Ja, welcher Islam gehört denn nun zu Deutschland?

Ja, welcher Islam gehört denn nun zu Deutschland?

Autor: Massud Reza

Christian Wiediger

Erinnert man sich – nur mal den letzten Jahren – an symbolpolitische Aussagen zurück, fällt einem wieder ein, wie undifferenziert und emotional die Debatten über sie geführt wurden. Ob es um das „Wir schaffen das“ (Angela Merkel) oder auch um den Satz „Der Islam gehört (nicht) zu Deutschland“ geht, sofort stürzen sich darauf bestimmte Politiker, Journalisten sowie affektierte Teile der Gesellschaft, die den Sachverhalt nicht in Ruhe und differenziert betrachten wollen.

Gerade die letzte Aussage „Der Islam gehört zu Deutschland“ oder „gehört nicht zu Deutschland“ erhitzt einerseits jene Gemüter, die den Islam nicht als Teil Deutschlands und Europas sehen (wollen) und ihm eine historisch-kulturelle Prägung Deutschlands sowie Europas gänzlich abstreiten. Andererseits verursacht die Zustimmung bei denjenigen, dass der Islam doch zu Deutschland gehöre, große Euphorie und damit ein einhergehender unkritischer Umgang mit dieser Frage. Deshalb versteht sich mein Blogbeitrag als gesellschaftlicher und auch innermuslimischer Debattenbeitrag, einfach mal sachlich, ruhig und nüchtern miteinander zu diskutieren, fernab von Pauschalisierungen und Beschuldigungen.

Tatsächlich müsste entscheidend sein, von welchem Islam wir überhaupt sprechen? Schaut man sich die islamische Welt von Marokko bis Indonesien an, so wird schnell deutlich, dass wir uns mit verschiedenen Islamverständnissen konfrontiert sehen. Der Islam in Bahrain ist nicht derselbe, wie der in Tunesien, der Islam in Afghanistan ist nicht derselbe, wie der in der Türkei. Lässt man den Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ unkritisch und unreflektiert stehen, kann jeder sein Islamverständnis darein projizieren. Dann könnte auch ein Islam dazugehören, wie er im Iran als Staatsdoktrin praktiziert wird, wo homosexuelle Menschen erhängt werden, weil sie eben homosexuell sind. Nicht nur der Iran, sondern auch anderen islamischen Ländern bieten (leider) genügend Beispiele für die Unvereinbarkeit zwischen der Religion auf der einen und Demokratie und Menschenrechten auf der anderen Seite. Im Kontrast dazu, sollte auch der andere Satz kritisch beleuchtet werden, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre. Dieser suggeriert, dass es eine grundsätzliche Inkompatibilität zwischen Islam und der Demokratie in Deutschland gibt.

Welche Herausforderung stellt sich aber nun für die Bundesrepublik Deutschland aus dieser Erkenntnis? Trotz der unterschiedlichen Vorstellungen in den eben aufgezählten Ländern darüber, was sie unter Islam verstehen, ergibt sich für uns als Gesamtgesellschaft folgende Frage: Welcher Islam gehört zu Deutschland, also verstanden als demokratie – und menschenrechtskonform? Ein Islamverständnis, was weder gegen Werte des Grundgesetztes noch der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte verstößt. Auch nicht ein Islamverständnis, welches in Teilen der muslimischen Community in Deutschland gelebt wird, was beispielsweise eine rigide Sexualmoral propagiert und Frauen an ihrer individuellen Freiheit und ihrer Selbstbestimmung hindert, und überhaupt ein Islam, der keinen politischen und gesellschaftlichen Machtanspruch darstellt.

