Ramadan – eine Rückbesinnung auf das Leben

01.04.2022

Ramadan – eine Rückbesinnung auf das Leben

 

 

Der kommende Monat Ramadan ist eine besondere Zeit der Verbundenheit des Gläubigen mit Gott, seinem Schöpfer. Es ist eine Zeit der Reinigung von Körper und Seele. Es bedeutet auch, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und ich finde das Wesentlichste ist aber auch das Leben selbst. Dazu gehört eine Rückbesinnung auf Gott und damit auf die Beziehung zu Ihm, auf Sein Wort, dem Koran, auf die Stärke einer Gemeinschaft und sehr wichtig, auf eine Selbstreflexion. 

Wir lesen im Koran, denken über das Gelesene nach, führen religiöse Handlungen aus und feiern das Ende des Tages mit Angehörigen und Freunden. Neben der Lektüre des Korans könnte ich auch ein Buch empfehlen, das kürzlich herausgekommen ist, das Buch: „Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näherkommen“ von Navid Kermani. Schon der Titel sorgte bei mir für Neugier: ‚Von da ein Schritt näher!‘ Das klang in meinen Ohren echt interessant und versprach Tiefgreifendes. 

Die Hauptthemen beziehen sich auf ‚Fragen nach Gott‘. Gute Antworten darauf könnten für manche Muslime mehr oder weniger kompliziert sein, aber Kermani bringt das meiner Meinung sehr verständlich herüber.  Er hat zwar seiner Tochter das Buch gewidmet, hat aber höchstwahrscheinlich allen, die nach Wissen streben, im Blickpunkt gehabt. Auf alle Fälle machte mir das Lesen großen Spaß und ich war des Öfteren überrascht, mit welcher Leichtigkeit er so manches erklärte. Ich spürte beim Lesen förmlich den Stolz auf sein Muslimsein.

Rückbesinnung auf das Leben würde ich in Beziehung zum Titel des Buches setzen: Ein Näherkommen, Zusammenrücken, ein Auseinandersetzen, ein Akzeptieren anderer, also das Verhalten eines Menschen, aber auch einer Gemeinschaft, das Gott uns durch den Koran ans Herz legt, steht damit in Verbindung zu Gott, zum Koran. 

Das Buch überspannt als eine Art Brücke die unterschiedlichen Richtungen in der Religion. Es spricht nicht von den Sunniten oder von den Schiiten, sondern von den Muslimen als eine Gemeinschaft von Glaubenden an Gott, denn als der Koran gesandt wurde, gab es noch keine Trennung in verschiedene Strömungen. Diese sind menschengemacht.

Ich habe oft das Empfinden, dass ich vieles im Koran als ziemlich kompliziert betrachte. Ich meine damit, man muss sich ziemlich tief und intensiv mit der Bedeutung beschäftigen. Aber gerade, wenn etwas für einen Jugendlichen erklärt wird, führt es auf das Einfache, Verständlichere zurück.

Aber ich will nicht behaupten, dass alles im Koran schwierig zu verstehen ist. Viele Verse aus dem Koran sind relativ einfach geschrieben. Schauen wir uns den Vers 19 aus der Sure Al-Mulk – Die Herrschaft“ an. Da heißt es: „Sehen sie nicht die Vögel über ihnen, mit ausgebreiteten Flügeln, und sie ziehen sie ein? Nichts hält sie fest, außer dem Erbarmer, Er hat ja alles im Blick.“ An diesen Vers denke ich oft, wenn ich Vögel beobachte, wie sie mit einigen Flügelschlägen majestätisch ihre Kreise ziehen. Ich genieße einfach ihren Flug, um dann auf die Bedeutung einzugehen, dass Gott, das Gleichgewicht der Vögel in der Luft zu halten, eigentlich auf seine ganze Schöpfung angewendet hat. Gott hält also unser Leben im Gleichgewicht. Und darüber sollten wir gerade im Ramadan nachdenken. ‚Von da einen Schritt näherkommen‘ – ich verstehe das auch als Zusammenrücken, einander besser verstehen, Rücksicht nehmen, Respekt vor anderen. Sollte es nicht nur im Ramadan so ein?  Was ist da kompliziert dran? Vielleicht gehen wir einfach nur falsch vor, wenn wir im Koran lesen, übersehen oder überlesen etwas oder halten uns nur an das von orthodoxen Gelehrten Vorgegebene. 

