Amina Wadud’s Perspektive auf die Geschlechtergleichheit im Islam

Amina Wadud’s Perspektive auf die Geschlechtergleichheit im Islam

 

Gleichgeschlechtliches Beten

Ein in den Augen vieler konservativer sowie regressiver Muslime haarsträubendes Unding besteht darin, wenn geschlechtergemischt im Islam gebetet wird. Obendrein schauen viele dieser Muslime fassungslos, wenn das Gebet gar von einer Frau, also einer weiblichen Imamin, geleitet wird. Das ist Neuland für sie. Abgesehen davon, dass diese islamische Praxis durchaus seine theologische Fundierung in der islamischen Überlieferung findet und auch bereits in der Frühzeit des Islam eine solche Gebetskonstellation nicht unbekannt war, gibt es auch gegenwärtig Versuche, an diese Tradition anzuknüpfen und danach die Religion zu leben.

Gebete in dieser Form wurden beispielsweise im Jahre 2005 von der Islamwissenschaftlerin Amina Wadud ausgeführt, was auf der ganzen Welt, so eben auch von islamischen Ländern, registriert wurde und entsprechende Reaktionen auslöste. Nicht nur wurde geschlechtergemischt gebetet, als Vorbeterin trat Amina Wadud nach vorne, um die Betenden anzuleiten. Wie Amina Wadud die theologische Position zum Gebet im Islam verteidigt und begründet sowie weitere Ihrer Gedanken zu den Themen Islam, Feminismus, koranische Lesarten und vielem mehr teilt sie in Interviews oder auch eigenen Publikationen einem breiten internationalen Publikum mit.

Amina Wadud wurde im Jahre 1952 im US-Bundesstaat Maryland geboren und erfuhr bereits in ihrer Erziehung erste Kontakte mit Religionen. Plausibel wird das dadurch, dass ihr Vater als Pfarrer tätig war und Wadud ihn als religiöses Vorbild nahm. Schon in ihrer frühen Jugend machte sie in den USA Diskriminierungserfahrungen aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe, was sich deutlich an der Rassentrennung in der amerikanischen Gesellschaft zeigte. Auch war sie in ihrer Jugend nicht in einer finanziell günstigen Position und hatte dementsprechend wenig materielle Mittel. Entschlossen nahm sie den Kampf gegen Rassismus auf, indem sie sich sozialen Bewegungen anschloss, um schwarze Menschen zu ihren Rechten zu führen.

Interessanterweise ist Amina Wadud nicht in einer muslimischen Familie geboren und interessierte sich zunächst für die buddhistische Religion Schließlich machte sie sich viele Gedanken über religiöse bzw. moralische Fragen. Durch Zufall kam sie in Berührung mit dem Islam und sprach in einer Moschee das Glaubensbekenntnis aus. Die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur schreibt dazu, dass: „[…] der Islam mit seinem radikalen Gleichheitsversprechen aller Rassen spätestens seit der Nation of Islam und Malcom X eine geläufige Option für Afro-Amerikaner [darstellt] (vgl. Amirpur 2018: S.113).“ In einem Interview äußerte Wadud sich konkreter zur Religionsfrage: „Ich war immer sehr interessiert an Ideen über Gott, die menschliche Natur, Moral und Spiritualität. Unmittelbar bevor ich Muslimin wurde, war ich Buddhistin und lebte in einem Ashram. Dort lernte ich zu meditieren, was ich heute noch praktiziere. Den Islam lernte ich zunächst eher zufällig kennen – in einer Moschee in dem Viertel, in dem ich damals lebte. Den entscheidenden Anstoß gab mir der Koran. Der Koran öffnete mir Beziehungen zwischen meiner Logik, meiner Weltanschauung und den Dingen um mich herum. Ich fand mich darin wieder, mit meiner Liebe zur Natur und meiner Sehnsucht nach dem Leben hinter der Welt. Ich habe meine Arbeit deshalb besonders auf den Koran und auf Gender konzentriert.“ Die spätere Islamwissenschaftlerin verlor keine Zeit, setzte sich mit dem Koran auseinander und fand Dinge darin, die ihr voll und ganz zusagten. Dazu gehörten die Fragen, die sich sowohl auf das Diesseits als auch auf das Jenseits bezogen.

