Diesseits und Jenseits

21.01.2022

Diesseits und Jenseits

Ich denke, jeder hat sich schon einmal gefragt, wie das Paradies aussehen könnte oder es für sich in Gedanken ausgemalt, vergoldeter Müßiggang gegenüber einer Tortour von Qualen schlimmster Ausprägung, die man sich nicht schlimmer ausdenken vermag.

 

Das Paradies und die Hölle im Jenseits nimmt im Koran eine vordergründige Stellung ein, zumindest in den mekkanischen Suren und der Glaube an ein Jenseits ist einer der wichtigsten Pfeiler im Islam wie auch im Christentum. Für die Vielgläubigen in Mekka war das Gottes Gericht und das anschließende Jenseits etwas ganz Neues. Vielleicht wollten viele Mekkaner von einem Gericht nichts hören, vielleicht grauste es ihnen vor dem Gedanken, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Vielleicht lehnten sie dieses Neue einfach ab, um nicht bestraft zu werden?

Es sind die Ängste der Hölle, die Gott anspricht, und auch die Ängste in unseren Gedanken, die wir in uns tragen. Und Gott erinnert uns durch den Koran an sie, damit wir unsere Handlungen in guter Form ausführen. Er suggeriert uns zum eigenen Denken. Wir müssen immer daran denken: Unsere Handlungen sind wie ein Gebet zu betrachten.

Wir müssen uns von einem Bild Gottes, einem Wesen materieller Art verabschieden. Er scheint etwas gleichzeitig in uns und um uns und überall gleichzeitig zu sein, was wissenschaftlich vielleicht nie erkundet werden kann. Unsere Materie, als auch wir, hat einen Anfang und ein Ende, Gott nicht. Und dennoch scheinen wir Menschen etwas von Ihm in uns zu tragen, was wir Seele bezeichnen. Eine göttliche Form, die mit uns kommunizieren kann, muss es aber geben, da es Wissen und Dinge gab, die vor langer Zeit einem Mann eingegeben wurde, was damals die Wissenschaft noch nicht wissen und erklärbar machen konnte. Sure 23 Verse 12-14: Die Erschaffung des Menschen aus einem Blutklumpen: „Und wahrlich, wir erschufen den Menschen aus einer Substanz aus Lehm. Alsdann setzten wir ihn als Samentropfen an eine sichere Ruhestätte. Dann bildeten wir den Tropfen zu einem Blutklumpen; dann bildeten wir den Blutklumpen zu einem Fleischklumpen; dann bildeten wir aus dem Fleischklumpen Knochen; dann bekleideten wir die Knochen mit Fleisch; dann entwickelten wir es zu einer anderen Schöpfung.“ Die körperlichen Erschaffung des Menschen verbindet sich mit der Vorstellung einer Wiederauferstehung und Rechenschaftsablegung am Ende der Welt. Anfang und Ende und dazwischen die Tätigkeit des Menschen bilden hier eine Einheit.

Der Koran selbst legt Zeugnis von einem Überirdischen, etwas von uns nicht Begreifbaren, einem Gott, der so etwas zustande bringt. Und dieser spricht immer wieder von einem Paradies und einem Jenseits in einer Zeit der ständigen Kriege und Bevormundung, einmal das Schlimme, Nichtertragbare, einmal das Schöne, Wunderbare.

Gott schmückt regelrecht die Strafen in der Hölle und das Schöne im Paradies aus. Wasser scheint es dort im Paradies im Überfluss zu geben, ganz anders als im Diesseits, auf der Arabischen Halbinsel. Schon allein deswegen würden viele Menschen viel lieber an diesem Ort leben würden. Aber viel mehr als Bequemlichkeit an einem wunderschönen Ort, ausreichendes Wasser und ein gutes, ewiges Leben wird im Koran nicht erwähnt. Dagegen quillt er von Berichten über schlimme Dinge und Qualen fast über. 

Aber warum ist es wichtig, solche Strafen hervorzuheben wie auch das Gegenteil, das Schöne im Paradies? Es muss doch für alles einen Grund geben. Meiner Meinung nach: um sich ein Leben im Paradies zu sichern, muss man dafür im Jetztsein etwas leisten, etwas, was der Gemeinschaft im Guten dient. Je drastischer jemand etwas geschildert bekommt, umso eifriger ist man bemüht, dieses Drastischen nicht zu erleben. Aber alles hat seinen Preis!

