Fatima Mernissi und die Frauenfrage im Islam – ein muslimisch-feministischer Zugang

Fatima Mernissi und die Frauenfrage im Islam – ein muslimisch-feministischer Zugang

 

Fatima Mernissi wurde im Jahre 1940 in Fès (Marokko) geboren, war marokkanisch-muslimischer Herkunft und galt als eine streitbare Feministin in der islamischen Welt. Soziologie und Politikwissenschaften studierte sie in Ländern wie in Frankreich und den USA und wurde Professorin für Soziologie in Rabat. Zudem wurde sie für ihre Arbeit mit Preisen ausgezeichnet, wie z.B. mit dem Erasmuspreis im Jahre 2004.

Angeprangert hat sie u.a. die traditionelle Rolle der Frau im Islam, die mit vielen einschränkenden Momenten einhergeht und forderte zudem auch eine zeitgemäße Korandeutung. Berühmt wurde sie anhand bestimmter Werke, wie z.B. durch ihre Dissertation: „Geschlecht, Ideologie, Islam.“ Auch bekannt ist ihr Buch: „Der politische Harem“ welches gar in 30 Sprachen übersetzt wurde. Dies zeigt besonders, dass sie sich international einen Namen machte und das Interesse an ihrer Person nicht gering war. Im Buch „Der politische Harem“ beschreibt sie beispielsweise, dass der Prophet Mohammed Frauen mehr Rechte zukommen ließ, was an späterer Stelle weiter ausgeführt wird. Folgerichtig widersprach sie damit konservativeren Auslegungen der islamisch-kanonischen Quellen, die Frauen permanent von der Öffentlichkeit ausgeschlossenen sehen. Die Frauen des Propheten sollen herausragende Positionen besetzt haben. Im Buch schreibt sie: „Es bleibt die Frage, weshalb heute das Frauenbild des „goldenen Zeitalters“, das der „Sklavin“, die in den Vorzimmern der Machthaber ihre Intrigen spinnt, wenn sie nicht zu verführen weiß, das ewig Weibliche des Islams symbolisiert, während die Erinnerung an umm Salma, an Aischa und Sakina verblaßt ist und seltsam weit und unwirklich erscheint“ (vgl. Mernissi 1992, S.261). Und obwohl es in vielen konservativen, traditionellen muslimischen Communities rigide Geschlechterrollen vorherrschen, sollte gerade die erste Frau des Propheten nicht in Vergessenheit geraten: „Die erste Frau des Propheten, Chadidscha, repräsentiert recht gut jene Frauen, die sowohl im öffentlichen als auch im privaten Leben voller Tatendrang waren. Chadidscha war vor ihrer Ehe mit dem Propheten bereits zweimal verheiratet und hatte jedem ihrer Gatten ein Kind geschenkt. Sie war es, die „um die Hand des Propheten anhielt“, weil sie fand, dass er die Eigenschaften besaß, die sie am meisten bei einem Mann schätzte. […]. In der Geschichtsschreibung wird der Altersunterschied zwischen Mohammed (25 Jahre) und Chadidscha (40 Jahre) zum Zeitpunkt der Eheschließung betont, aber es stellt sich die Frage, ob Chadidscha nicht in Wirklichkeit jünger war, dass sie ihm in fünfzehn Jahren gemeinsamen Lebens sieben Kinder schenkte“ (ebd., S. 153-154). Als der Prophet eines Tages Angst bekam, ob er wirklich zum Verkünder einer neuen Religion ernannt wurde, stand Chadidscha unbeirrt an seiner Seite: „Glücklich darüber, dass er nicht mehr an seiner neuen Mission zweifelte, rief Chadidscha aus: „`Du kannst zumindest mich rufen, mich, vor allen anderen Menschen denn ich glaube an Dich.´“

