nicht großartig relevant. Im Koran habe ich ebenfalls nichts gefunden, was dagegen spräche, als Frau zum Gebet zu rufen. Wir finden in Sure 33, Vers 32 zwar Folgendes:

“O Ehefrauen des Propheten! Ihr seid nicht wie irgendwelche von den anderen Frauen, vorausgesetzt dass ihr euch (wahrhaft) Gottes bewusst bleibt. Darum seid nicht überweich in eurer Rede, dass nicht einer, dessen Herz krank ist, bewegt würde (nach euch) zu verlangen: aber überdies sprecht auf gütige Weise.“ Dieser Vers wird herangezogen, um Frauen dazu zu bewegen, ihre Stimme nicht im Rahmen des Gottesdienstes zu erheben. Dies ist eine Anweisung an die Frauen des Propheten (!), die in der Geschichte des Islam eine besondere Rolle innehatten. Dies wird in den vorangehenden Versen 30 und 31 sehr deutlich erklärt: „O Ehefrauen des Propheten! Wenn eine von euch offenkundigen unmoralischen Verhaltens schuldig werden würde, ihr Leiden (im Jenseits) wäre das Doppelte (dessen anderer Sünden): denn das ist fürwahr leicht für Gott. Aber wenn eine von euch demütig ergeben Gott und Seinem Gesandten gehorcht und gute Taten tut, ihr werden Wir ihre Belohnung zweifach erteilen: denn Wir werden für sie eine höchst vortreffliche Versorgung (im kommenden Leben) bereitet haben.“ Ganz offensichtlich sind also diese Vers an die Frauen des Propheten gerichtet. Eine solche bin ich nicht, auch wenn ich den Propheten Mohamed besonders in mein Herz geschlossen habe. Die Frauen des Propheten hatten eine Stellung in der Gesellschaft die vor und nach ihnen niemand haben konnte. Auch rein inhaltlich muss man sich recht weit aus dem Fenster lehnen, um hieraus ein Verbot des Adhan für Frauen zu schließen. So rufe ich also wann immer es mir möglich ist, am Freitag nach der Arbeit hier in unserer Moschee zum Gebet. Als Frau, und nicht als einzige Frau der Welt. Auch Amina Wadud und Ani Zoneveld rufen zum Gebet.

Der Ruf läutet das Freitagsgebet ein. Man sammelt sich im Gebetsraum, spricht miteinander, lacht und scherzt, tauscht Fragestellungen aus und Antworten über Arbeit, Familie, Sorgen, Freuden und die Wissenschaften. Meist wird leise geredet, während man auf den Adhan wartet, den Ruf zum Gebet.

Vor dem ersten Ton gibt es im Moscheeraum meist noch das eine oder andere Geräusch. Beim ersten gesungenen Ton entsteht zunächst Geräuschlosigkeit. Die Menschen hören auf, sich zu unterhalten.

In dieser Geräuschlosigkeit erklingt nun der erste Ton, und es entfaltet sich der Ruf zum Gebet. Es ist die tonale Manifestation unserer Verbindung zu allem was ist – zu allem, was hört, und zu allem, was Schwingungen wahrnimmt, der Verbindung zu Allah und all seiner Schöpfung.

