Bildung einer neuen Gemeinde um den Propheten Mohammad

07.01.2022

Früher hing in Europa dem Islam und damit auch dem Koran eine spezielle exotische Note an. Aber langsam hat er im 21.JH. seinen gesellschaftlichen Weg in die Realität auch hier geschafft und ist zu einem ernstzunehmenden religiösen Teil der Welt geworden und damit auch in der religiösen Forschung. Es ist wichtig zu wissen, wie es zur damaligen Zeit aussah, was die Menschen bewegt hatte, wie sie dachten und wie es zur Bildung einer neuen Gemeinschaft kam.

Es gibt kaum Schriftliches über die ersten Monate und Jahre. Aber dennoch kann der Koran indirekt Auskunft geben, durch Fragen der Empfänger und Antworten des Absenders, also Gott. Die Verse des Korans stellen ein ungefähres Abbild der damaligen Gemeinde dar in ihrer Entwicklung, ihrer Fragen und Antworten durch Gott und auch die Begebenheiten der damaligen Zeit, sowie auch ihrer Mitglieder. Egal wie man an eine heutige Exegese herangeht, also eine Auslegung bzw. Interpretation von Texten, man muss immer von zwei Seiten herangehen, um die Texte der Suren und die Entwicklung der neuen Gemeinde in Verbindung zu bringen. Es ist das, was der Absender Gott dem Empfänger, hier der Prophet mit seinen Anhängern mitteilen will. Darum ist es von Bedeutung, das Zeitgeschehen so gut wie möglich zu kennen. Und da wir kaum Schriftliches aus dieser Zeit besitzen, spielt eben der Koran eine große Rolle. Gerade für die islamischen Wissenschaftler ist es ungemein wichtig, den Text des Korans auf seine Beziehung zur Gemeindebildung zu untersuchen.  

Das beginnt schon mit dem allerersten Wort, was Gott durch dem Engel Gabriel mitteilen ließ: „Iqra!“ Darauf komme ich noch zu sprechen. In einer vorherigen Predigt habe ich schon die Situation in Mekka berichtet, heute möchte ich meine Gedanken über die Entwicklung der Gemeinde des Propheten Muhammad darlegen. Die Stämme in Mekka lebten nicht isoliert von der Welt. Mekka war ja, wie ihr wisst, ein wichtiger Knotenpunkt der Handels – und Pilgerwege. Ihre Karawanenzüge führten bis ins römische Reich im Norden, ins Perserreich im Südosten und nach dem afrikanischen Äthiopien im Süden. Mit den Handelswaren brachten die Händler und Pilger ihre Gottheiten mit, die auch Aufnahme in der Kaaba fanden, ein kultureller, sozialer und religiöser Austausch zwischen Süden und Norden. Eine Unmenge an Gottheiten bevölkerten die Vorstellungen und Riten der meisten Stämme in und um Mekka. Und man kannte sich also, zumindest etwas, in den religiösen Angelegenheiten der fremden Pilger und Händler aus und gewiss kamen sie dadurch auch mit der jüdischen und christlichen Religion in Berührung.

Aber zurück zu der ersten Bekanntschaft mit dem Engel: Muhammad hatte sich von der Götterwelt abgewendet, wurde ein spiritueller Gott-Suchender. Vielleicht wusste er anfangs nicht, ob er träume oder nicht. Aber immer wieder dröhnte ihm dieses eine Wort in den Ohren: „Iqra!“, bis dieser Engel weiter vortrug, was Muhammad sagen sollte: „Trage vor im Namen deines Herrn, der erschaffen hat, den Menschen erschaffen hat aus einer Keimzelle! Trage vor, denn dein Herr ist im Guten unübertrefflich, der durch das Schreibrohr nahebrachte, den Menschen lehrte, was er nicht wusste!

Das allererste Wort lautete also: ‚Iqra‘. Doch es gibt noch kein Buch, aus dem vorgetragen werden kann. Aber warum und wem sollte er diese Verse vortragen? 

