Juden im Koran, Teil 3

02.07.2021

Juden im Koran, Teil 3

Die ganze Offenbarung des Korans, so auch die Suren über die Juden, kann nur auf der Grundlage der damaligen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und auch politischen Beziehungen verstanden werden.

     Um die Bedeutung der Juden in der koranischen Schrift zu beleuchten, habe ich in den beiden vorhergehenden Predigten versucht zu verdeutlichen, dass der Koran von Beginn seiner Sendung an jüdische Erzählungen und Berichte aus Schriften und auch Traditionen benutzt und auch interpretiert, um die Bedeutung der Prophetie Muhammads zu verdeutlichen. Der Koran wollte aufzeigen, dass Muhammad in einer Linie mit allen vorangegangenen Propheten steht und er die vorangegangenen Schriften von Gott, die die Propheten ihren Völkern mitteilten, nur bestätigt.

    Die meisten Verse, die die Juden betreffen, sind in Medina offenbart worden. Die wenigen Juden, die in Mekka lebten, besaßen allgemeine Anerkennung wegen ihren besonderen Fähigkeiten und Gelehrsamkeit. Das kommt in der Sure 64:10 zum Ausdruck: „Sprich: ,Denkt darüber nach! Wenn der Koran von Gott kommt und ihr ihn verleugnet, und wenn einer von den Kindern Israels bezeugt, dass ähnliches von Gott gekommen ist, so glaubt er daran, während ihr ihn überheblich leugnet; seid ihr dann nicht äußerst ungerecht? Gott leitet die Ungerechten nicht den rechten Weg.‘“

      Dieser Vers richtet sich besonders an die vielgläubigen Mekkaner, die nicht an Muhammad als einen Propheten glauben. Ähnliche Verse behandeln konkrete Akteure wie z.B. die Propheten und Pharao auf anschauliche Handlungen und Meinungen in der jüdischen Geschichte zum Zweck einer moralischen und religiösen Unterweisung und Verantwortung und besonders zur Anerkennung des Prophetentum von Muhammad. Sie bekräftigen in Mekka und später in Medina seine Stellung als Prophet als Fortsetzung und Bestätigung der früheren Propheten und ihrer Schriften.

    Er stieß jedoch in Mekka auf große Ablehnung, weniger bei den Juden, sondern von seinem eigenen Stamm und wie ihr wisst, trachtete man ihm nach dem Leben, so dass er sich nach dem früheren Yathrib auswanderte.

      Dort begannen erst seine wirklichen Konflikte mit den jüdischen Stämmen.

     Heute gehen die meisten Muslime davon aus, dass der Prophet Muhammad alle Gläubigen zum neuen Glauben überzeugen wollte, so auch die Juden und Christen und nur eine Glaubensgemeinschaft gelten lassen wollte. Darum hätten sich die jüdischen Gruppen später mit den Mekkanern gegen ihn gewandt. Mouhanad Khorchide beschreibt das so: Die Herausforderung Muhammads bestand nicht in seinem Streben nach Bekehrung aller zu einer exklusiven monotheistischen Tradition, sondern in seinem Einsatz gegen Identitäten dieser Gemeinden, die einer Vielfalt ablehnend gegenüberstanden. Das bedeutet, dass Muhammad nicht zwischen dem neuen Islam und den anderen monotheistischen Religionen im Sinne von unterschiedlichen, in sich abgegrenzte Religionsgemeinschaften unterschied. Jede hatte bei Muhammad seinen gleichwertigen Anspruch.  Bald nach Muhammads Tod änderte sich das jedoch.

    Wenn wir den Koran lesen, dann merken wir, dass er nicht in der Bedeutung einer islamischen Religionsgemeinschaft von Islam und den Muslimen spricht, sondern immer in der Bedeutung einer Haltung und Verhalten der Gottergebenheit eines jeden sich Ergebender in die Obhut Gottes. Und das trifft auf jeden aktiven Glaubenden einer monotheistischen Religionsgemeinschaft zu. Sie sollten eigentlich alle auf einer Ebene stehen.

    Natürlich war Muhammad enttäuscht über die Haltung derjenigen, die gegen seine Verkündigungen sprachen oder gar bekämpften aufgrund ihrer eigennützigen und machtpolitischen Haltung und ihres Gesellschaftsdünkels. Dennoch erinnert er sie ständig daran, dass es immer nur eine Kernbotschaft von Gott gab, angepasst an die zeitliche Gesellschaft und dass der Kern seiner Botschaft nicht anders lautet als bei den vorhergegangenen Propheten der Juden und der Christen.