Kommen wir wieder ins Diesseits zurück. Eigentlich ist unser ganzes Leben so aufgebaut: Wenn ein Lehrer sagt: Wenn du nichts lernst, kannst du keine gute Note bekommen und vielleicht kannst du dann deinen begehrten Beruf dadurch nicht erlernen!“ Oder ein Bauer, der nicht sät, kann später nichts ernten.

Es hat also mit Handlungen, Tätigkeiten, Verhalten, Benehmen, aber auch gegenseitige Hilfe, Kameradschaftlichkeit, Höflichkeit gegenüber anderen zu tun. Wenn im Diesseits alles zur Zufriedenheit Gottes getan wird, also gute Handlungen ausgeführt werden, gute Beziehungen zu seiner Umgebung pflegt, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft gepflegt wird, dann befindet man sich auf der richtigen Seite. Das will der Koran ausdrücken und darauf will Gott mit seinem wortreichen Bericht über die Hölle und das Paradies hinweisen.

Der Koran ruft zu einem Miteinander, zu gegenseitiger Hilfe, zu guten Handlungen auf. Geht es einer Gemeinschaft gut, stehen ihre Mitglieder zueinander, dann können sie im Diesseits vorwärts auf ein gutes Jenseits blicken.

Gott ist der Barmherzige, der Allerbarmer für alle Menschen. Wie oft betont Er das. Warum würde Er dann unbedingt Menschen, die eine kleine oder größere Missetat begangen haben, unbedingt und hart für eine unendliche Zeit bestrafen wollen für etwas, was sie in ihrem endlichen Leben getan haben? Vielleicht haben sie es auch schon bereut? Ein Bestrafen ist kein Zeichen für Liebe und Vertrauen auf die Menschen. Im Gegenteil wiederholt Er immer wieder die harten Strafen und das Schöne und Gute, um den Menschen immer wieder dazu einladen, Ihm nachzueifern in Güte, Vertrauen und Liebe. Er hält ihnen immer wieder die angedrohten Strafen vor Augen, um sie zu bewegen, von hässlichen Taten abzulassen. 

Das heißt also, dass die Menschen über ihr Schicksal selbst bestimmen und ihr Schicksal wird durch die Waagschale bestimmt. In Sure 23:102-102 – „al-Mu’minun – die Gläubigen“- heißt es: „Denen, die dann schwere Waagschalen haben, wird es wohl ergehen. Diejenigen aber, die leichte Waagschalen haben, sind dann ihrer selbst verlustig gegangen. Sie werden ewig in der Hölle weilen.“

Gott liebt die Menschen und will einfach ein steter Mahner sein, so wie Er auch die Propheten als Mahner eingesetzt hat, damit die Menschen gute Handlungen tun oder schlechte bereuen und so Gott anerkennen und ehren. Deshalb liegt am Ende jedes Schicksal allein in Seine Hände, also in Seiner Gnade.

Die 39. Sure „az-Zumar- die Scharen“, Vers 42 besagt: Allah nimmt die Seelen (der Menschen) zurzeit ihres Sterbens (zu sich) und (auch die Seelen) derer, die nicht gestorben sind, wenn sie schlafen. Dann hält Er die zurück, über die Er den Tod verhängt hat, und schickt die anderen (wieder) bis zu einer bestimmten Frist (ins Leben zurück). Hierin sind Zeichen für Leute, die nachdenken.“

Ich denke, damit will Gott den Menschen den Tod mithilfe des Schlafs verständlicher machen. Der Körper und der Geist, also die Seele, sind zwei unterschiedliche Teile des Menschen, einmal Materie, einmal eine bestimmte Essenz, vielleicht ein Teil Gottes, Sein Atem? Diese wandert im Schlaf wie im Tod zurück zu Gott. Gott braucht also nicht bis zum Jüngsten Tag zu warten, um der Seele ins Gewissen zu reden. Aber ich denke dennoch, Gott ist ständig mit der Seele verbunden, wartet nicht erst den nächsten Schlaf ab, wenn etwas falsch gemacht wurde. Hat man manchmal danach nicht ein schlechtes Gewissen, fühlt man sich nicht unwohl oder noch Schlimmeres? Und will man dann nicht etwas ändern, seine Handlungen überprüfen und verändern? Wenn es so ist, dann hat Gottes Absicht gefruchtet. Es ist wie ein vorgezogenes Gericht. 

