Muhammad und die Anfänge der Offenbarungen

27.03.2020

Muhammad und die Anfänge der Offenbarungen

 

Wenn wir den Koran lesen, stoßen wir unweigerlich auf historische Gegebenheiten.

Wir stellen fest, dass sie auf Ereignisse aus dem Alten Testament zurückgreifen. Überall im alten Arabien gab es neben den Stämmen, die an viele Götter glaubten, auch jüdische und christliche Stämme, die nebeneinander lebten und in Kontakt miteinander kamen. So darf man voraussetzen, dass viele biblische Inhalte allgemein bekannt waren.

     Mir wurde in der Anfangszeit meines Muslimdaseins oft gesagt, dass Muhammad keine Praxis der sogenannten ‚Ungläubigen‘ ausübte, sich lieber absonderte. Aber das kann ich mir nicht vorstellen, denn Muhammad war in seiner Gemeinschaft bekannt und geachtet, er konnte sich bestimmt nicht den gemeinschaftlichen Aktivitäten entziehen. Sicher hat er sich später immer mehr auf den Berg Hira zurückgezogen und dort verstärkt meditiert, was aber eine Handlung mit Tradition, dementsprechend bei anderen Menschen zu jener Zeit verbreitet war. 

      Umso schlimmer muss er zu Tode erschrocken reagiert haben, als ihn eines Nachts ein Engel von Gott besuchte.

   Im Jahr 610 in Mekka erklärte Muhammad, dass das Göttliche zum ersten Mal mit ihm in Kommunikation getreten sei, dass er eine Botschaft von Gott empfangen habe und aufgefordert worden sei, diese Botschaft weiterzugeben.

    Nun, wir kennen die Situation aus Hadithen und auch der Koran selbst spricht davon. Dieses Zwiegespräch zwischen einem Boten des Göttlichen und Muhammad finden wir in den ersten 5 Versen der 96. Sure“ Al-Alaq“. In den frühen Versen wird der Überbringer nicht als ein bestimmter Engel bezeichnet, sondern einfach als Engel oder Geist ’ruh‘ bezeichnet.

    Erst später wird der Überbringer dieser Botschaft in der 2. Sure „Al-Baqara“ als Gabriel bezeichnet. Im 97. und 98. Vers heißt es: „Sprich: Wer auch immer Gabriel zum Feind nimmt- denn er hat ihn (den Koran) auf dein Herz herabkommen lassen mit der Erlaubnis Gottes als Bestätigung dessen, was vor ihm vorhanden war und als Rechtleitung und frohe Botschaft für die Gläubigen. Wer auch immer ein Feind wurde gegen Allah und Seine Engel und Seine Gesandten und Gabriel und Michael,  so ist wahrlich Allah den Ungläubigen ein Feind.“

   Aber zurück zu der ersten Bekanntschaft mit dem Engel: Das allererste Wort lautete: ‚iqra‘ und wird meist mit ‚lies‘ übersetzt. Doch es gibt noch kein Buch aus dem vorgelesen werden kann. Besser wäre ‚trage vor‘. Erst nach der 3. Aufforderung fügte Muhammad sich, als der Engel die nächsten 5 Verse vortrug: „Rezitiere im Namen deines Herrn, der erschaffen hat, den Menschen erschaffen hat aus einer Keimzelle! Rezitiere, denn dein Herr ist allgütig. Der mit dem Schreibrohr lehrt, lehrt den Menschen, was er nicht wusste.“ Abu Zaid, ein ägyptischer Koran- und Literaturwissenschaftler, gest.2010, meint: „Neben einer Art Selbstcharakterisierung des Herrn, der hier noch nicht Gott genannt wurde, enthalten die 5 Verse keine weitere Botschaft. Der Auftrag des Engels war nur zu verkünden: Hier ist dein Herr, der dich erschaffen, der dich unterrichtet und das gesamte Universum geschaffen hat.“ Es ist, als wenn sich jemand vorstellt. Diese Verse verraten nicht, was eigentlich Mohammad vortragen soll.

     Aber was sollen sie denn bedeuten? Abu Zaid, ein Koran- und Literaturwissenschaftler, 2010 gestorben, meint: „Es geht darum, in seinem, also Gottes Namen zu rezitieren.“ Ich denke, diese Erkenntnis ist wichtig. Diese erste Offenbarung galt noch nicht Muhammad als Botschafter oder Gesandter, denn es wurde ihm noch keine Botschaft aufgetragen, die er verkünden sollte. Muhammad wird einfach nur als eine dem Allmächtigen besonders nahestehenden Person angesprochen, als Prophet.