Wenngleich der Gebetsruf eine Melodie hat, ist er doch kein Lied. Er ist auch kein Gebet. Er ist ein Ruf, an die Gläubigen gerichtet, sich nun bereit zu machen, sich zu reinigen, innerlich wie äußerlich, um vor den Schöpfer aller materiellen wie nicht materiellen Dinge zu treten und ihm Ehrerbietung zu erweisen. Doch nun geschieht häufig das, was mich immer wieder ein wenig erschreckt. Die Stille, die zuvor lediglich die Abwesenheit von Geräusch war, wird nun gerade durch die Anwesenheit des tönenden Klanges zu wahrer Stille. Denn während des Adhans entsteht hin und wieder eine Stille, die mächtiger ist, als die Stille, die ihr vorangeht, obwohl es sich streng genommen nun gar nicht mehr um Stille handelt, denn es gibt ja den Klang des Adhan. Es ist dies vielleicht die Stille der Seelen, die sich im Raum ausbreitet und deren Kraft der Rufer mit einem leichten Erschrecken spürt. Möglicherweise ist es die Stille einer Macht, die, da sie gerufen wurde, nun angekommen ist, im Raum. Nicht immer stellt sich diese Stille ein – woran auch immer dies liegen mag, manchmal bleibt es bei der Geräuschlosigkeit – aber manchmal ist sie recht deutlich zu spüren. Ich glaube, diese Art Stille entsteht dann, wenn alle Seelen von innen ganz still werden und dem Ton erlauben, sie tief zu berühren. Wenn die Seele ganz im Hier und Jetzt ist, aber als vollkommene Seele, mit all ihren Erinnerungen, ihrem Schmerz, ihrer Freude und ihrer Hoffnung. Der Ton resonniert gewissermaßen in den Seelen der Zuhörer und wird das Außen des Innen. Zunächst bin nur ich der Rufer, aber jede Seele wird mit mir zum Rufer und ruft Allah an, und plötzlich verliert sich mein Ich und der Rufer ist jeder – jede Seele vereint sich gleichsam in diesem Ton und ich als Person bin nur noch diejenige, die den äußeren Ton zur Verfügung stellt. Ich bin nicht der Rufer, ich bin der Ton.

Dabei glaube ich nicht, dass das mit jedem Ton möglich ist, oder mit jedem Text.

Die Töne treffen nicht zufällig auf die Seelen der hierfür Empfänglichen. Hierzu tragen ganz klar auch die gerufenen Worte bei. Nach sunnitischer Überlieferung hatte Bilal die Eingebung dieser Worte. Er war es, der sich überlegte, welche Aussagen und Aufforderungen zu rufen sinnvoll wären. Nach schiitischer Überlieferung erschienen die Worte dem Propheten Mohamed in einem Traum, überbracht vom Engel Gabriel. Ich bin geneigt, letzteres zu glauben, denn genau diese Wörter haben einen besonders intensiven emotionalen Stimmungsgehalt. Der erste Ton, der gehalten wird, ist ein Ah – ein lautes Anrufen Allahs und zugleich ein klagender Laut. Wessen Seele klagt, der hört ihn deutlich und lang und empfindet ihn möglicherweise als etwas Angenehmes, denn dieser Vokal bringt sein Inneres zum Klingen. So lange es um Allah geht, bleibt das Ah der vordringliche Vokal. Das Ah ist auch ein Laut der Bewunderung und ein Laut, den wir von uns geben, wenn wir etwas Überraschendes erfahren oder lernen. Klage und liebende Bewunderung liegen auf der Gefühlsebene eng beieinander. Klage und Bewunderung bilden einen engen Dreibund mit der Hoffnung, die im Guten liegt, das wir wünschen und nach dem wir streben. Das A ist ein offener Laut. Er öffnet das Innere des Menschen hin zum Universum.

Das erste Zeugnis des Adhan gilt dem Bezeugen des einzigen, allmächtigen Gottes. Wir tun ihm kund: „Ich bin da. Bemerke mich und höre mich an, in meiner Bewunderung deines Wesens und in meiner Liebe zu dir. Ich rufe dich, damit du mich hörst und deinen schützenden Arm um mich legst, denn ich klage dir mein Leben und bitte, dass du mich nicht verlässt. Ich kann dies nur von dir wünschen, Allah, denn nur du bist wahrhaft größer als alles in mir und alles außer mir.“ „Allahu akbar“.

