18.09.2020

Im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Barmherzigen

Der Koran ist vor rund 1400 Jahren an die Menschen gesandt worden, eine lange Zeit, von der wir die ersten Jahrzehnte kaum etwas wissen. Nur der Koran gibt genaue Antwort über die Zeit seines Entstehens und von Gottes Aussagen, die wir aber meist erst durch intensives Beschäftigen für uns entschlüsseln können. So hat jeder, der nachdenkt, deshalb sein eigenes Verstehen des Korans. Das gilt auch für mein heutiges Thema:

Allah ist Schöpfer aller Dinge

Schöpfer oder Erschaffer aller Dinge – eine Aussage, die uns immer wieder im Koran begegnet.

Wir finden diese Aussage z. B. in der Sure 39.62: „Allah ist der Schöpfer aller Dinge, und Er ist der Erhalter aller Dinge,“ oder in Sure 54:49: „Wir haben jedoch ein jegliches Ding nach rechtem Maß erschaffen.“ Und in ähnlicher Weise: „Er ist es, der alle Dinge auf die schönste Weise geschaffen hat“ in Sure: 32:7.

Am eindeutigsten finden wir diese Darlegung in der Sure ­„Al- Ikhlas – Die aufrichtige Ergebenheit“: Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen: „Sprich: ‚Er ist Allah, ein Einziger, Allah, der Absolute. Er zeugt nicht und wurde nicht gezeugt, und Ihm ebenbürtig ist keiner.‘“ Er ist der Alleinige, das bedeutet, neben Ihm gibt es nichts, nur das von Ihm Geschaffene, Dinge oder Sachen. Meines Erachtens ist der Koran ein Ding, eine Sache, die von Gott erschaffen ist. Gott ist ein Einziger und der Koran wurde von Ihm geschaffen, so wie es in der Sure „Der Donner“, Vers 16 heißt. „Sprich: „Allah ist der Schöpfer aller Dinge, und Er ist der Einzige, der Allmächtige.“

Wie kann da ein Ding, eine Sache, Objekt, ein Etwas oder eine Tafel auf gleicher Höhe neben Ihm stehen. Dann gäbe es ja zwei Götter! Gott ist laut dieser Aussage also der Erschaffende aller Dinge und verleiht einem Ding, einer Sache oder Gegenstand das Dasein, eine Existenz.

Die Schöpfung – das ist Planung, Verwaltung und Vorsehung im Diesseits, und das kann eben nur Gott in der Eigenschaft des Schöpfers.

Nun behaupten heute immer noch die meisten Gelehrten, dass der Koran nicht erschaffen wurde. Das heißt, er befindet sich neben Gott. Sie sagen: „Der edle Koran ist nicht in der Aussage des Erhabenen: „Allah ist der Schöpfer aller Sachen” einbezogen; denn der Koran ist das Wort Allahs und das Wort Allahs ist eine Eigenschaft von Seinen nichterschaffenen Eigenschaften. Mit verständlicheren Worten: Der Koran ist das Wort Allahs und er ist eine der Eigenschaften Allahs und die Eigenschaften des Schöpfers sind nicht erschaffen.

Ja, sicher, die Eigenschaften gehören ja zu Gott, sie können also nicht erschaffen sein. Aber ‚das Wort‘ ist eine Sache, ein Ding, ein Anliegen, ein Begriff und für mich somit etwas Geschaffenes.

Gott ist der Erschaffende und diese Eigenschaft ist Sein Attribut, Seine Eigenschaft. Anders ausgedrückt: Gott ist der Schöpfer von allem, auch vom Menschen und dem Koran. Dass der Mensch Verstand besitzt und sich frei entscheiden kann und etwas zu tun und handeln vermag, stellt keinen Widerspruch dazu dar, denn all dies hat der Mensch der Barmherzigkeit und der Großzügigkeit Gottes zu verdanken, der den Menschen so und nicht anders geschaffen hat. Wir entscheiden selbst, wie wir handeln wollen, aber die Handlungsinstrumente, die wir nutzen, hat Er erschaffen, wie Er auch das nötige Wissen dazu gegeben hat.

Wenn der Koran unerschaffen und eine Eigenschaft von Gott sein sollte, warum kennen wir nicht diesen Namen unter den 99 Namen, die uns bekannt sind? Gott nennt sie uns doch selbst durch den Koran.