    Muhammad war nach diesem ersten Treffen sehr verunsichert, er hatte Angst und auch Zweifel an dem, was ihm widerfuhr.   Er wandte sich deshalb an Personen, die ihm nahestanden, an Khadija und an den Vetter von ihr, dem Christen Waraqa ibn Naufal, um Beistand und Rat. Sie stärkten ihn und bestätigten ihn als Gottes Prophet.

    Manche haben ihm sicherlich zugehört und waren beeindruckt, die meisten  belächelten oder schmähten ihn wohl.   Daraufhin erhielt er eine neue Vision als eine Art Antwort auf die Reaktionen seiner Zuhörer.

    Erst ab diesem zweiten Treffen bekommt er die Bedeutung eines Gesandten, dessen Aufgabe es ist, die Menschen zu warnen und sie aufzurufen, den rechten Weg zu gehen. Diese Botschaft befindet sich in der Sure 74: „1. Der du dich zugedeckt hast, 2.  steh auf und warne, 3. und preise die Größe deines Herrn, 4. und reinige deine Kleider, 5. und entferne dich von den Götzen, 6. und poche nicht auf dein Verdienst, um mehr zu erhalten, 7. und sei geduldig, bis dein Herr sein Urteil fällt. 8. Wenn dann in das Horn gestoßen wird, 9. dann ist es an jenem Tag ein schwerer Tag, 10. Für die Ungläubigen nicht leicht.“

     Die meisten Mekkaner hatten andere Erwartungen an eine göttliche Botschaft, vielleicht mindestens durch das Erscheinen eines Engels. Das hatte aber Muhammad nicht zu bieten. Die Sure Al -Furqan – Die Unterscheidung: 25:6-7 „Sprich: ‚Er, Der das Verborgene von Himmel und Erde kennt, hat ihn (den Koran) herabgesandt. Er ist wahrlich allverzeihend, barmherzig‘. Und sie sagen: ‚Was ist mit diesem Gesandten? Er isst und geht auf den Märkten umher. Warum ist nicht ein Engel zu ihm herabgesandt worden, dass er als Warner mit ihm sei? Oder warum wurde ihm kein Schatz übergeben, oder warum hat er keinen Garten, von dem er isst?‘ Und die Ungerechten sagen: ‚Ihr folgt nur einem Mann, der einem Zauber zum Opfer gefallen ist.‘“

   Nun kann er auf die Sticheleien und ungläubigen Fragen antworten.  Geduldig wird er ihnen wohl erwidert haben: „Ich bin ein Warner, ich habe eine göttliche Botschaft erhalten, die ich euch überbringen soll: Der Tag des Jüngsten Gerichts ist nah, macht euch bereit und verneigt euch vor eurem Herrn.“ Warnung und Mahnung zum Bereuen, das ist von Anfang an die zentrale Botschaft des Koran.  

    Gott hat eine ihm nahestehende Person auserwählt und ihm einen Auftrag erteilt, die Menschen zu warnen.  

     Betrachten wir zunächst seine Umgebung, die Gesellschaft um Muhammad. Das gesellschaftliche Leben wurde durch Stammesstrukturen geregelt, die das Funktionieren einer städtischen Gemeinschaft wie zum Bespiel in Mekka garantierten.

     Vor diesem Hintergrund mag sich eine Gruppe von religiösen Einzelgängern entwickelt haben, die in den arabischen Quellen Hanifen „Gottsucher“ genannt wird. Dieser Gruppe könnte vielleicht auch Muhammed angehört haben.

     Sein Stamm der Quraischiten, er gehörte in Mekka zu den führenden politischen Gruppen, verstand sich in direkter Nachkommenschaft von Abrahams Sohn Ismael. Daraus leiteten sie die Pflicht ab, das Heiligtum der Kaaba zu beschützen.

    Innerhalb des Stammes genoss der Einzelne absoluten Schutz. In dieser Umgebung wuchs Muhammad, der mit 6 Jahren Vollwaise wurde, auf, zuerst bei seinem Großvater, später bei seinem Onkel Abu Talib, der das Oberhaupt der Sippe der Häschim war. Von dieser Situation berichtet später der Koran in der 93. Sure: Verse 6-8: „Hat Er dich nicht als Waise gefunden und dir Unterkunft besorgt und dich abgeirrt gefunden und rechtgeleitet und bedürftig gefunden und reich gemacht?“

Zwischen den einzelnen Stämmen gab es nicht selten heftige kriegerische Auseinandersetzungen, man hatte sich aber auf eine gewisse Zeit der Waffenruhe geeinigt. Damals fanden in Mekka mehrmals im Jahr Wallfahrten statt und es gab zahlreiche Feste und Jahrmärkte. Während dieser Zeit herrschte unter den Polytheisten ein ‚Gottesfriede‘, und die Pilger konnten in dieser Zeit ungestört Handel treiben und Kontakte pflegen. Die Bewohner von Mekka profitierten wirtschaftlich von dieser Situation.