Aber denken wir mal weiter: Das Gleichgewicht unserer Erde, von dem Gott sprach, gab es schon vor Tausenden Jahren. Und nicht vergessen! Gott hat uns zu Seinen Stellvertretern gemacht und was haben wir heute aus seinem Geschenk gemacht? Ein Ungleichgewicht der Natur! Darüber denkt mal auch im Ramadan nach! Nein, Gott wird uns da nicht aus der Patsche helfen, Er hat uns ja mit Seiner Schrift gewarnt, das müssen wir, und zwar gemeinsam lösen.

Und vor allen Dingen müssen wir auch daran denken, dass Gott die Menschen vor rund 1400 Jahren angesprochen hat, aber seine Aussage auf heute beziehen. Das heißt: Wenn wir jeden Vers im Koran verstehen wollen, müssen wir uns auf den neuesten Stand in der Wissenschaft bringen, wie z. B. in der 51.Sure ad-Daryat – Die Aufwirbelnden“, Vers 47: Da heißt es:“ Und den Himmel haben Wir mit Unserer Kraft erbaut, und siehe, wie Wir ihn reichlich geweitet haben:“ Das ist hochwissenschaftlich, denn wir wissen noch nicht lange, dass das Weltall expandiert, sich also weitet. Ist das nicht toll, solches Wissen aus dem Koran, der vor langer Zeit gesandt wurde zu erfahren? Der Koran als Zeitkapsel? So bleibt er ewig lebendig.  So hat jede einzelne Epoche ihren ‚neuesten‘ Stand. 

Gerade durch verschiedene Verse im Koran habe ich begonnen, mich intensiver mit den Wissenschaften zu beschäftigen. Es ist doch interessant zu wissen, dass die hohen Gebirge genauso ihre kilometertiefen Wurzeln haben als Gegenstück, wie die Wurzeln der Bäume. In der 78. Sure „An-Naba – Die Ankündigung: Vers 6-7 heißt es: „Haben wir nicht die Erde zu einem Lager gemacht und die Berge zu Pflöcken?“ Genauso der 12.Vers der 65.Sure „at-Talaq – Die Scheidung“: „Allah ist es, Der sieben Himmel erschaffen hat und von der Erde ebenso viel.“   Heute wissen wir, dass die Erde aus diesen Schichten besteht: die flüssige und feste Lithosphäre, die Asthenosphäre, der obere Erdmantel, der untere Erdmantel, der äußere Kern und der innere Kern.

Aber kommen wir wieder zurück auf das Buch von Kermani. Ich möchte etwas daraus vortragen: ‚Die Geschichte, so wie ich sie für mich verstehe, erzählt gar nicht von der Opferung des Sohns (Abraham). Sie erzählt von der Abschaffung des Menschenopfers. Die Treue zum Himmel steht nicht dem Leben auf Erden entgegen und die Entscheidung für Gott darf nie mehr eine Entscheidung gegen einen Menschen sein. Das heißt: Prophetie bedeutet nicht, einen besseren Charakter zu haben, sondern mehr zu sehen. Es bedeutet, das Schicksal der gesamten Menschheit in einer einzigen Seele zu fügen. „Wenn ihr wüsstet, was ich weiß, ihr würdet wenig lachen und viel weinen“, sagte Muhammad. Auch Abraham musste erst werden, was er am Ende für die Juden, Christen und Muslime war…‘

Das Buch hat mich in vielerlei Hinsicht in Erstaunen gesetzt, mit seiner Einfachheit auf die Menschen und ihre Religion einzugehen und damit zum Nachdenken anzuregen. 