Das zweite Zeugnis gilt dem Propheten Mohamed, dem Rassul; und hier wechselt der Adhan zum Uh. Im Gegensatz zum Ah, das einen ausrufenden Klang der Brust und des Herzens darstellt, ist das Uh ein einkehrender Ton des Unterleibs. Er bezieht die Seele zurück zum Inneren. Legt man die Hände zum Rufen an den Mund, so bewegen sich die Arme beim Ah ganz automatisch nach außen, lassen den Brustkorb groß und weit werden, um sich beim Uh wieder zusammen zu ziehen, und den Brustkorb zu schützen. So ergibt sich gleichermaßen ein Flügelschlag vom Ah zum Uh und dann zurück zum Ah, gleich mehrere Male, denn der Satz wird zweimal gerufen, bis der Ton letztendlich beim Ah bleibt, denn nun darf die Seele dorthin schweben, wohin sie schweben mag, in ihre eigene Welt, die sich ihr nun durch den Ton eröffnet hat. So ist der Adhan ein Hin und Her zwischen Gott und dem Menschen, zwischen dem Ruf hinaus ins Universum und der Rückkehr zum Selbst, einem erneuten Ruf nach Gott und einer erneuten Rückkehr zum Selbst oder zu unserer Seele. Man könnte auch sagen, die Seele bewegt sich hin und her zwischen der Weite des Universums und der engen Nähe des Selbst.

Klang ist Leben, nennt Barenboim sein lesenswertes Buch. Der Klang jeder Musik, und so auch der Klang des Adhans, repräsentiert gleichsam unsere Existenz. Wir sind ein Klang, und so wie ein Klang entsteht, entsteht unser Leben – gleichsam aus dem Nichts heraus werden wir geboren. Der Klang wächst langsam heran, so wie auch wir heranwachsen, wird laut und voller Lebenskraft, um dann wieder langsam wieder leiser zu werden, zu vergehen und schließlich hier auf der Erde nur noch in der Erinnerung weiter zu leben. Wie der Klang, so sterben auch wir, verlassen diese Welt und bleiben als Gedanken oder vielleicht als Energiefelder im Diesseits zurück. Im Universum ist jedoch alles, was einmal angestoßen wurde, unendlich, so wie das Universum selbst. Einmal angestoßen, tönt der Klang, der Klang unseres Lebens, endlos weiter, unabhängig von Raum und Zeit. Vor ein paar Tagen las ich so passend im Beitext zu einem psychologischen Spiel: „In alten Mythen ist der Mensch selbst ein Gefäß, dem Gott seinen Atem eingehaucht hat – ein Gefäß, das zu klingen beginnt. Unser Wort „Person“ drückt das ebenfalls aus. Person heißt wörtlich „durchtönend“, von lateinisch sonare – tönen, klingen.Wenn die großen Zusammenhänge im einzelnen Menschen Widerhall finden, und – umgekehrt – wenn auch das Besondere eines Individuums an vielen Stellen in der Welt Resonanz findet, dann wird eine Person zur wohlklingenden, stimmigen Persönlichkeit.“ (Johannes Fiebig, „Du bist, was du vergisst“, 2018). Wir sind also ein Gefäß, das klingt, indem wir etwas von Außen aufnehmen und klingen lassen. Und zugleich lassen wir durch unseren Klang etwas von innen hinaus.

Um noch einen Moment im Bild zu bleiben – wahrscheinlich sind wir nicht ein einzelner Ton, sondern ein ganzes Geflecht von Tönen, die wir stets versuchen, zu harmonisieren. Diese Töne sind Manifestationen unserer Erfahrungen, Erlebnisse, Gedanken. Manche unserer Klänge verbinden sich zu wundervollen Harmonien. Andere Klänge bilden zusammen eine Kakophonie, die das ungeübte Ohr kaum zu ertragen vermag. Wir versuchen stets automatisch, unsere verschiedenen Klanganteile, die Klanganteile unserer Seele also, so miteinander zu verbinden, dass eine ansprechende Harmonie entsteht. Erlebnisse und Erfahrungen bilden so eine Klangharmonie, die unsere Identität ausmacht, welche mit jeder Erfahrung erweitert wird. Auch mit äußeren Klängen, das heißt mit anderen Menschen, versuchen wir Harmonie zu erreichen. Manche Klänge empfinden wir als zu uns unpassend und meiden sie, mit anderen verbinden wir uns ganz mühelos und freudvoll, weil sie mit unseren eigenen Klängen so gut zusammen passen. Wir sagen dann, wir sind miteinander im Einklang. Manchmal arbeiten wir unter Einsatz von Selbstdisziplin daran, dass unser Denken und unser Handeln miteinander in Einklang kommen.

