Freiheit

30.04.2021

Freiheit

Asssalamu alaikum wa rahtmatullah wa barakatuhu Ich begrüße Euch herzlich zum heutigen Freitagsgebet.

Der 11.Mai 2021 rückt näher – für mich kein leichter Termin, denn an diesem Tag vertrete ich uns auf einem Symposium der International Association for Religious Freedom, also der internationalen Organisation für religiöse Freiheit.
Die Aktion wird gründlich vorbereitet und nahm bis jetzt schon einige Zeit in Anspruch. Die anderen Teilnehmer sind überwiegend studierte Theologen anderer Religionen.
Umgeben von Gelehrten des Hinduismus, Judaismus und Christentums bin ich die einzige Muslimin in der Gruppe und darf eine Sichtweise des Islam öffentlich darstellen, die fernab jeden Traditionalismus und natürlich jeder Gewaltbereitschaft für manche andere Teilnehmer, oder zumindest Zuhörer, immernoch etwas Neues darstellen dürfte. Vorstellungen über das Kopftuch oder das Schlagen von Frauen in der Ehe oder andere Unsitten, deren Legitimation noch immer in Moscheen zu finden ist, sind ob einer gefühlten traditionellen Mehrheit nicht immer leicht zu entkräften.
Wenn ich auch mit eigener Überzeugung behaupte, das habe mit dem Islam nichts zu tun, sondern sei sozialen und traditionalistischen Vorstellungen patriarchalischer Gesellschaftsinterpretationen geschuldet, so sind die Stereotype doch stark in den Köpfen verwurzelt und werden diejenigen Muslime, die nicht schlagen und unterdrücken als zu vernachlässigende Minderheiten interpretiert. Tatsächliche Zahlen sind mir nicht bekannt, doch werde ich dort nicht als Vertreterin der Traditionalisten stehen sondern als Vertreterin derer, denen die Menschenrechte so wichtig sind wie ihre Religion, da sie die beiden gewissermaßen normativen Entitäten nicht als Gegensätze sondern als Einheit empfinden.
Doch nur so viel zu meinen Ängsten, Stereotypen zu begegnen, die ich nicht zu entkräften in der Lage sein könnte.
Die Fragestellung des Symposium heißt
– Does Religion set you free? –

Also: Befreit dich deine Religion?
Hierzu sollen alle Teilnehmer eine Rede halten, um sich dann in der Diskussion weiter auszutauschen und vielleicht zu positionieren und schließlich Fragen zu beantworten. Befreit dich deine Religion? Ich hätte mir eine leichtere Fragestellung gewünscht, denn mein erster Impuls einer Antwort lautet, sicherlich entgegen den Vorstellungen der Veranstalter: Nein, meine Religion befreit mich nicht. Das ist auch nicht ihr Anliegen. Ganz im Gegenteil nehme ich meine Religion als ein großes Gebilde aus Regeln und Reglementierungen wahr, die nichts zu tun haben mit meiner eigenen Freiheit, wohl aber sehr viel mit der Entwicklung einer gesunden, und letztlich auch freien, Gesellschaft. Wenn ich auch hier in der Moschee immerwieder betont habe, dass es im Islam eben nicht um das Einhalten eines minutiösen Regelwerkes gehe, sondern um eine Haltung, deren Essenz als Taqwa beschrieben werden kann, so ist der Islam ohne normative Bestimmungen zugleich undenkbar.

Es ging, so meine persönliche Vorstellung, bei der ersten Verbreitung des Islam nicht darum, Menschen, die sich sowieso jede gesellschaftliche Freiheit nahmen, mit noch mehr Rechten auszustatten, sondern es ging darum, Freiheiten einzuschränken, Willkür zu beenden und Maßlosigkeit im Umgang mit Anderen. In mehreren Suren des Korans lesen wir „und kürzt nicht das Maß sondern beachtet das Maß und messt mit demselben Maß beim Nehmen wie beim Geben“. Hier wird deutlich, dass es sich um die Einschränkung der Freiheit handelt, sich selbst willkürlich zu bereichern. Wenn den Frauen des Propheten angeordnet wurde, sich angemessen zu kleiden, wenn die Vertreter der Stämme zu deren Ehemann kamen und sich bei ihnen aufhielten, so war dies eine Einschränkung ihrer Freiheit. Schließlich hätten sie auch weniger züchtig vor die Männer treten können, die da in ihre Wohn-und Schlafbereiche eindrangen.