Und es befindet sich darin ein tiefes Vertrauen auf beiden Seiten. Gott vertraut mir, denn Er hat mich zu Seinem Stellvertreter gemacht, um Ihm nachzueifern und ich vertraue auf Gott, weil ich weiß, dass Er mir immer zur Seite steht. Das heißt aber auch, dass ich glaube, dass das Paradies und die Hölle, also das Jenseits hier schon auf der Erde ist: im Diesseits. Eine Bestrafung nutzt nur, wenn man daraus lernt und nicht erst irgendwann, wenn man schon lange nicht mehr existiert.

In der 5. Sure „al-Ma’ida – der Tisch“, Vers116 antwortet Jesus auf einer Feststellung Gottes: „Du weißt, was in meinem Inneren (fī nafsī) ist, ich aber weiß nicht, was Du in Dir hegst (fī nafsi-ka). Du allein bist der Allwissende des Verborgenen.“

Jesus spricht also von seiner Seele in der Bedeutung von Gewissen, ein Selbst – arabisch nafs. Die Seele lebt also noch länger als ihr Körper. Sie ist etwas Nichtmaterielles, äußert sich über Gedanken, Gewissen und Gefühle. Für mich bedeutet das: so lange noch jemand an eine verstorbene Person denkt, sie vielleicht sogar vermisst, so lange lebt die Seele im Diesseits.

Wenn Gott gewollt hätte, dass es nur richtig handelnde Menschen gibt, dann hätte Er sie auch so erschaffen können. Aber Er hat sie selbst über ihr Schicksal wählen lassen, ihnen aber eine Seele gegeben, um über sich selbst urteilen zu können. Und Er hält Verbindung zur Menschenseele wie auch durch den Koran durch Denkanstöße, gedankliche Vorstellungen von etwas Schlimmen und Hässlichen wie auch von etwas Gutem und Schönem.

Gott lässt uns über unsere Seele, unser Gewissen und Bewusstsein, über unsere Gefühle wissen, wenn wir ein Fehler gemacht haben, indem wir schuldbewusst sind, anderen gegenüber ein schlechtes Gewissen haben oder auch nicht. Und nicht nur erst, wenn unser Körper nicht mehr existiert, sondern noch im Diesseits, früher oder später. 

Die 96.Sure „al-Alaq – die Keimzelle, Verse 6-8 bestätigen nochmals: „Nein, wahrlich, der Mensch wird äußerst anmaßend, wann immer er sich für selbstgenügend hält, denn, siehe, zu Gott müssen wir alle zurückkehren.“ Das bedeutet: jeder, auch der Hochmütige, der denkt, er stehe über alles, wird unentrinnbar zum Gericht vor Gott gebracht, das heißt, es stehen alle moralischen Vorstellungen über Recht und Unrecht, über Böses und Gute, Verantwortlichkeit des Menschen zur Debatte.

Egal, wie man über das Jenseits denkt, an die Hölle oder an das Paradies, ob nicht gläubig oder gläubig, es kommt immer darauf an, wie man im Diesseits gelebt hat, welchen Platz man in der Gesellschaft innehatte, wie man sich zu ihr verhielt, welche Handlungen bestimmend waren.

Und letztlich steht man am Ende auch vor seinem eigenen Gericht, vielleicht einfach nur in einem Spiegelbild und fragt sich: Wie hast du dich verhalten, was hast du richtig, was falsch gemacht, was hast du vorzuweisen. Diese Fragen muss sich jeder nicht nur am Ende seines Lebens stellen, sondern immer wieder, um auf der richtigen Seite zu stehen. 

Ob es ein Jenseits, ein Paradies und eine Hölle gibt, wer kann das schon beantworten. Es ist für uns nicht greifbar. Nur Gott weiß das, darum warnt Er uns. Für mich ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass meine Kinder, meine Gemeinde, viele andere Menschen mich in guter Erinnerung behalten. Und solange jemand sich an eine Person oder auch nur an einen Namen und in Verbindung seiner Taten erinnert, solange lebt ihre Seele mit ihren Taten und bleibt in Erinnerung, ob gut oder im negativen Sinn.

 

Manaar

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