Unser Prophet Mohamed war ein Warner. Als solcher, müsste er eigentlich durch einen lauten Klang verkörpert sein, den man überall hört, einer Art Warnschuss oder Trompetengetöse. Dennoch stelle ich ihn mir besonders leise vor. Der Klang des Propheten ist ein Ton, den man bei übermäßiger Geschäftigkeit nicht zu hören vermag, unübertroffen jedoch an Wärme und Liebe. Vielleicht haben wir alle so einen ganz warmen, leisen Ton in uns. Vielleicht ist das der Ton der selbstlosen Liebe. Der Ton liebender Ergebenheit, der in uns singt, wenn wir „muslim“ sind? Muslim nicht im Sinne einer Religionszugehörigkeit, sondern als Zustand. Muslim sein bedeutete dann, einen leisen Ton in sich zu tragen, der nie vergeht. Einen leisen, warmen Ton, der in unseren Gebeten zu Gott hin klingt und von ihm wahrgenommen wird. Ein Ton, ähnlich eines fein gesponnenen Fadens, der immer weiter klingt und in sich die Hoffnung trägt, und das Vergeben, die Liebe und die Gnade und das, was in den Interpretationen des Wortes „Islam“ immer als „Unterwerfung“ wiedergegeben wird, aber tatsächlich eine liebevolle, friedfertige Hingabe meint. Während alle Veränderungen, die wir von Tag zu Tag, sogar von Stunde zu Stunde, in uns spüren, unsere Klänge ändern, mal laut, mal leise, mal hart, mal weich, mal kälter, mal wärmer – so ist dieser eine, feine Ton, doch immer da – der Ton der beweist, dass wir muslim sind. Muslim, wie gesagt, als Zustand, als Sein. Diese Verbindung zu Gott besteht zwar immer, doch bekräftigen wir sie in unserem Leben stets in zwei besonderen Momenten: Wenn wir beten, und wenn wir Gutes tun.

Im Koran lesen wir:

2:2-4

Diese Göttliche Schrift – keinen Zweifel soll es darüber geben – ist (dazu bestimmt,) eine Rechtleitung für alle Gottesbewussten (zu sein), die an (die Existenz dessen) glauben, was jenseits der Reichweite der menschlichen Wahrnehmung ist, und beständig das Gebet verrichten und für andere von dem ausgeben, was Wir ihnen als Versorgung bereiten; und die an das glauben, was dir (o Prophet) von droben erteilt worden ist, wie auch an das, was vor deiner Zeit erteilt wurde: denn es sind sie, die in ihrem Innersten des kommeden Lebens gewiss sind!

2:43

…und verrichtet beständig das Gebet, und gebt aus Mildtätigkeit, und verbeugt euch im Gebet mit allen, die sich also verbeugen.

2:83

Und siehe! Wir nahmen dieses feierliche Versprechen von (euch) den Kindern Israels an: Ihr sollt keinen außer Gott anbeten; und ihr sollt Gutes tun euren Eltern und euren Verwandten und den Waisen und den Armen; und ihr sollt zu allen Leuten auf gütige Weise sprechen; und ihr sollt beständig das Gebet verrichten; und ihr sollt ausgeben aus Mildtätigkeit.

2:277

Wahrlich, jene, die Glauben erlangt haben und gute Werke tun und beständig das Gebet verrichten und aus Mildtätigkeit ausgeben – sie werden ihren Lohn bei ihrem Erhalter haben, und keine Furcht brauchen sie zu haben, noch sollen sie bekümmert sein.

8:2-4

Gläubige sind nur jene, deren Herzen vor Ehrfurcht erzittern, wann imer Gott genannt wird, und deren Glauben gestärkt wird, wann immer Seine Botschaften Ihnen übermittelt werden, und die iher Vertrauen auf ihren Erhalter setzen – jene, die beständig das Gebet verrichten und für andere ausgeben von dem, was Wir ihnen als Versorgung bereiten: es sind sie, die wahrhaft Gläubige sind! Für sie wird es große Würde in der Sicht ihres Erhalters geben und Vergebung der Sünden und eine höchst vortreffliche Versorgung.