Es gibt die Unfreiheit der Männer, den Frauen eine Morgengabe zu zahlen, die im Besitz der Frau bleibt, und es gibt die Unfreiheit der Frauen, sich vor Ablauf der Dreimonatsfrist von ihren Männern zu scheiden. Eine Unfreiheit nach der Anderen könnte man benennen. Doch gerade die Auflistung verdeutlicht, dass diese Freiheitsbeschränkungen des Einen eine neue Freiheit des Anderen entstehen lassen und einen sozialen Frieden stiften wollen, der auf Gerechtigkeit beruht, auf Gleichheit und auf Partizipation.
So wirkt die Einschränkung der Freiheit des Einen als Garant der Freiheit eines Anderen. Der Freiheitsbegriff, der zuvor an die Willkür gebunden war, verändert sich nun zu dem Begriff, wie wir ihn auch heute verwenden. Freiheit ist eben nicht die Möglichkeit, willkürlich zu agieren, denn das ist die ultimative Unfreiheit für alle Anderen außer den Stärksten. Der darf sich dann alles leisten und wer auch etwas vom Kuchen abhaben möchte, muss sich gut mit ihm stellen. Das heißt dann zwar, dass diese auch Willkür walten lassen dürfen – plündern, brandschatzen und vergewaltigen – doch zugleich sind sie in absoluter Unfreiheit gefangen, denn wehe sie tun etwas, was dem Herrscher nicht beliebt. Nehmen wir also Freiheit als die Freiheit zu Willkür an, so sind alle unfrei, außer dem obersten Herrscher, doch auch dieser ist letztlich nicht mit Freiheit gesegnet, muss er sich doch ununterbrochen damit befassen, seine Untertanen zu kontrollieren. Willkür kann zwar immer im Moment einzelner Handlungen als Freiheit empfunden werden, doch kann sie nie über den Moment hinaus für ein Gefühl gelebter Freiheit sorgen, es sei denn, man hat Spaß daran, sich zu prügeln. Wer die ganz willkürlich Freien dieser Welt betrachtet, findet weder Wärme in ihre Augen noch Liebe in ihren Gesten.

So wie das Grundgesetz sind auch der Koran und die Sunna die Niederschrift einer Werteordnung, die eine Gesellschaft strukturiert. Im Falle des Islam soll dies eine egalitäre Gesellschaft sein, bei der also Rechte gleichmäßig verteilt werden. Mädchen sollen eben nicht begraben werden, weil sie die Familie nur Geld kosten, und wem das Geld nicht reicht, der soll von der Gemeinschaft versorgt werden, damit keiner in Armut lebt. Kürzt nicht das Maß. Spendet im Monat Ramadan und zum Opferfest, und gebt auch sonst euren Anteil an diejenigen, die es brauchen. Dazu lernen wir, dass wir im Anschluss nur Gutes sagen dürfen, denn wer gibt und später etwas Schlechtes über den Empfänger verbreitet oder zu ihm sagt, hätte lieber nicht geben sollen. Wir lernen vom Propheten Mohamed, aus einer gewissen Perspektive, die Unfreiheit der sozialen Konventionen, bis hin zu Regeln wie : Wer reitet, grüße den Fußgänger und nicht umgekehrt. Dies, damit der Gehende nicht zum Untertan degradiert wird, der auch noch zuerst grüßen soll, sondern der Reitende, der sowieso schon bequemer unterwegs ist, dem Gehenden seine Wertschätzung bezeugt. So stellen sich beide auf eine gesellschaftliche Stufe, statt den bestehenden Unterschied noch zu vergrößern und die Würde beider ist gewahrt. So, wie ich es jetzt vorgetragen habe, schrieb ich es zu Anfang dieser Woche. Doch gestern Nacht musste ich meinen Text verändern.
Vor meinem inneren Auge sah ich noch einmal den Reiter, der dem Fußgänger begegnet. Sah ihn grüßen, und hielt inne bei diesem Bild. Bei allen Versuchen, hier Unfreiheit zu finden – es gelang mir nicht.
Die Szene, die ich bemühen wollte, um aufzuzeigen, dass wir einer Unzahl an Zwängen unterliegen, sogar beim Begrüßen, bot sich bei genauerem Einfühlen nicht dafür an. Denn der Reiter, der zufrieden ist, und dessen Seele frei, der will zuerst grüßen. Der will doch den Anderen an seinem Glück und seiner Freiheit teilhaben lassen. Es ihm vorzuschreiben bedeutet, von vorne herein davon auszugehen, dass er nicht gesund ist. Ein gesunder Mensch achtet die Würde der Anderen. Ich unterrichte in einer Grundschule. Die Kinder in meiner Klasse, die sich frei und glücklich fühlen, sind ganz nett zu den Anderen. Uneifersüchtig, freundlich, teilen sie ihre Klebestifte und Radiergummis, lassen andere zuerst reden, drängeln sich nicht vor.