Doch sie stellte weitere theologische Überlegungen an und bezieht sich dabei konkret auf den Gleichheitsgedanken im Islam. Denn sie sieht, trotz allen patriarchalen Problemen bezüglich der muslimischen Frau weltweit, dass die koranische Botschaft die Gleichheit der Geschlechter impliziert. Jedoch beinhaltet die islamische Überlieferung widersprüchliche Inhalte, die nicht immer miteinander kompatibel scheinen. Tatsächlich können in den Hadithen (Aussagen und Handlungen des Propheten) Positionen gefunden werden, die sich im Widerspruch zum Koran befinden. Insbesondere was die vielen Hadithen bezüglich der Frauenfrage betreffen, sind viele Verfälschungen und Lügen im Umlauf. Wadud löst jenes Paradoxon in der Überlieferung dadurch auf, indem sie das Kriterium aufstellt, dass alle Überlieferungen, die dem Koran und dem darin enthaltenen Gleichheitsgedanken widerspricht, als nicht gültig zu betrachten sind.

Ihre Auseinandersetzung mit dem Islam nahm immer mehr intellektuellen bzw. wissenschaftlichen Charakter an. Beachtenswert ist es immerhin, dass sie anfing an islamischen Universitäten zu studieren. Amirpur dazu: „Sie begann Primärquellen zu studieren. Nach ihrer Rückkehr nahm sie dann an der Pennsylvania University ein MA-Studium der Middle Eastern Studies auf, um ihren Fragen auf den Grund zu gehen. 1986 fing sie mit den Recherchen für ihre Dissertation an, die sie auch an die Universität Kairo führten. In Kairo besuchte sie zudem Vorlesungen sowohl an der Azhar, dem geistigen Zentrum der sunnitischen Welt, als auch an der American University. Während ihrer Stunden in Koranexegese frustrierte sie die Unterrichtsmethode ihres Lehrers mehr und mehr: Sie wollte nicht nur wissen, was ein bestimmter Terminus, eine bestimmte Sure bedeutet, sondern sich selber die exegetische Literatur anschauen. Sie wollte analysieren, diskutieren, den Koran mit ihrem Lehrer zusammen lesen, nicht seine Erläuterungen des Korans anhören und auswendig lernen. Um ihn zu überreden, mit ihr den Koran zu lesen, wies sie ihm anhand des Korans nach, dass dieser nicht sagt, dass Frauen ihn nicht studieren dürften. Wadud zeigte ihm, dass kritisches Engagement kein westlicher Ansatz ist, sondern ein essentieller Bestandteil des Koranstudiums (ebd.: S.116).“

Sie sah einen wichtigen Punkt darin, dass es ein bestimmtes Verhältnis zwischen dem Koran und dem einzelnen Exegeten gibt. Die Exegese sei stets eine subjektive Angelegenheit, wodurch man daher gewiss eine weibliche Stimme in der heiligen Schrift herauslesen könnte. Die Fragen, die man sich in puncto Koran stellen sollte, lauten stets, was der Koran über etwas sagt, in welchem Duktus er das sagt und wer außerdem noch über den Koran spricht. Waduds Kritik richtet sich letztendlich darauf, dass es eine Gleichsetzung zwischen Koran und Exegese gibt. Dabei lässt man unbeachtet, dass es mögliche Auslegungen, aber keine letzte, absolut Gültige gibt.