Abu Zaid, ein ägyptischer Koran- und Literaturwissenschaftler, gest.2010, meinte: „Neben einer Art Selbstcharakterisierung des Herrn, der hier noch nicht Gott genannt wurde, enthalten die 5 Verse keine weitere Botschaft. Der Auftrag des Engels war nur zu verkünden: Hier ist dein Herr, der dich erschaffen, der dich unterrichtet und das gesamte Universum geschaffen hat.“ Es ist, als wenn sich jemand erst einmal vorstellt. Diese Verse verraten nicht, was eigentlich Mohammad vortragen soll.  Aber was sollen sie dann bedeuten? Abu Zaid meint: „Es geht darum, in seinem, also Gottes Namen zu rezitieren.“ Also etwas sagen, und zu wem? Man trägt sich etwas nicht selbst vor.    

Ich denke, diese Erkenntnis ist wichtig. Diese erste Offenbarung galt noch nicht Muhammad als Botschafter oder Gesandter, denn es wurde ihm noch keine Botschaft aufgetragen, die er verkünden sollte. Muhammad wird einfach nur als eine dem Allmächtigen besonders nahestehenden Person angesprochen. Es ist ein erstes vertraut werden mit den Eigenschaften Gottes. Und es ist schon ein Vorgriff vor dem, was Muhammad später ausmacht: ein Prophet für eine neue Gemeinschaft, aber keine neue Religion. Anfangs predigte Muhammad nur vor einem kleinen Kreis, wahrscheinlich vor engen Verwandten und besten Freunden. Er sprach von einem monotheistischen Glauben an Gott, die sich gegen den vorherrschenden altarabischen Glauben an viele Gottheiten richtete und von einem Gott, der von einem unausbleiblichen Jüngsten Gericht sprach. 

Später sammelte sich um ihn eine kleine Schar, meist aus den unteren sozialen Schichten eines Clans, Sklaven und Arme, oder junge Leute, die nicht zu erwarten haben, einmal in Führungspositionen zu gelangen. Sie nannten sich selbst „Gott-Ergebene“ (muslimun) und ihren Glauben „Ergebung in Gottes Willen“ (islam). 

Die Anführer der Clans des Stammes Quraisch, die ihm und seiner Botschaft recht feindlich gegenüberstanden, begannen ihn zu quälen, zu verspotten und zu bedrohen und schikanierten auch seine Anhänger. Sie fürchteten wohl um ihre einflussreiche Stellung in ihren Clans und insbesondere um ihre Einkünfte aus den Wallfahrten. Sie sahen seine göttliche Sendung als Falschheit an, er wäre nur ein Dichter, der unter dem Einfluss von Dämonen stand.   Die Offenbarungen aus dieser Zeit enthalten deshalb mahnende Beispiele für die Vielgläubigen, die den Propheten schmähten und sich gegen seine Aufforderung zur Unterwerfung unter den Monotheismus stellten. 

Geduldig wird er ihnen wohl erwidert haben: „Ich bin nur ein Warner mit einer göttlichen Botschaft, die ich euch überbringen soll: Der Tag des Jüngsten Gerichts ist nah, macht euch bereit und verneigt euch vor eurem Herrn.“ Warnung und Mahnung zum Bereuen, das ist von Anfang an die zentrale Botschaft des Koran.  Er argumentiere immer wieder, dass er nur ein Mensch sei. Seinem Benehmen, sein ethisches Verhalten sollten seine Anhänger nacheifern. 

Schließlich kam es 622 zur Auswanderung des Propheten und seiner Anhängerschar nach in das nordwestlich gelegene Yathrib, dem späteren Medina. In Yathrib fand er eine vollkommen andere Situation vor. Ein Bündnisvertrag, eine Charta, zwischen den Stämmen und den Neuankömmlingen sollte Sicherheit, Ruhe, gegenseitige Akzeptanz und Frieden bringen. Das Ziel des Vertrags war, die Feindseligkeiten und Clan-Rivalitäten, einmal innerhalb der 5 Stämme sowie unter den Vertragspartnern zu beenden und sie gegen Bedrohungen von außen zu vereinigen, sich gegenseitig beizustehen.

Damit wurde ein riesengroßer Schritt in eine Gesellschaft getan: Anstelle des bisherigen Verbundes der Stämme und Clans durch Blutsverwandtschaft sollte eine neue Gesellschaft gebildet werden, auf der Grundlage des Bekenntnisses zu dem einen Gott. Damit wurde auch die Loyalität aller gegenüber des Propheten garantiert.