Diejenigen, denen ich mit Verboten gegenübertreten muss, um sie zu zügeln, ihr egozentrisches Verhalten zu bremsen, sind die von vorneherein Unfreien. Gefangen in ihrer Eifersucht. In ihrem Wunsch etwas Besseres zu sein. Gefangen in ihrem Verlangen nach mehr, nach mehr Dingen, mehr Anerkennung, mehr Aufmerksamkeit. Vielleicht Gefangene ihrer Eltern, die viel von ihnen erwarten. Wer sich frei fühlt, der will seine glückliche Freiheit verteilen. Am Hintereingang unserer Schule steht ein Sicherheitsmitarbeiter. Der steht jeden Morgen da und zu Anfang habe ich ihn selbstverständlich gegrüßt. Er hat nie geantwortet. Irgendwann kommt man sich dann blöd vor und hört auf, zu grüßen, geht einfach in die Schule und ignoriert die Person.
Das stimmt aber nicht ganz. Man ignoriert eben nicht, sondern geht mit gebeugtem Kopf, irgend eine banale Handlung ausführend, schnell an ihm vobei und schämt sich, weil man nicht weiß, wie man sich verhalten soll.

Bei gesunden Menschen heißt Freiheit, die Freiheit Gutes zu tun, mindestens durch einen kleinen Gruß einem anderen Menschen Wertschätzung entgegenzubringen, die Freiheit glücklich zu sein und die Freiheit, das Glück an andere weiter zu verschenken. Eine freie Welt ist ganz und gar nicht eine Welt willkürlicher Bosheiten sondern vielmehr eine Welt voller Freundlichkeit, eine Welt des Lachens und der bereitwilligen Vergebung. Dieses Glück bekommen wir durch unsere Religion oder vielmehr durch unseren Glauben. Befreit dich deine Religion? JA. In vielerlei Hinsicht. Für mich tut sie es am meisten, indem ich mich als geliebter Teil der Schöpfung empfinde. Ich weiß, es gibt kein Erschaffen und keinen Tod.
Es gibt nur Veränderung und jeder von uns ist immer da, geliebt von dem Ganzen, das wir physisch das All nennen und metaphysisch Allah. Es ist die Liebe, die mich frei macht. Die Liebe, die mir Sicherheit gibt und die Liebe, die mir erlaubt, ich selbst zu sein, ohne Angst zu haben, dafür verlassen oder verstoßen zu werden.
Mit Liebe meine ich das Gefühl, ein unverzichtbarer Teil des Ganzen zu sein, dem die anderen Teile gnädig sind, ein Teil, der frei ist, gut und froh zu sein, wie es der menschlichen Natur entspricht.
Die Sinnhaftigkeit, die wir als Menschen brauchen, wird uns geschenkt, ohne das wir danach suchen müssten, denn ein unverzichtbarer Teil des Ganzen zu sein ist gleichsam automatisch ein Sinn, eine Logik, und eine Schönheit im Sinne der Ästhetik. Einer, der immer für dich da ist, der verspricht, dass er dich nie verlässt, eine, die immer für dich da ist, die verspricht, dass sie dich nie verlässt, er – sie macht dich frei.

Frei, du selbst zu sein, in deinem schönsten Wesen.
Gütig, gnädig, sich einfühlend, dankbar, und frei.

Ich wünsche allen ein gesegnetes Freitagsgebet.

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