Ein mit der freiheitlichen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland verträglicher Islam ist zum Beispiel durch eine historisch-kritische Lesart der sakralen Texte zu erreichen. Sowie es in allen heiligen Schriften Gewaltpassagen gibt, findet man sie auch in den islamischen Überlieferungen. Der Sinn dieser Texte ist aber dann schwer zu verstehen, wenn eine wortwörtliche Lesart angewandt wird, also die Übertragung der Gesellschaftsordnung aus dem 7. Jahrhundert auf das heutige 21. Jahrhundert. Man stellt sich nicht kritischen Fragen, in welchem historischen Kontext bestimmte Verse offenbart wurden, welche gesellschaftliche und auch militärische Faktoren gilt es in der (wissenschaftlichen) Retrospektive zu berücksichtigen und vieles mehr. Die gründliche Beschäftigung mit diesen Fragen würde zeigen, dass die politischen und juristischen Elementen des Islam im 7. Jahrhundert zu verorten sind, da sie an der damaligen, historisch-konkreten Zeit gebunden sind und nicht mehr ins 21. Jahrhundert mehr passen.

Argumentiert man nach diesem Konzept, schlägt einem häufig die Frage entgegen, was eigentlich dann vom Islam übrigbleibe? Das darf doch nicht wahr sein! Ist der Islam ausschließlich politisch-juristisch zu verstehen? Bietet er nicht viel mehr? Gibt es nicht sowas wie Spiritualität und soziale Seiten im Islam? Ist die sog. „Scharia“ ausschließlich als das Befolgen von (islamischen) Gesetzen zu verstehen oder nicht, wie der Islamtheologe Mouhanad Khorchide in seinem Buch Scharia. Der missverstandene Gott. Der Weg zu einer modernen islamischen Ethik schreibt: „Der Begriff Scharia bedeutet im Arabischen der Weg zur Quelle. Auf den Islam übertragen ist Scharia der Weg zu Gott, denn Gott ist die Quelle, er ist der Anfang und das Ende […]. Welcher Weg führt aber zu Gott? Ist das wirklich ein juristischer Weg? Oder anders gefragt: Wird der Weg, den Gott für uns vorgesehen hat, um in seine Gemeinschaft zu kommen, über juristische Regelungen und Kategorien definiert? […]. Die These, die ich in diesem Zusammenhang vertrete, lautet: Nicht der juristische Weg bringt uns Menschen in die Gottesgemeinschaft, sondern der ethische und spirituelle. Damit will ich keineswegs die islamischen Gebote und Verbote über Bord werfen; ich sehe diese aber auch nicht als Selbstzweck an, sondern sie sollen im weitesten Sinne der Glückseligkeit des Menschen im Diesseits und Jenseits dienen.“

Um zu der Ausgangsfrage zurückzukommen: Gehört der Islam zu Deutschland? Dazu gibt es zwei Antworten: 1. Nein, wenn der Islam nicht friedlich gelebt und politische sowie gesellschaftliche Machtansprüche stellt. 2. Ja, wenn der Islam historisch-kritisch kontextualisiert sowie entpolitisiert wird und dem Gläubigen in puncto Spiritualität und Soziales viel Kraft gibt. Differenzierung in dieser wichtigen Frage, die nicht wenige Menschen bewegt, würde uns allen guttun.

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7 أفكار عن “Ja, welcher Islam gehört denn nun zu Deutschland?”