Forderte vorher die Stammesethik absoluten Gehorsam, gab es jetzt eine neue Form des Zusammenhaltes auf der Basis bestimmter Normen und Werte, die in dieser Charta verankert wurden, eine Ethik, die den Worten Gottes entsprach, also ein vollkommen neues Rechtssystem. 

Anfangs waren es in Mekka spirituelle und ethischen Grundzüge, Normen, die für ein inneres Verantwortungsgefühl für bestimmte Werte im Tun oder Lassen sorgte, die ein zwischenmenschliches Gemeinschaftsleben regelt. Gegenseitige Hilfe stellte sich über ein egoistisches Ich-Denken, besonders als man sie von anderen Clans isolierte. Jetzt sahen sie sich als Geschwister einer Familie der Gottgläubigen, aber noch nicht als Vertreter einer neuen Religion. 

Es war nicht mehr das strikte Befolgen einer autoritären Herrschaft eines Clans oder Stamm, sondern gegenseitiges Vertrauen, Hilfsbereitschaft, Menschlichkeit und Befolgen und Einordnen in eine gottgewollte Ordnung, etwas vollkommen Neues in Arabien. Schon gleich die allerersten kleinen Suren wie z.B. die siebente offenarte Sure Nr. 107 „Al-Ma’un – Die Hilfeleistung“ zeigt schon, was Gott von einem Gläubigen verlangt und wie er sich zu verhalten hat: „Siehst du (nicht) denjenigen, der das Gericht für Lüge erklärt? 2 Das ist derjenige, der die Waise zurückstößt. 3 und nicht zur Speisung des Armen anhält. 4 Wehe nun den Betenden, 5 denjenigen, die auf ihre Gebete nicht achten, 6 denjenigen, die dabei (nur) gesehen werden wollen; 7 und die Hilfeleistung verweigern!“

Gerade die frühen Texte enthalten oft den Aspekt ihrer eigenen Endlichkeit und daraus abgeleitet ihre persönliche Verantwortlichkeit gegenüber der Schöpfung. Diese Vision fand später in Yathrib/Medina ihren Einzug in die Charta. Für die früheren Vielgläubigen war das Leben in einem Jenseits mit dem Gericht etwas Neues. Und sie fragten auch danach. Sicher erfordert das eine Umstellung des ganzen Lebens, jetzt, wo sie eigenverantwortlich sein sollten für ihr ganzes Tun und in einer Gemeinschaft. 

So schwört sogar Gott in der 75.Sure „Al-Qiyama – Die Auferstehung“:  1 „Ich schwöre beim Tag der Auferstehung! 2. Ich schwöre bei der Seele, die sich immer wieder selbst tadelt!“  6.  Er (der Mensch) fragt: “Wann ist der Tag der Auferstehung, 7.  Wenn das Auge geblendet ist 8.  und der Mond sich verfinstert 9.  und Sonne und Mond zusammengebracht werden. 10.  An jenem Tage wird der Mensch sprechen: „Wohin fliehen?“ 11.  Nein! Es gibt keine Zuflucht! 12.  Zu deinem Herrn wird an jenem Tage die Rückkehr sein. 13.  Dem Menschen wird an jenem Tage verkündet, was er vorausgeschickt und zurückgestellt hat. 14.  Der Mensch wird dabei ein scharfsinniger Zeuge gegen sich selbst sein, 15.  auch wenn er Entschuldigungen vorbrächte“.

Schon allein die äußere Form des Koran als Kommunikation zeigt schon eine gewisse Hinwendung zu einer neuen Lebensart und Verantwortung. Anfangs spricht Gott in der Ich– oder Wir-Form und wendet sich zuerst an ein Du, später an Ihr oder Sie. In der Sure 8 „Al-Anfal – Die Beute“ werden Lehren aus dem Kampf bei Badr gezogen. Da heißt es im Vers 26: „Und denkt daran, wie wenige ihr wart, im Land als schwach galtet, in Furcht lebtet, die Leute könnten euch hinwegraffen: Er aber beschirmte euch und stärkte euch durch Seine Hilfe und versorgte euch mit guten Dingen, auf dass ihr dankbar sein möget.“ 

Sich in eine neue Gruppe einzufügen, die auf Mitbestimmung, gegenseitige Rücksichtnahme, Selbstfindung, Achtung, Vertrauen und Hilfsbereitschaft ausgerichtet ist und zu wissen, es kommt auch auf jeden einzelnen an, ist wahrlich nicht leicht. Zumal man vorher bedingungslos den Gesetzen bzw. den Herrschenden ausgeliefert war und seine Meinung nicht zählte. Und vor allen Dingen wird nun auch jeder einzelne Mensch, nicht nur der Prophet, von Gott angesprochen. Keiner kann sich wegducken, sich verstecken, oder Ausflüchte finden.