Gleichzeitig verweist Mernissi auf eine Koransure, die das Erbrecht betrifft und Frauen am Erben teilhaben ließ. Dazu schreibt sie: „Dieser kleine Vers versetzte die männliche Bevölkerung Medinas in helle Aufregung. Sie befand sich zum ersten Mal in direktem und persönlichem Konflikt mit dem muslimischen Gott. […]. Die Männer fanden, dass die neue Gesetzgebung bezüglich des Erbes einen Bereich tangierte, in den der Islam sich nicht einzumischen hatte: ihre Beziehungen zu den Frauen“ (Vgl. ebd., S.158-159).Weiterhin setzte sie sich in anderen Werken, wie z.B. in „Islam und Demokratie. Die Angst vor der Moderne“ damit auseinander, wieso sich der Islam nicht für die Moderne öffne, wobei Letzteres weit mehr als Technologie bedeute. Sie macht darauf aufmerksam, dass es auch in der islamischen Geschichte Momente gab, in denen bestimmte muslimische Persönlichkeiten für Individualität und freie Meinungsäußerung stark machten. Dazu schreibt sie: „Wer möchte sich daran erinnern? Wer möchte diese Vergangenheit ausgraben, in das Schattenreich und in jene Fernen blicken, wo der Schrei nach Individualismus und Würde in Blut ertränkt wurde? Wie soll man diesen tiefen Verletzungen, die man schon geschlossen und vernarbt glaubte, entgehen? Wenn wir uns unsere Vergangenheit wissenschaftlich aneigneten, würden wir von dem garb (Anm.: arabisches Wort für Westen, auch Ort der Dunkelheit und des Unfassbaren) und seiner Demokratie weniger aus der Bahn geworfen“ (vgl. Mernissi 2002, S.46). Da sie sich für eine moderne Koraninterpretation aussprach, vertrat sie die Position, dass der Koran nicht per se frauenfeindlich ist, sondern es immer auf die Exegeten ankommt. Damit schließt sie sich auch der Position von Nasr Hamid Abu Zaid an. Sie wollte besonders Frauen an Demokratie und Gleichberechtigung heranführen, ihnen die Erfahrung mit diesen Werten vermitteln. Bereits in den 1980er Jahren veröffentlichte sie als Herausgeberin des Buches „Der Harem ist nicht die Welt“, bei der sie elf verschiedene, marokkanische Frauen zu Wort kommen ließ: „[…] In unserer Gesellschaft ist es seit jeher besonders schwierig gewesen, die Differenzen zwischen weiblicher und männlicher Weltsicht genauer zu bestimmen, weil die Frauen sich eben nicht öffentlich geäußert haben. Für die Entwicklung demokratischer Formen – und dazu gehört die Vielfalt der Meinungen und Argumente – in den islamischen Gesellschaften bedeutet es eine schwerwiegende Hypothek, dass allein die Männer sich Gehör verschaffen können“ (vgl. Mernissi 1988, S.8). Als Feministin war es ihr daher sehr wichtig, wenn Frauen ihre Meinung frei äußern können. Das war gerade aus eigenen Erfahrungen ein sehr persönliches Anliegen: „Wenn ich also versuche, eine Frau ohne Schulbildung dazu zu bringen, dass sie ihre Meinung äußert, dann ist das für mich, als ob ich mir selbst das Wort erteile, jenem anderen möglichen Selbst, das im traditionellen Schweigen hätte verharren müssen“ (ebd., S. 21).

Außerdem konnte sie der rationalen Tradition im Islam (die Mutaziliten) was abgewinnen, da diese auch interessante, philosophische Fragen stellten, wie z.B., dass es einen Zweck haben müsse, wenn der Mensch von Gott mit Intelligenz geschaffen wurde. Es ist deshalb für die Mutaziliten von eminenter Bedeutung von seinem Verstand Gebrauch zu machen und nicht unkritisch durch die Welt zu laufen. Von marokkanischen Autoritäten wurden ihre Werke teilweise auf den Index gesetzt, da man den gesellschaftlichen Konsens über den Islam in Gefahr sah. Gerade ein solcher Umstand beweist, wie sehr sie einen bestimmten Nerv bei islamistischen Machthabern getroffen haben muss, da sie die Geschlechter – und Frauenfrage im Islam als eine dringend zu lösende Aufgabe betrachtete. Schließlich verstarb sie im Alter von 75 Jahren in der marokkanischen Hauptstadt in Rabat.

Quellen:

Fatima Mernissi (1988): Der Harem ist nicht die Welt. Elf Berichte aus dem Leben marokkanischer Frauen. Herausgegeben von Fatima Mernissi, Luchterhand Literaturverlag GmbH: Frankfurt am Main

Fatima Mernissi (2002): Islam und Demokratie. Die Angst vor der Moderne. Verlag Herder: Freiburg im Breisgrau

Fatima Mernissi (1992): Der politische Harem. Mohammed und die Frauen. Verlag Herder : Freiburg im Breisgrau

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/fatima-mernissi-gestorben-tod-der-marokkanischen-soziologin-a-1065334.html

http://www.taz.de/!5256097/

https://de.qantara.de/inhalt/nachruf-auf-fatima-mernissi-ikone-des-arabischen-feminismus

https://de.wikipedia.org/wiki/Fatima_Mernissi

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