    Die Frage lautet: Wenn sich die Juden nach dem Inhalt der Botschaften ihrer Propheten richteten, besonders nach dem Monotheismus, warum waren viele so gegen Muhammad und seiner Botschaft, wenn sie auf der gleichen Bedeutung fußt? Wollen sich die jüdische Gemeinschaften nicht auf eine Ebene mit anderen religiösen Gemeinschaften sehen? Betonen sie hier nicht ihre Exklusivität? Er ging bei etlichen Clans oder Familien nicht mehr um eine monotheistische Haltung und Richtung, sondern um deren Benutzung zur Formierung einer alleinigen, ausgewählten Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, gerade, weil die einzelnen jüdischen wie auch christlichen Gruppierungen untereinander zerstritten waren. Die Sure 2:113 stellt das klar: „Und die Juden sagen: ‚Die Christen stützen sich auf nichts,‘ und die Christen sagen: ‚Die Juden stützen sich auf nichts‘, wobei sie doch das Buch lesen…‘“

     Und da steht der Prophet mit seiner Sendung mehr oder weniger im Weg, oder er müsste sich ihrer Gemeinschaft anschließen.

      Der Koran spricht nicht davon, dass Muhammad alle Gläubigen zu einer einzigen religiösen Gemeinschaft zusammenführen möchte, sondern er hebt die Einzigartigkeit jeder einzelnen Gemeinschaft in ihrer Vielfalt und Vielgestaltigkeit und in seiner Tradition hervor, aber mit der Prämisse der Einheit zum Monotheismus, im Glauben an den Einen Gott, das heißt: Vielfalt unter dem Monotheismus. 

    Die Antwort des Korans besonders auf die exklusiven Ansprüche vieler Juden war das Setzen eines Zeichens für die Einheit in der Vielfalt: Die Erzählungen über Abraham aus der medinensischen Zeit zielten darauf hin, dass seine Person von keiner religiösen Strömung vereinnahmt werden kann. Er war nur ein Gott Glaubender, ein Beispiel für alle, die an Gott glauben. Er rückte Abraham als den Vater aller Monotheisten stärker in den Vordergrund. Er war es, der die Identität der Glaubenden zu dem Einen Gott schuf, eine Identität der vielfältigen Strömungen im Gottglauben.

    Dennoch spricht der Koran auch positiv von der jüdischen und christlichen Tradition wie z.B. in Sure 5:69: „Jene, die geglaubt haben, und die Juden und die Sabäer und die Christen – alle, die an Gott und dem Letzten Tag glauben und rechtschaffene Taten tun – keine Furcht soll über sie kommen, noch sollen sie traurig sein.

   Also verspricht Gott auch den Juden ihr ewiges Heil, aber nicht als exklusiven Anspruch nur für sie.

     Das Judentum war für Muhammad eine Basis für seine eigene Verkündigung seiner Prophetenschaft. Und mit dem Koran strebte er nach einer Einheit des Monotheismus, aber in einer Vielfalt der gelebten Religionen an. Diese klare Botschaft wird heute vielfach ignoriert. Jede Religion beansprucht heute ihre exklusiven Heilsansprüche. Die gemeinsamen Wurzeln, die theologischen Grundlagen geraten dabei völlig in den Hintergrund und überschatten heute das Verhältnis beider bzw. aller drei monotheistischen Religionen wie es zurzeit im Nahostkonflikt der Fall ist.

       Heute vergisst man immer wieder, was Stellvertreter Gottes auf Erden bedeutet: Respekt vor allem Leben und vor dem Erschaffen Gottes, Respekt vor der Erde, die uns erst Leben ermöglicht und auf ihr unseren Platz finden lässt. Und diesen Respekt verlangen alle Schriften, die von Gott gesandt wurden.

     Sagen wir nicht immer, ich wünsche mir Respekt und Rechte vom Nachbarn? Dann muss ich ihm ebenso Respekt und sein Recht einräumen. Aber machen wir das wirklich und bei jedem?

     Das alles hat Gott eigentlich den Menschen durch den Koran und Muhammad mitteilen wollen und auch schon vorher, für jede Religionsgemeinschaft durch ihre Propheten. Es sind Werte, keine Exklusivitäten, die gleichermaßen in ihrer Vielfalt den Juden, Christen und Muslime ans Herz gelegt werden. Was haben sie in der Praxis des Zusammenlebens daraus gelernt?

    Die meisten Gläubigen haben keine Probleme mit Andersgläubigen. Hält sich aber derjenige Muslim daran, der mit dem Namen Gottes auf den Lippen einen Stein auf seinen Nachbarn, einem Juden wirft oder derjenige, der mit Raketen auf Häuser oder Menschengruppen zielt? Denkt überhaupt der Junge in dem Moment an Gott oder will er sich nur hervortun?

      Heute müssen wir begreifen, dass das Streben einer Gruppe oder Organisation nach Exklusivität und Machtanspruch oft für andere Unheil, Diskriminierung und eine Katastrophe bedeutet. Wir sehen es in Afghanistan, eigentlich in vielen Gegenden der Erde – und Ableger auch bei uns. Nur wenn ernst gemacht wird mit der Akzeptanz und Verbundenheit und Zusammenstehen aller Gemeinschaften, haben dieses Machtbewusstsein und Menschverachtung keine Chance. Und der Koran gibt Hilfestellung für Gläubige am Beispiel der Juden dazu.

    Zum Schluss noch ein Zitat von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, ein deutscher Philosoph des 19.Jh.:

„Das eigene Dasein ist erst durch die Ankunft des Fremden möglich. Und Freiheit heißt nicht, dass man tun kann, was man will.“

Manaar

 

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