      Zunächst fand die Botschaft in Mekka wenig Anklang. Muhammads erste Anhänger waren seine Frau Chadidscha und sein junger Vetter und späterer Schwiegersohn Ali. Etliche Angehörige der unteren sozialen Schichten, Handwerker und Freigelassene äthiopischer oder byzantinischer Herkunft und Christen aus Äthiopien und auch Angehörige aus weniger einflussreiche Familien gehörten bald zu den Anhängern von Muhammad.

   Die meisten Mekkaner jedoch bestritten die Echtheit von Muhammads göttlicher Sendung. Sie warfen ihm vor, er sei bloß ein Dichter, der unter dem Einfluss von Dämonen stehe. Man lehnte den Propheten aber auch deshalb ab, weil sie wirtschaftliche Einbußen bei Abnahme des Pilgerstromes befürchteten.

    Von da an entstand ein regelrechter Offenbarungsprozess, der bis zu seinem Tod insgesamt 23 Jahre dauerte. In den Offenbarungen wird Muhammad von Gott angesprochen, widersprochen, sogar manchmal von Gott kritisiert oder Geschehnisse spiegeln sich in den Versen wider. Es ist ein kommunikativer Prozess, der auf Dialog, Argumentation, Diskussion, Auffordern und Überzeugen beruht. Er richtet sich manchmal speziell an Einzelpersonen, an kleinere Gruppen oder kommuniziert mit einem ganzen Volk, meistens aber mit Muhammad, der weitervermitteln soll.

    Es entsteht eine sehr umfassende und komplexe Form der Kommunikation zwischen Gott und dem Menschen, jedem Menschen, so auch uns heute. Vielleicht könnte es so zugegangen sein: Gott spricht durch Vermittlung des Engels zu Muhammad, der die Worte an seine Zuhörer weitergibt. Diese wiederum stellen Fragen, äußern Zweifel oder Spott, sind einfach gleichgültig oder verneinen alles. Eine weitere Offenbarung folgt vielleicht mit Antworten von Gott auf gestellte Fragen. So entsteht ein Dialog zwischen Gott und den Menschen durch Muhammad als Vermittler. Dabei richtetet sich jede Herabsendung wie schon gesagt an eine bestimmte Gruppe oder Person.

     Wenn man etwas über die Persönlichkeit des Propheten wissen will, dann geben neben dem Koran auch die Hadithe über ihn Auskunft. Man könnte ihn vielleicht so beschreiben: sehr anständig, gesellig, umgänglich, ruhig: Eigenschaften, die notwendig sind, wenn man sein Volk von etwas überzeugen will. Er war zuverlässig, vertrauenswürdig, denn man nannte ihn den al-Amin – der Zuverlässige. Alles zusammen ist ein Hinweis auf seine kommunikativen Fähigkeiten, ohne die er kein Vertrauen auf seine Persönlichkeit als Mensch und Prophet und später als Führer einer neuen Gesellschaft bekommen hätte.

    Was für eine Entwicklung seiner Persönlichkeit: Als sich die erste Offenbarung ereignete, war er zunächst ein spiritueller Suchender – es überwog noch seine eigene innere Religiosität – als Kaufmann ein nachdenkliches, dennoch praktisch denkendes und erfolgreiches Mitglied eines mekkanischen Stammes. Später kamen praktische Aufgaben und soziale Verantwortlichkeit eines Anführers einer Gemeinde hinzu. Seine tief empfundene Religiosität und soziales und politisches Geschick machten ihn zu dem Führer einer neuen Religion und Gesellschaft.