Mit seinem Buch will er etwas gegen das religiöse Unwissen tun, so wie ja auch unsere Moschee. In einem Gespräch meint er: Unsere ganze Kultur, die Literatur, die klassische Musik bis hin zur Architektur und zur Sprache, das hat viele religiöse Wurzeln. Und ich meine, das wären doch gute Gedanken gerade im Ramadan, wenn man in sich geht oder mal tiefer um sich schaut. 

Das Buch stellt, wie schon gesagt, eine Brücke als Verbindung zwischen Menschen und einzelnen Richtungen im Islam und für mich auch zu anderen Religionen dar, auf der man sich treffen und näherkommen darf, also ein Zusammenrücken. Somit kann jeder von da, wo er ist, einen Schritt näherkommen. Seine Worte dazu lauten: Dieser Himmel (das Paradies) ist nicht über uns, sondern in uns, und die Hölle ebenso. 

Warum ich gerade heute dieses Buch vorstelle, fragt ihr euch vielleicht?

Die kommende Zeit des Ramadan ist eine Zeit des Friedens, die wir mit allen Menschen in Ruhe, Freundschaft, Eintracht und Harmonie, in Achtung und Respekt voreinander verbringen möchten. Diesen Frieden möchte auch unsere Moschee  teilen mit den verschiedenen Richtungen im Islam, mit den Geschwisterreligionen unter Gott und mit allen anderen Menschen, die in Frieden leben wollen, mit Menschen wie du und ich. 

Die Mitglieder meiner Moschee, wie auch ich wollen deshalb alle einladen, mit uns an einem Tisch zu sitzen. Hat nicht Gott uns alle eingeladen, an einem Seil festzuhalten? Das drückt am besten die 3.Sure „Al-`Imran – Das Haus `Imran“ Vers103 aus. Er weist auf die Zeit in Yasrib vor dem Islam hin, als sich die Stämme noch feindlich gegenüberstanden: „Und haltet alle fest am Seil Allahs und geht nicht auseinander! Und gedenkt Allahs Gunst an euch, als ihr Feinde wart und Er dann eure Herzen zusammenführte, worauf ihr durch Seine Gunst Brüder wurdet. Das ist doch leicht zu verstehen!

Auch noch heute ist die islamische Religion in verschiedene Richtungen zersplittert, statt in Einigkeit zu diskutieren und zu leben. 

Dieses Band eines humanistischen und liberalen Islam möchte unsere Gemeinde wieder aufleben lassen und ladet dazu alle Menschen ein. Wir wollen friedlich miteinander umgehen, nicht nur im Ramadan, sondern zu allen Zeiten; mit ihnen auf einer harmonischen, gemeinschaftlichen Ebene diskutieren, verstehen und feiern, eben leben.    Es geht uns darum, über den eigenen Tellerrand hinwegzusehen und nicht nur während der Ramadan- Zeit, sondern immer.

Als Abschluss nun die Fabel im Ganzen: Als Scheich Abu Said, einer der berühmtesten Mystiker des 11. Jahrhunderts, einmal nach Tus kam, einer Stadt im Nordosten des heutigen Irans, strömten in Erwartung seiner Predigt so viele Gläubige in die Moschee, dass kein Platz mehr blieb. „Gott möge mir vergeben“, rief der Platzanweiser: „Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen.“ 

Da schloss der Scheich die Versammlung, bevor er begonnen hatte. „Alles, was ich sagen wollte und sämtliche Propheten gesagt haben, hat der Platzanweiser bereits gesagt, “ gab er zur Erklärung, bevor er sich umwandte und die Stadt verließ.

Noch eine Anmerkung: Das Erzbistum Berlin hat ein Grußwort zum Ramadan an die muslimischen Geschwister gesendet. Darin heißt es unter anderem: Frieden ist alles andere als selbstverständlich. Frieden ist Geschenk und täglicher Auftrag zugleich. Und das gilt für alle Menschen, ob sie in Russland, in der Ukraine, irgendwo in Europa oder sonst auf der Welt wohnen. Frieden ist das höchste Gut, was uns Gott geschenkt hat und danach müssten alle Menschen streben und umsetzen.

Manaar

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