Nach ihrem Studium veröffentlichte sie Publikationen, die sich schwerpunktmäßig mit den Themen Islam und Frauen auseinandersetzten. Beispielhaft kann man hierzu ihr im Jahre 1992 publiziertes Werk „Qur’an and Woman“ nennen, was in vielen Ländern weltweit übersetzt wurde. Ihre universitäre Ausbildung hat Früchte getragen, und sie durchlief eine vielschichte akademische Karriere, was man an den unterschiedlichen Stationen in ihrem Lebenslauf sieht, wo sie als Lehrende tätig war, wie z.B. von 1992-2008 als Professorin an die Virginia Commonwealth University oder auch als Gastprofessorin am Center for Religious and Cross Cultural Studies der Gadjah Mada University in der indonesischen Stadt Yogyakarta.

Großes Aufsehen und Empörung aufseiten von konservativen bis orthodoxe Muslime rief sie im Jahr 2005 durch das von ihr geleitete geschlechtergemischte Gebet hervor. Als bereits drei Moscheen es ablehnten ein solches Gebet durchzuführen, eine Kunstgalerie ihre vorige Zusage nach einem Bombenattentat zurücknahm, konnte das Gebet schließlich in der Episcopal Cathedral of St. John the Divine in New York stattfinden. Hochrangige muslimische Autoritäten aus Saudi-Arabien oder auch Ägypten meldeten sich zu Wort und witterten hinter der ganzen Aktion eine angebliche Verschwörung seitens der USA, um den Islam zu schwächen. Abgesehen davon warfen sie ihr vor, dass sie mit einer solchen Gebetskonstellation unislamisch handele. Ihre Verteidiger hielten solchen Vorwürfen entgegen: „Die Progressive Muslim Union machte geltend, dass weder der Koran noch die Sunna ein Verbot für Frauen enthalte, gemischte Gebete zu leiten. Der Prophet habe eine solche Praxis sogar ausdrücklich gefördert. Und der einflussreiche ägyptische Mufti Scheich `Ali Gom’a ließ sich im Sender al-‘Arabiya mit der Ansicht zitieren, von einer Frau geführte gemischte Freitagsgebete seien zu dulden, sofern die Gemeinde einverstanden sei. Zur Untermauerung seiner Meinung führte der Mufti den Exegeten Tabari und den Mystiker Ibn ‘Arabi an, die das genauso gesehen hätten. […]. Nach Amina Wadud selbst gibt es ein solches Verbot nur von Seiten der islamischen Orthodoxie, weder im Koran noch in der Sunna seien Belege dafür zu finden. Mit ihrer Aktion wollte sie vor allem Frauen für gemischtgeschlechtliche Freitagsgebete unter weiblicher Leitung begeistern. Allerdings hatte sie nicht mit einer derartigen Medienaufmerksamkeit gerechnet – sie habe über Wochen 40 Interviewanfragen pro Tag bekommen, aber alle abgelehnt –, und gar nicht damit, dass man versuchen würde, das Thema auf diese Weise zu instrumentalisieren. Deshalb würde sie ein solches Gebet nur noch im kleinen Kreis leiten (ebd.: S.124).“ Das Ereignis führte bedauerlicherweise dazu, dass sie Polizeischutz bekam.

Amina Wadud hat für sich einen feministischen Ansatz ausgesucht, um den Koran zu interpretieren. Mittels dieses Ansatzes zeigt sie in einer zugleich historisch-kritischen Lesart, dass es einen ahistorischen Charakter im Koran gibt, der sich auf die Werte von Gleichheit und Gerechtigkeit bezieht. Die Beschäftigung mit Waduds Denken in Bezug auf den Islam ist allemal lohnenswert, da viele ihrer Ausführungen zum Nachdenken anregen und zum Hinterfragen bisherigen, zum Teil sehr starren theologischen Konzepten führen.

 

Quellen:

Amirpur, Katajun (2018): Reformislam. Der Kampf für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte. 2. Durchgesehene und erweiterte Auflage C.H. Beck: München

https://de.qantara.de/inhalt/interview-mit-der-reformtheologin-amina-wadud-der-koran-kann-von-niemandem-vereinnahmt-werd-0

https://www.spiegel.de/politik/ausland/reformversuch-in-new-york-weltweite-empoerung-ueber-muslimische-vorbeterin-a-347395.html

 

 

 

 

 

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