Streit entsteht meist, wenn man persönliche Belange über die einer Gemeinschaft stellt, auch heute ist es oft noch so. Daher bringt fast die ganze Sure 49, „Al-Hudjurat -Die Gemächer“ Beispiele, wie sie respektvoll und zurückhaltend mit dem Propheten umzugehen haben und ein friedliebendes Verhalten untereinander pflegen sollten. Verse 1-5: „O ihr Gläubigen! Erhebt nicht eure Stimmen über die Stimme des Propheten, und redet mit ihm nicht so laut, wie ihr miteinander sprecht! Sonst scheitern eure Werke, ohne dass ihr es merkt. Und wenn sie sich gedulden, bis du zu ihnen herauskämst, so wäre es besser für sie gewesen.“ Und noch Vers 13: „O ihr Menschen! Wir haben euch aus Mann und Frau erschaffen und haben euch zu Völkern und Stämmen werden lassen, damit ihr euch kennenlernt. Wahrlich, vor Allah ist von euch der Angesehenste, welcher der Gottesfürchtigste ist. Wahrlich, Allah ist allwissend, Allkundig.“

Wir haben es hier mit einer situationsgebundenen Kommunikation zwischen Gott und den Menschen durch Fragen und Antworten, durch Eingehen in bestimmte Situationen, durch Aufzeigen für ein besseres Verhalten. Die andere Art ist die Weitergabe der biblischen Geschichten. Beide dienen der Entwicklung einer neuartigen Gemeinschaft. Die Geschichten über die ‚Leute der Schrift‘, die bisher als Beispiele für Verfehlungen der Juden und zur Erziehung eines besseren Benehmens und einer Ethik der entstehenden Gemeinschaft dienen sollten, finden sogar ihre Weiterführung im Koran.  

 

Zugleich findet damit auch eine neue Liturgie Einlass als Rahmen religiöser Abfolge in den täglichen Tätigkeiten und wird zum festen Bestandteil. Man nimmt an, dass die „Fatiha“ schon in Mekka entstanden ist und zum Gebetsritual der ersten Muslime gehörte. Entgegen aller anderen Sure ist diese erste Sure als ein Gebet eines Menschen an den Adressaten Gott zu sehen. In der 15.Sure Al Hidschr, Vers 87 wird schon auf die Fatiha hingewiesen. Da heißt es: „Und Wir haben dir fürwahr die sieben oft wiederholten Verse gegeben und den großartigen Koran.“ Die 7 Verse der „Al-Fatiha, der Eröffnenden“ hat Gott demnach als selbständig erachtet. Man kann es als ein Signal für eine in die Richtung eines Gemeindegebets auffassen. Auch die Änderung der Gebetsrichtung zeigt an, dass sich die neue Gemeinde von allen anderen Gruppierungen gelöst hat. 

Und eines dürfen wir nicht vergessen: Gott hat im Koran alle Leute in und um Mekka und in Medina, auch Christen und Juden als Gläubige angesprochen. Viele davon gehörten auch zur Gemeinde, auch wenn sie wahrscheinlich ihre eigenen religiösen Gebräuche weiterhin praktizierten. Die Geschichten im Qur’an veranschaulichen nicht nur Werte und Gesetzmäßigkeiten wie z. B. der Natur, sondern auch innermenschliche und gesellschaftliche Entwicklungsprozesse und Konflikte der Menschen. Immer wieder wird also darauf hingewiesen, dass die Muslime sich wie Geschwister zu verhalten haben, die einander helfen und sich gegenseitig stützen. Und diese Werte stehen auch heute noch für einen humanistischen Islam.

Manaar

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