Der Koran ist das vollkommene Werk des Schöpfers. „Lies oder rezitiere im Namen deines Herrn!“ Mit diesen allerersten Worten beginnt die Offenbarung an den Menschen. Es ist eine Interaktion, ein Beginn einer Diskussionskette, etwas ständig neu Entstehendes, Greifbares. Gott selbst fordert uns immer wieder auf, über seine Worte nachzudenken. Er hat uns ja so geformt, zum selbständigen Denken und Nachdenken geformt.

Vielleicht haben die Menschen ihn gefragt: „Warum hast du den Menschen geschaffen?“

Warum erschafft Gott überhaupt? So antwortet er durch die Sure al-Ghafir, Vers 57: „Wahrlich, die Schöpfung der Himmel und der Erde ist größer als die Schöpfung der Menschen; allein die meisten Menschen wissen es nicht.“

Meine eigene Antwort ist: Die Schöpfung, also alles außer Ihm, ist eine unstreitige, wesenseigene und natürliche Eigenschaft von Gott mit der Wirkung des Erschaffens aus dem Nichts. Und vielleicht hat Er den Menschen durch seine Eigenschaften der Barmherzigkeit, der Gnade, der Vergebung, des Friedens geschaffen?

Ich weiß, dass sich etliche Muslime im privaten Bereich Gedanken über den Koran machen, die ihr Imam oder Gruppe nicht gutheißen würden. Aber sie haben einfach Befürchtungen, solche Gedanken laut werden zu lassen, zu sehr wird der Druck der orthodoxen Gemeinschaft auf sie sein. Aber immer wieder gab es in der Geschichte des Islams Zeiten einer freien Aufklärung. Ich verbeuge mich darum vor diesen Menschen, die den Mut gehabt haben oder haben, ihre Gedanken laut auszusprechen und die mich gelehrt haben, besser nachzudenken in die Richtung eines mündigen, nachdenklichen Menschen, egal welcher religiösen Richtung er eingeschlagen hat. Da sind Menschen wie Ibn Rushd aus dem Andalusien des 12. Jahrhunderts, Abu Zaid aus Ägypten, vor 10 Jahren gestorben oder heute Mouhanad Khorchide, besonders mit seinem letzten Buch: „Gottes falsche Anwälte“.

  Im 9. Jahrhundert entstand eine neue rationalistische theologische Strömung des Islam, die Mutazila, sie hatte bis zum 11. Jahrhundert ihre Blütezeit. Die Mutaziliten waren rationalistische Theologen, die meinten, durch die Vernunft, die Wahrheit, den wahren Glauben erkennen zu können. Sie diskutierten über den erschaffenen oder nicht erschaffenen Koran. Zwei wesentliche Punkte spielten bei ihnen eine große Rolle: Der erste Punkt galt dem Tauhid, das heißt vom Bewusstsein von der göttlichen Einheit. Sie verstanden Gottes Wesen als einzig und unteilbar. Die von Gott im Koran zugeschriebenen Eigenschaften müssen, um jedes Element einer Vielzahl auszuschließen, als identisch mit Gottes Wesen angesehen werden. Gott ist daher z. B. durch sich, durch sein Wesen wissend oder redend, nicht durch die Attribute oder Eigenschaften „Wissen“ oder „Reden“, das von Seinem Wesen verschieden wäre.

Da der Koran als Gottes Wort, als Rede Gottes (kalam Allah) gilt, stellte sich ihnen die Frage, wie dieses in der Zeit, in der Schöpfung erschienene, geoffenbarte „Reden“ Gottes anzusehen sei. Stellte der Koran das Reden Gottes selbst dar und war daher ewig und göttlich in seiner in der Zeit erschienenen Form, oder war er nur eine in der Zeit erschienene Manifestation der unerschaffenen göttlichen Eigenschaft des „Reden“, also redend und wissend?

Die damaligen Ulama fühlten sich als die berufenen Interpreten und Bewahrer des ewigen göttlichen Gesetzes. Wurde die Unerschaffenheit verneint, würden sie an Macht und Einfluss verlieren, denn man konnte nun dem Wort Gottes auf den Grund gehen und darüber nachdenken.