  1. Gute Frage: Welcher Islam? Wenn es DEN Islam nicht gibt, sondern eine ganze Vielfalt von Islam-Auffassungen, dann möchte von dir ehrlich wissen: Wäre nachfolgender Islam a) eine halbe Sache, b) gar nix oder eher gar c) “schlimmer als Unglaube” oder etwa d) besser als der orthodoxe der 4 Rechtsschulen? Also, ich spreche von einem Islam
    – wo vom Koran nur der mekkanische Teil berücksichtigt würde
    – wo von den Ahadith nur noch die ethisch wertvollen beachtet würden
    – wo von der Schahada nur der erste Teil ausgesprochen würde;
    – wo von der Fatiha in den Ritualgebeten Vers 7 betr. Christen und Juden weggelassen würde
    – wo von der Zakat Armenspende gar nichts für die Bestechung (al muallafa qulubuhum) und die Terrorfinanzierung (fi sabil allah) abgezweigt würde
    – wo Ramadhan-Fasten nur fürs Essen gälte und Trinken gar empfohlen würde
    – wo Haddsch-Pilgerreisen auch mit anderen Zielen angerechnet werden, sofern sie der Besinnlichkeit dienen
    – wo der Dschihad explizit gegen innere falsche Neigungen nicht mehr kriegerisch wäre
    – wo Dawa, der Ruf zum Islam, auf fairem, offenem Dialog beruht
    – wo die Dua-Freitagsgebete keine Verfluchungen Anderer mehr enthalten.
    – wo die Takyia und Maarridh-Lehre zu Gunsten der Ehrlichkeit fallengelassen würde
    – wo die Dschizya nur allein Dienstverweigerer gälte und man die einhergehenden Erniedrigungen und Demütigungen fallen lassen würde
    – wo ein Muslim theoretisch und praktisch auch die Religion seiner nicht-muslimischen Ehefrau annehmen kann und die Kinder dann nicht Saifullah und Aischa etc. heissen müssen
    – wo man kein Takfir (jemand des Unglaubens bezichtigen) betreiben würde, ein solches Wort gibts ja in anderen Sprachen auch nicht.
    – wo man für die Heirat von Frauen ein verbindliches Mindestalter festliegt
    – wo vor Verwandtenheirat, wenn er sich da hineinmischen will, abgeraten wird
    – wo man Essensvorschriften nicht mehr beibehalten will
    – wo die islamische Theologen sich vorurteilsfrei über andere Religionen Islam informieren?

    Was meinst du? Deine ehrliche Meinung ist mir wichtig! Alles ist aufschlussreich.

  2. Wenn die über 50 islamischen Länder und ihre jeweiligen Islamverständnisse untereinander so unfassbar divers sind, dann ist es ja um so bemerkenswerter, dass sie sich in der Kairoer Erklärung der Menschenrechnte alle einstimmig auf ein Dokument einigen konnten.
    Man kann schon auf die Idee kommen, dass etwas, worauf sich die gesamte islamische Welt einstimmig einigen kann, etwas mit “dem” Islam zu tun haben muss. Man könnte sogar die Vermutung hegen, dass etwas, worauf sich die gesamte – ansonsten angeglich unfassbar diverse – islamische Welt einstimmig einigen kann, die Essenz des Islam darstellt.
    Die Kairoer Erklärung der Menschnrechte stellt nun unmissverständlich klar dass die Menschenrechte selbstverständlich nicht fraglos gelten sondern nur, wenn sie der Scharia nicht widersprechen. Sie stellt unmissverständlich klar, dass Männer und Frauen selbstverständlich nicht gleichberechtigt sind, weil Männer nämlich mehr wert sind als Frauen.
    Das ist die ausdrückliche einstimmige Beschlusslage der gesamten islamischen Welt.
    Die Gelehrten streiten sich ja noch, ob muslimischer Terrorismus etwas mit dem Islam zu tun hat. Als geklärt kann gelten, dass ein rückhaltloses Bekenntnis zu den Menschenrechten rein gar nichts mit dem Islam zu tun hat.
    Wenn man das anders sieht, dann müsste man zumindest eigens begründen, warum die gesamte islamische Welt den Islam offenbar vollkommen falsch verstanden hat.

  3. Kommentare mit wahren Aussagen zur ausdrücklichen, einstimmigen Beschlusslage der gesamten islamischen Welt in der Kairoer Erklärung der Menschenrechte werden auf Kübra Gümüsays Blog übrigens genau so wenig freigeschaltet wie auf Eurem.

    Was immer das heißen mag.