In 19:31,32 lesen wir, wie der Prophet Jesus sagt: „Siehe, ich bin ein Diener Gottes. Er hat mir Offenbarung gewährt und mich zu einem Propheten gemacht und mich gesegnet gemacht, wo immer ich sein mag; und Er hat mir Gebet und Mildtätigkeit geboten, solange ich lebe, und hat mich versehen mit liebender Achtung gegenüber meiner Mutter; und Er hat mich nicht überheblich oder bar der Gnade gemacht.“

19:54,55

Und erinnere dich, durch diese göttliche Schrift, an Ismael. Siehe, er hielt immer sein Versprechen und war ein Gesandter Gottes, ein Prophet, der seinen Leuten Gebet und Mildtätigkeit zu gebieten pflegte und in der Sicht seines Erhalters Gunst fand.

22:41 sagt uns, dass Gott wohl den Betenden und Mildtätigen wohl gewahr ist .

…(wohl gewahr) jener, die selbst wenn wir sie auf Erden in sicherer Position einsetzen, weiterhin beständig das Gebet verrichten und aus Milttä geben und das Tun dessen gebieten, was recht ist, und das Tun dessen verbieten, was unrecht ist; aber bei Gott liegt das endgültige Ergebnis aller Geschehnisse.

Wenngleich es noch eine Vielzahl solcher Koranstellen gibt, ende ich mit 98:5

und überdies, ihnen wurde nichts anderes geboten, als dass sie Gott anbeten sollten, aufrichtig in ihrem Glauben an Ihn allein, sich abwendend von allem, was falsch ist, und dass sie beständig das Gebet verrichten sollten; und dass sie aus Mildtätigkeit ausgeben sollten: denn dies ist ein mit immerwahrer Triftigkeit und Klarheit versehenes Moralgesetz.

In wenigen Minuten werden wir das Freitagsgebet verrichten. Wir könnten dafür genauso gut zu Hause bleiben und da beten, wo wir es immer tun, doch kommen wir hier zusammen, um das gemeinsam zu tun. Dabei senden wir jeder einzeln einen Ton, zart wie ein Faden und zugleich kraftvoll wie ein Seil, hell wie der lichte Tag und zugleich dunkel wie die tiefste Nacht, eifersüchtig, hartherzig, unumsichtig und gnädig zugleich. Unseren eigenen Ton, der sich manchmal Bahn bricht, entgegen unseren Wünschen und unserem Verstand. Manchmal ist es die reine Pflichterfüllung, die uns bewegt, in der Moschee zu beten, denn nicht immer kann der Mensch seine spirituellen, geistigen Ideale leben, und es gibt auch solche Pflichtmenschen, die dem Spirituellen wenig abgewinnen können, aber deren Ton stark und reißfest trägt. Jeder eigene Ton verbindet sich nun mit allen anderen Tönen in diesem Raum und alle zusammen

hallen hinaus ins Universum. Das Gebet hält uns nicht einfach zusammen als Gemeinde, sondern wir sind die Verkörperung der Schöpfung als Einheit. Indem sich unsere Einzeltöne miteinander verbinden, verbinden auch wir uns miteinander. Sure 62 Vers 9 erinnert uns: Oh Ihr, die ihr Glauben erlangt habt! Wenn am Tag der Gemeindeversammlung (also des Freitagsgebets) der Ruf zum Gebet ertönt, eilt zum Gedenken Gottes und lasst allen weltlichen Handel: dies ist zu eurem eigenen Wohl, wenn ihr es nur wüsstet. Und wenn das Gebet beendet ist, zerstreut euch freizügig auf Erden und sucht etwas von Gottes Huld zu erlangen; aber gedenkt Gottes oft, auf dass ihr einen glückseligen Zustand erlangen möget! Doch es kommt vor, dass wenn Leute einer Gelgenheit für weltlichen Gewinn oder eines vergänglichen Vergnügens gewahr werden, sie üerstürtzt dorthin eilen und dich stehen und predigen lassen. Sag: Das was bei Gott ist, ist weit besser als alles vergängliche Vergnügen und aller Gewinn! Und Gott ist der Beste der Versorger!“

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