Die Moschee und ich

Die Moschee und ich

von Barbara Sichtermann

Wie es im Juni war

Ich saß in meinem Arbeitszimmer, das zur Straße Alt-Moabit hinausgeht und schrieb an meiner Deutschlandfunk-Sendung „Das Private wird wieder politisch. Migration und Frauenbilder“. Beim Schreiben war mir klar geworden, dass, wer immer Integration fördern und für die Freiheit aller Frauen hierzulande kämpfen will, nicht darum herumkommt, sich mit Fragen der Religion zu beschäftigen. Sei es der Islam, sei es das Christentum, gefordert ist eine neue Toleranz-Debatte, wie es sie im 18. Jahrhundert schon einmal gab – die Religionen müssen einander gelten lassen.

Plötzlich hörte ich von der Straße her Tumult: Sirenen, Aufläufe, Rufe. Ich lief hinaus, schaute nach und erfuhr, dass direkt in meiner Nachbarschaft, nur ein Haus weiter, auf dem Gelände der protestantischen St. Johannes-Kirche die Gründung einer liberalen Moschee stattfand. Sie heißt Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, ist die Frucht einer Initiative der Juristin und Feministin Seyran Ates und soll Muslimen aller Glaubensrichtungen, aber auch Christen, Juden und anderen, selbst Atheisten wie mir, eine Stätte der Besinnung und des Austausches bieten. Und das Interessanteste: Frauen sollen kopftuchfrei in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee beten können, neben den Männern anstatt in einem Extra-Raum, und sie sollen als Imaminnen tätig sein.

Ich dachte für mich: Das ist ja ein Zeichen. Und ging nach Hause und beschloss, meine Sendung umzuschreiben: Am Anfang sollte der Hinweis auf die Moscheegründung stehen. Ich bearbeitete den Text entsprechend und fand, dass er durch diese Verknüpfung mit hoffnungsvollen Ansätzen in der Wirklichkeit viel gewonnen hatte. Dann las ich nur wenig später in der Zeitung, dass aus Kairo eine Fatwa auf die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee niedergegangen war. Sie müsse umgehend geschlossen werden, da sie gar keine richtige Moschee sei. Andersgläubige seien keinesfalls zuzulassen und Frauen dürften nimmermehr als Vorbeterinnen auftreten. Ich fürchtete sogleich um meine Sendung. Sollte ich den neuen Anfang nicht lieber wieder streichen? Vielleicht würde es die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee zum Zeitpunkt der Ausstrahlung gar nicht mehr geben.

Aber ich ließ alles wie es war. Der Hinweis auf die Gründung einer liberalen Moschee in Berlin-Moabit sollte meinen Radiotext einleiten und beschließen, was immer aus ihr würde. Als „Migration und Frauenbilder“ dann im Juli lief, gab es die Moschee noch. Inzwischen zählt sie täglich mehr Besucher. Dass sie in ihrer Existenz bedroht ist, kann ich als Nachbarin sozusagen hautnah spüren. Aber auch, dass wir uns gegen diese Bedrohung stemmen müssen.

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