  4. Liebe Stephanie,

    Vielen Dank für Ihre Nachricht. Und nein, wir schalten Kommentare frei, solange sie nicht diffamierend oder bedrohend sind. Aus zeitlichen Gründen konnte ich nicht eher antworten, aber jetzt hier meine Antwort:

    Ich habe nicht bestritten, dass die islamische Welt nichts mit dem Islam zu tun hat. Wenn ein Islamverständnis mit der Überlieferung begründet werden kann und die islamische Welt das auch für ihr jeweiliges Islamverständnis kann, dann streite ich doch mitnichten der islamischen Welt ab, dass sie nichts mit der Religion zu tun haben. Was ich lediglich sage, ist, dass es eine große Pluralität auch innerhalb der islamischen Welt gibt. Dies können Sie z.B. daran sehen, dass es auf der Verfassungsebene bereits Verbesserungen für die Lebenssituation von Frauen in Tunesien gibt und viele weitere Beispiele. Die Pluralität können Sie auch anhand von muslimischen Intellektuellen feststellen, die wir auf unserer Homepage wöchentlich vorstellen. Viele von Ihnen sind/waren ebenfalls in der islamischen Welt beheimatet, daher verwehre ich mich des fatalen Eindrucks, dass doch alles angeblich gleich sei.

    Und eine Sache noch: Sie sprachen die Mehrheit der islamischen Länder an. Die Menschheitsgeschichte hat oft genug gezeigt, dass die Mehrheit auch auf dem Holzweg liegen kann, daher ist das für mich kein plausibles Argument dafür, dass man den Islam nicht anders leben kann. Dass die islamischen Ländern zu ihrem jeweiligen Islamverständnis kamen, hat historisch-gesellschaftliche Ursachen, die man spezifisch bei den einzelnen Ländern untersuchen muss. Schließlich gab es historische Epochen, in der es auch eine kulturelle Öffnung seitens der islamischen Welt gab.

    Ich hoffe, dass ich Ihnen damit weiterhelfen konnte und wünsche Ihnen noch eine schöne Woche.

    Freundliche Grüße
    Massud Reza

  5. Lieber Herr Zaugg,

    Ich danke Ihnen für Ihren Kommentar und möchte mich vorweg für die späte Antwort entschuldigen, da ich aus zeitlichen Gründen leider nicht dazu kam.

    Nun aber zu Ihrer Anfrage: Ob der Islam, den Sie mit den aufgezählten Punkten erwähnt haben, überhaupt Islam sei (so fasse ich ihre Fragen von a – d mal zusammen), müssen Sie denjenigen fragen, der einem solchen Islamverständnis folgt. Sofern er sein Islamverständnis mit der islamischen Überlieferung nachvollziehbar begründen kann, wird das wohl auch was mit dem Islam zu tun haben. Es darf doch eben nicht aus dem Blickfeld geraten, dass wir keine absolute, weltliche Autorität in Glaubensfragen haben, die uns in letzter Instanz sagt, was der Islam ist.

    Freundliche Grüße und Ihnen noch eine schöne Woche!

    Massud Reza

  6. Lieber Massud Reza,
    und ich habe weder die Pluralität bestritten, noch dass auch die Mehrheit irren kann.
    (Wobei “Mehrheit” hier die Tatsachen bereits verwässert, denn wir reden bei diesem Beispiel nicht über eine Mehrheit sondern über Einstimmigkeit.)
    Dass die gesamte islamische Welt den Islam vollkommen falsch verstanden hat, ist selbstverständlich theoretisch und vermutlich auch praktisch nicht ausgeschlossen. Ich finde nur, dass ist ne steile These, die
    1) es erstens verdient, mal ausdrücklich so festgehalten zu werden; die Kairoer Erklärung ist seit immerhin 30 Jahren in der Welt
    und nichts deutet darauf, dass ihre Tage gezählt sein könnten.,
    und
    2) zweitens einer eigenen Begründung bedarf.

  7. Nachtrag
    Dass ein konkretes Islamverständnis (zum Beispiel das Kairoer) nur eines von vielen ist, ist keine inhaltliche Widerlegung, sondern eine banale Beobachtung.
    Eine Beobachtung, die zudem für jedes andere Islamverständnis auch gilt; zum Beispiel für Eures; oder das des IS.
    Eine inhaltliche Widerlegung wäre etwas in der Art
    “Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte ist falsch / unislamisch, weil
    a
    b
    c …”

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