    Während der ersten Jahre in Mekka als Übermittler Gottes verstand er seinen Gottesauftrag noch nicht so, als solle er eine neue Religion gründen. Im Vordergrund stand immer noch die Gemeinsamkeit mit den beiden abrahamischen Religionen. Sie verstanden sich als ‚das Volk der Schrift‘. In vielen Versen des Koran steht geschrieben, dass Muhammad die alte Botschaft, die schon vorher an die Juden und Christen gegangen war, jetzt wieder empfangen und den Arabern zu übermitteln hat. Das können wir aus der Sure10: 94 herauslesen. „Und wenn du über das, was Wir dir hinabsandten, im Zweifel bist, dann frage diejenigen, welche die Schrift vor dir lasen. Wahrlich, zu dir ist die Wahrheit von deinem Herrn gekommen, darum sei kein Zweifler.

    Dieser Vers soll die eigenen Zweifel an seiner Aufgabe als Prophet entkräften, wenn er die Juden und Christen befragen würde, sie sozusagen als Zeugen vorhergehender Mitteilungen von Gott annehmen würde. Viele Erzählungen, Hinweise, Warnungen aus dem Alten Testament finden wir auch deshalb im Koran wieder. Dieser Vers bezeugt ein relativ stabiles Miteinanderleben dieser 3 Religionen.

    Lediglich das Miteinanderleben mit den Polytheisten wurde immer schwieriger, da die junge muslimische Gemeinschaft Anfeindungen und Verfolgungen ausgesetzt war, bis Muhammad und seine Anhänger sich im Jahr 622, der Hidschra, ein neues Zuhause in Yathrib suchen mussten. Die jüdischen Stämme luden ihn zuerst vorrangig als Vermittler zwischen ihnen ein. Mit der Hidschra, zu Deutsch: ‚Ausreise‘, beginnt die neue muslimische Zeitrechnung. In Yathrib, das später Medina, die „Stadt des Propheten“ genannt wird, lebten neben Polytheisten und Juden auch erste Muslime.

     In Medina ändert sich auch der Charakter der Offenbarungen. Sie sprechen nun zu einer festen Gemeinde, in der öffentlich gebetet wird, in der sich ein neues Rechtssystem dieser kleinen Gemeinde immer deutlicher an den Koran anlehnt.

    Muhammad erhoffte sich nun auch Unterstützung durch die jüdischen Stämme, indem er mit ihnen einen Vertrag schloss, den wir heute ‚die Charta von Medina‘ nennen. Für ein gutes Zusammenleben so unterschiedlicher Gruppen musste allerdings zuerst eine rechtliche und verbindliche Übereinkunft, eine Gemeindeordnung, zusammengestellt werden zwischen den muslimischen ‚Auswanderern der Quraisch und 8 Stämmen aus Yathrib. Es ging vor allem darum, die Feindseligkeiten und Rivalitäten unter den Vertragspartnern zu beenden und sie gegen Bedrohungen von außen zu vereinigen. Stammeszugehörigkeit und Organisation sollen beibehalten werden, Streitfälle durch Muhammad geschlichtet werden.

     Es ging um einen Übergang von einer nach Stämmen organisierten Welt zu einem System der Rechtssicherheit. Rechtliche und praktische Hinweise finden sich an etlichen Stellen im Koran wieder.

   Im vorislamischen Arabien des 7. Jahrhunderts gab es weder einen Staat noch irgendeine Art von Rechtssystem. Die Menschen waren dem Stamm verpflichtet. Diese Stammesethik forderte absoluten Gehorsam. Wer diesen Gehorsam dem Stammesältesten bzw. der Stammesgemeinschaft verweigerte, verlor jegliches Recht auf Schutz durch diese Gemeinschaft. Es zählte also nur die Blutsverwandtschaft, nicht um Recht oder Unrecht. Durch die Charta wurde eine neue Art von Gemeinschaft, in der nicht die Blutsverwandtschaft die zentrale Rolle spielte, sondern erstmalig eine Form von Zusammenhalt auf der Grundlage bestimmter Normen und Werte, die in der Charta verankert wurden.

    Jetzt sind es Menschen, die mit dem Propheten bestimmte Überzeugungen teilten, dennoch konnten sie ihrer Religion treu bleiben. Diese neue Form einer Gemeinschaft brauchte natürlich auch rechtliche Bestimmungen, wie z.B. Sicherheit, Abgaben, Handel, Ehe, aber auch in der Religiosität. Anweisungen dafür gab der Koran.

     In den folgenden Jahren in Medina erwuchsen für Muhammad neue Verpflichtungen und Verantwortung. Neben der ersten Funktion in Mekka als Prophet und Warner, kam dann in Medina die Funktion eines Führers einer neuen religiösen Gemeinschaft und die eines militärischen Führers hinzu. Aber davon später in einer anderen Predigt.

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