Ein anderer Punkt des mutazilitischen Dogmas beschreibt das Verhältnis von Gott zum Menschen. Die Mutaziliten argumentierten, Gott kann nicht ungerecht sein, weil Ungerechtigkeit seinem Wesen widersprechen würde. Gott würde sie also gerecht, anhand der verantwortlichen Taten des Menschen, belohnen bzw. bestrafen. Und wenn der Mensch verantwortlich für seine Taten ist, bedeutet das, dass er Handlungsfreiheit und vollständige Verantwortung hat.

Diese rationalistische Methode wurde von etlichen sunnitischen Traditionsgelehrten, unter ihnen Ahmad ibn Hanbal (gest.855) abgelehnt, die den Koran als unerschaffene Rede Gottes ansahen.

Mit der Machtübernahme durch die sunnitischen Seldschuken endete in der Mitte des 11. Jahrhunderts die Unterstützung der Herrscher für die Mutazila im Irak und es etablierte sich die hanbalitische Rechtsschule. Der Gebrauch rationaler Methoden zur Auslegung des Koran und in der Rechtsfindung fand ihr Ende bis in die Gegenwart.

Es ging meines Erachtens nicht um Unerschaffenheit oder Erschaffenheit, es ging um die Macht der Orthodoxie und keine Diskussion oder Fragestellung durfte daran rütteln.

Da stellt sich mir wieder die Frage nach Gottes Worten: ‚Warum denkt ihr nicht nach?‘ Man könnte spekulativ denken: Wenn der Koran unerschaffen wäre, dann wäre er starr und leblos, unflexibel. Dann müsste sich ja Gott auch an das halten, was darinnen steht. Er könnte ja nicht erschaffen, wie und was Er will, Er müsste sich an die Vorgaben des Koran halten. Und für den Menschen wäre dann der Koran eine ewig gültige Offenbarung Gottes und darf weder historisch interpretiert noch in seinen Aussagen hinterfragt werden.

Wenn man weiterdenkt, dann wäre Gott dann auch kein echter und immerwährender Schöpfergott. Es gäbe ja keine Diskussion mehr mit den Menschen, denn der Mensch wäre dann auch über sich nicht mehr selbstbestimmend. Und Gott müsste dann auch die Menschen nicht mahnen, nicht fragen: Warum denkt ihr nicht nach! Also kein Nachdenken über die Worte von Gott. War das das nicht das Ziel der orthodoxen Gelehrten? Menschen als Marionetten unter ihrem Zepter?

Aber das ist nicht so: der Koran ist lebendig, diskussionsfreudig, auf die Situationen und Handlungen des Menschen eingehend. Und das geht nur, wenn der Koran von Gott, dem Erschaffer auch geschaffen worden ist.

Gott sagt in Sure 41:53: „Wir werden sie Unsere Zeichen überall auf Erden und an ihnen selbst sehen lassen, damit ihnen deutlich wird, dass es die Wahrheit ist. Genügt es denn nicht, dass dein Herr Zeuge aller Dinge ist?“ Der Koran spricht die Wahrheit aus: Gott ist Zeuge eines dieser Dinge, das Wort Gottes, das Er selbst erschaffen hat, sonst könnte Er nicht Zeuge sein.

Heute sind viele Zeichen Gottes erkennbar, weil sie durch die Wissenschaft bestätigt sind. Viele Dinge sind erkennbar geworden.

Immer, wenn ich den Koran lese und darüber nachdenke, entdecke ich immer wieder etwas Neues zum Nachdenken. Es eröffnet sich mir fortgesetzt neue und tiefere Stufen der Weisheit des Korans. Er ist eine unerschöpfliche Inspirationsquelle, wie ich mein Leben gestalten könnte. Er ist, musikalisch ausgedrückt, eine Sinfonie mit vielen Instrumenten, Stimmen und Melodien, die eine Harmonie eines Ganzen bilden, ein Universum voller lebendiger Harmonien. So sehe ich den Koran. Ich denke, letztlich entscheidet der Koran selbst, ob ich ihn als unerschaffen oder erschaffen sehe, ob ich nachdenke über ihn und die Welt oder ob ich ihn nehme, so buchstabengetreu.

Manaar

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